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Festival: Ich war ein Plastikbecher

Weltrettung leicht gemacht: Das Festival „Über Lebenskunst“ zeigt mit Installationen, Performances und Aktionen Wege zu mehr Nachhaltigkeit

Die Enten freuen sich. Plötzlich diese Auswahl an schmackhaften, zarten Blättchen vor ihrem Schnabel, mitten im Wasserbecken vor dem Haus der Kulturen der Welt! Sie zupfen daran, bis ein Gärtner schreit: „Weg da!“ Denn der Salat ist nicht für Enten, sondern zum Ernten. Er ist für die Kunst, für das Festival „Über Lebenskunst“.

Am Mittwoch Abend wurde es bei einem schönen Sommerfest mit Performances, Reden und Konzerten auf der Dachterrasse eröffnet. Noch bis Sonntag soll es darum gehen, wie wir in Zeiten des Klimawandels ein gutes Leben führen können. Dazu gibt es ein überbordendes, fast überforderndes Programm an Workshops, Aufführungen, Installationen, Vorträgen, Stadtspaziergängen und Konferenzen.

Der Anblick der Salatbeete ist kurios, aber greifbar als Idee, und deshalb sehr beruhigend. Denn das ist ja die größte Sorge bei so einem Festival, das mit so großen Begriffen wie Klimawandel und Nachhaltigkeit hantiert: Dass man dort lauter utopischen Träumern begegnet, Wissenschaftlern, die mit Zahlen zur Klimaerwärmung um sich schmeißen. Das man gelähmt wird, weil man das Gefühl nicht loswird, als kleines Menschlein ja eh nichts ausrichten zu können. Aber nein, hier geht es tatsächlich darum, was der Einzelne tun kann. Es ist ein Fühl-Dich-gut-Fest.

Und das fängt schon mit dem Essen an: Für die Verköstigung ist die Künstlerinitiative Myvillages.org zuständig. Sie hat bereits vor einem Jahr angefangen, ihre Vorratskammern mit regionalen Produkten zu füllen. Dazu gehören eben auch jene Salate aus dem Bassin. Programmhefte gibt es nicht, das ist Verschwendung. Wer mag, kann sich ein PDF selbst ausdrucken. Die meisten Künstler sind mit dem Zug angereist. Internationale Wissenschaftler werden für die Konferenzen per Live-Stream aus Nairobi oder São Paulo zugeschaltet. Die trashige Elektro-Zirkus-Band Bonaparte spielt ein „Look-at-what-we-found-in-your-backyard-4tet“ und sammelt dafür Müll rund um das Haus ein. Zur Fahrraddisko auf dem Dach am Samstagabend muss ordentlich in die Pedale getreten werden, damit genügend Strom erzeugt wird, um die DJ-Plattenteller zum Drehen zu kriegen. Ein Künstlerkollektiv der Universität der Künste schenkt Wasser aus – gezapft aus der Spree und über Filteranlagen gereinigt. Sie meinen es tatsächlich ernst, die Initiatoren: Das Haus der Kulturen der Welt und die Kulturstiftung des Bundes, die dafür ein Budget von 3,5 Millionen Euro zur Verfügung stellte. Es geht um nichts weniger als um unsere Zukunft. Das mit einem Festival nicht gleich die ganze Welt gerettet werden kann, ist den Machern auch klar. Sie haben einfach mal einen großen Think Tank in Berlin anlegen lassen, in dem Technik, Design, Naturwissenschaft und Kunst miteinander verschmelzen. Vieles ist spielerisch, manches sehr konkret.

Auf einem Oberlicht der Dachterrasse hat die dänische Künstlerin Rikke Luther einen futuristischen Wohnwürfel installiert. Er wird durch die aufsteigende Wärme des HKW geheizt. Außerdem sorgt ein integrierter Kompost für Wärme. Die Abfälle dafür sammelt Rikke Luther auf dem Festival ein. Nachhaltige Architektur hat auch das Künstlerpaar Folke Köbberling und Martin Kaltwasser geschaffen. Sie überdachen einen Treppenaufgang mit 32 000 Plastikbechern. Das Ganze sieht aus wie ein großes, lichtes Wellblech. Ihr Material haben die beiden an Marathonstrecken in Berlin eingesammelt. Sie mussten sich nur bücken. „Event“ heißt daher die Installation, ein fast bitterer Kommentar zu Großveranstaltungen und der damit verbundenen Müllproduktion. Wer den Blick über dieses Plastikmeer wandern lässt, der ahnt, dass sich die Arbeit, die sich Köbberling und Kaltwasser gemacht haben, gar nicht lohnt. Wer soll ihnen das Einsammeln und Abtransportieren, Auseinanderschneiden und Wiederzusammentackern bezahlen? Bei Nachhaltigkeit geht es immer auch ums Geld.

Echte Überlebenskunst beweist Ivan Civic. Aber was ist schon echt? In einer Performance, die exakt 101 Stunden dauert, wird er nie den weißen Raum im Kellergeschoss verlassen. Tag ein, Tag aus werden die Neonröhren erbarmungslos brennen, so dass der junge Künstler seinen eigenen Schlaf- und Wachrhythmus bestimmen muss. Er wird nichts essen, nur Wasser trinken und nicht reden – außer in Gebärdensprache, die er sich extra für die Aktion beigebracht hat. Am ersten Tag sei das Fasten noch ein Spiel, am zweiten produziere der Körper immer noch in Vorfreude auf etwas zu essen Magensäfte. Am dritten Tag dann, stelle er die Verdauung ein. „Und dann beginnt die Energie nach oben ins Hirn zu wandern“, sagt Ivan Civic. „Man sieht schärfer und man hört besser.“ Das würde beim Jagen helfen – wenn wir denn noch in der Höhle lebten. Auch auf diese radikale Weise kann man Ressourcengewinnung verstehen. Für Civic, 1979 in Sarajevo geboren und ehemaliger Meisterschüler von Performance-Ikone Marina Abramovic, geht seine Botschaft aber über das rein Physiologisch-Biologische hinaus. Wir haben wertvolles Wissen und Werte unserer Vorfahren verloren, findet er, in uns vergraben, überlagert von unserer Konsumgeilheit. Und deshalb präsentiert Civic in seiner Performance, die rund um die Uhr besucht werden kann, eine hochglanzpolierte, stylische Oberfläche. Auf dass es einen schaudert. Danach kann man mit dem Solarboot ablegen und über die Spree tuckern und alles ist wieder gut … Besser.

bis So 21.8., Haus der Kulturen der Welt, Infos: www.ueber-lebenskunst.org

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