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Malte Bartsch legt in der historischen Halle einen Starkstrommast quer.

© David von Becker / VG Bildkunst Bonn 2017

Festival im Hamburger Bahnhof: 99 Luftballons

Invasion aus der Zukunft: Das Festival of Future Nows im Hamburger Bahnhof feiert junge Kunst.

Im Hamburger Bahnhof ist die Hölle los. Ein Starkstrommast liegt schräg in der Haupthalle. Zusammengeknautschte Plastikplanen drehen sich wie Schrubber einer Waschanlage. Plötzlich setzen sich zwei hohe Holztüren in Bewegung, getragen von unsichtbaren Spielern. Dazwischen liegt ein Berg Sand bräsig in der Hängematte. Das erinnert an die Bauarbeiter am Berliner Hauptbahnhof, die auf die Frage, wie lange die Durchfahrt gesperrt sei, schulterzuckend antworteten: „So lange, wie’s dauert.“ Für die Installation von Kat Válastur war allerdings eine andere ewige Baustelle Vorbild. Die Brücke von Arta konnte nach der griechischen Mythologie erst fertiggestellt werden, als der Baumeister seine Frau darin einmauern ließ.

Trägheit und Wandel, Wirklichkeit und Mythos – solche Ungleichzeitigkeiten machen den Reiz des Festivals of Future Nows 2017 aus. Das Gastspiel ist flüchtig angelegt. Der Plural von „Jetzt“ markiert bereits die Vergangenheit. Mit der dreitägigen Veranstaltung greift der Hamburger Bahnhof ein Experiment auf, das 2014 in der Neuen Nationalgalerie begann. Vor der renovierungsbedingten Schließung der Glashalle spielten Olafur Eliasson und die Studenten seines Instituts für Raumexperimente zwischen den Baumstämmen von David Chipperfield.

Mittlerweile hat der Künstler seine Kooperation mit der UdK beendet. Seine Ko-Direktorin Christina Werner betreut noch das Archiv, sie ist eine der Kuratorinnen des Festivals. Für die zweite Ausgabe wurden die Protagonisten von damals noch einmal zusammengetrommelt und durften ihre Freunde mitbringen. 136 junge Künstlerinnen und Künstler mischen jetzt den Hamburger Bahnhof auf. Eliasson gibt den Schirmherrn, das klingt ein bisschen nach Elder Statesman.

Birken rauschen im Wind

„Wir haben mehr Unterricht auf der Straße abgehalten als im Studio“, erzählt Eliasson. Die Straße, die Stadt, der rasante Umbau des öffentlichen Raums, das sind die Themen, die mit der jungen Kunst ins Haus flattern. Ein bisschen Nostalgie kommt auch auf. Olafur Eliasson hat gemeinsam mit Günther Vogt zwei gelb angeleuchtete Birkenhaine in die Haupthalle gestellt. Der Künstler hatte einst sein Atelier in einer der Rieckhallen hinter dem Museum. Durch das offene Ladetor rauschten junge Birken im Wind. Vor 17 Jahren galt Eliasson als Favorit für den erstmals ausgelobten Preis der Nationalgalerie für junge Kunst. Damals hob er auf der Brache hinter dem Hamburger Bahnhof ein Loch aus und baute aus dem Erdreich eine Mauer. Ein minimalistisches Spiel mit innen und Außen, Natur und Architektur.

Sein Schüler Yves Mettler blickt jetzt auf eine veränderte Stadt. Entlang der Heidestraße wird ein völlig neues Viertel aus dem Boden gestampft, das in der Poesie der Planer Europacity heißt. Mettler hat auf den gepflasterten Hinterhof eine Hebebühne platziert. Besucher können sich mit einem gelben Starlift in zehn Meter Höhe hieven und über das neue Stadtviertel informieren lassen.

Auf ähnliche Weise laden viele Arbeiten zum Mitspielen ein. Bis zum Sonntag bringen angekündigte und unangekündigte Performances Bewegung in die Bude. Als jüngste Künstlerin tritt die 18-jährige Jumana Ridha aus Bagdad auf. In ihrer Performance „Eis“ wird sie hin- und hergerissen zwischen dem Genuss der Kindheit und der Droge der Teenager, dem Handy.

Jonglieren mit der Zukunft

Die Übergänge zwischen den Medien Musik, Performance, Film, Malerei und Installation sind fließend. Folgerichtig knüpft Anne Duk Hee Jordan mit „Yoko und Ono“ an Fluxus an. Ein holzgeschnitztes chinesisches Hochzeitsbett ist gefüllt mit Pingpongbällen. Wenn die Besucher einen Fußschalter betätigen, wirbeln Ventilatoren die Bälle klackernd in die Luft. Da wird die Zukunft zur Jonglage mit Unwägbarkeiten.

„Die Grenzüberschreitungen zwischen den Künsten sind eine Reaktion auf den Zustand der Welt“, meint Udo Kittelmann. Der Direktor der Nationalgalerie findet Anarchie eine gute Basis für ein Museum der Gegenwart. Gerade beim Austesten der Grenzen sind einige hinreißende Arbeiten gelungen. Matthias Sohr hat einen Treppenlift an die Wand geschraubt – als absurdes Symbol für Barrierefreiheit. Malte Bartsch, der schon den Starkstrommast mitgebracht hat, bietet Besuchern einen Feuerwerksservice an. Per Internet kann man Raketen bestellen, die vom Dach des Hamburger Bahnhofs abgefeuert werden. Und Euan Williams ertastet mit roten Luftballons, die an die Decke steigen und wieder zur Erde sinken, die Dimensionen des Hauses. Die Ballons sind im ganzen Gebäude verteilt. In ihrem Aufstieg ist immer schon als Zukunft der Niedergang enthalten und umgekehrt.

Wenn man sich dann beim Verlassen des Museums noch einmal umdreht, sieht man hoch oben drei sperrangelweit geöffnete Fenster, daraus wehen weiße Gardinen. Als hätten Einbrecher gerade den Tatort verlassen. „Windstoß“ heißt die Intervention von Nina Schuiki. Im Hamburger Bahnhof haben die Eindringlinge jedoch nichts gestohlen, sondern etwas mitgebracht. Spielfreude, Experimentierlust, Witz und Selbstbewusstsein. Gut, dass die Zukunft im Jetzt liegt.

Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50 – 51, bis 17. 9; 11 – 23 Uhr. Eintritt frei

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