zum Hauptinhalt
Eva Reiter spielt am 21. und 23. März im Haus der Berliner Festsspiele.

© Moritz Schell

Festival März Musik startet in Berlin: Leise singende Rolltreppen

Unter der neuen Leitung von Berno Odo Polzer soll die März Musik zu einem „Festival für Zeitfragen“ werden. Auch Maschinen dürfen Klänge produzieren. Und der Besucher soll sich zum "emanzipierten Hörer" entwickeln.

Frei flottierend, nicht festgeschnürt an Sitz und Reihe, sanft schaukelnd oder reitend auf den Wogen des Klangs, mal hierhin, mal dorthin reinschmeckend, verflüssigter Geist, verflüssigtes Denken: Darf man ihn sich ungefähr so vorstellen, den „Liquid Room“, mit dem die diesjährige März Musik eröffnet, das – neben Ultraschall – wichtigste Festival für Neue Musik in Berlin? Vier Bühnen wird es am heutigen Freitag im Haus der Berliner Festspiele geben, auf denen das Ictus Ensemble sowie das Ensemble Mosaik die Arbeiten von 20 Komponisten aufführen. Die Besucher bewegen sich frei im Raum, bestimmen ihre Position selbst, vier Stunden lang – und werden dadurch hoffentlich zu dem, was Berno Odo Polzer den „emanzipierten Hörer“ nennt. Womit er jemanden meint, der sich nicht durch räumliche oder rituelle Zwänge auf eine Rezeptionshaltung festlegen lässt.

Es ist die erste März Musik, die der 41-jährige Österreicher leitet, als Nachfolger von Matthias Osterwold. Polzer hat Musikwissenschaft, Germanistik, Archäologie und Philosophie studiert, sechs Jahre das Festival Wien Modern kuratiert und zwei Jahre geleitet. Er ist Tutor bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik und sieht sich als Spezialist für alles, was mit dem Schlagwort „interdisziplinär“ bezeichnet wird. Er entwickelt Projekte im weiten Feld von politischer Theorie, Neurowissenschaften, Tanz, Performance und Mediengeschichte. Viel Kuratorensprech, viele abstrakte Begriffe, denen eine Woche lang Leben eingehaucht werden soll. „Hochenergetische Musik“ verspricht Polzer für den Eröffnungsabend, eine „dynamische Hörreise“.

Berno Odo Polzer, Künsterischer Leiter der MaerzMusik.
Berno Odo Polzer, Künsterischer Leiter der MaerzMusik.

© Lucie Jansch

Eva Reiter: "Renaissance ist meine Muttersprache"

Eva Reiter ist eine der Künstlerinnen, die bei „Liquid Room“ auf der Bühne stehen. Die Wienerin umspannt mit ihrer Arbeit 300 Jahre Musikgeschichte, sie hat Viola da Gamba und Blockflöte studiert, tritt in Barockensembles auf und schreibt zugleich selbst Musik. „Ich bin in Alter Musik sozialisiert, die Rhetorik des Barock und der Renaissance ist meine Muttersprache“, sagt sie. „Aber nach meinem Studium habe ich ziemlich schnell angefangen, nach neuem Material, neuen ästhetischen Ausdrucksformen zu suchen.“

In ihren Kompositionen arbeitet sie mit elektronischen Zuspielungen, baut Klänge ein, die sie ihrem urbanen Umfeld entnimmt: Lüftungsschächte, Rolltreppen, das Zischen von Heidelberger Druckmaschinen. In der Suche nach der Quelle des Klangs ähnelt ihre Arbeit der des Belgiers Cédric Dambrain, der ebenfalls beim Eröffnungsabend dabei sein wird. Beide haben außerdem am Montag (23.3.) ein gemeinsames Konzert. Dort wird Dambrain seinen „Prototype Solo“ vorstellen, einen 16-Millimeter-Filmprojektor, der natürlich das tut, wozu er da ist, nämlich Bilder an die Wand zu werfen. Zugleich vermag er aber auch als akustisches Instrument Klänge zu zeugen.

Festivalchef Polzer will vor allem eines: das Hören schärfen

Hier wird klar, dass Zeitgenössische Musik schon lange nicht mehr nur aus „Musik“ besteht, sondern aus viel mehr: aus Installationen, Tanz, Film, Performances. „Ich bin überrascht, wie lieblos in der traditionellen klassischen Musik mit der Tatsache umgegangen wird, dass Konzerte auch performative Ereignisse sind“, sagt Polzer. Geht der Weg also in der Neuen Musik hin zum Pop? Wird künftig alles einbezogen, Körper, Bewegung, visuelle und sprachliche Codes, Kleidung? So holistisch will Polzer das dann doch nicht verstanden wissen – alles, was bei März Musik passiert, soll der Fokussierung dienen, der Konzentration, der Schärfung des Hörens.

Hoffentlich. Denn wird nicht unser aller Leben dank der Digitalisierung in immer kleinere Zeiteinheiten und Konzentrationssplitter zerhackstückelt? Sollte man nicht versuchen, diesem nomadischen Hin- und Herstreifen etwas Ganzheitliches entgegenzusetzen? Back to the roots? „Genau das wird bei MaerzMusik geschehen“, versichert Polzer. Zeit und der Umgang mit dieser seltsamen, so schwer zu fassenden Ressource sind zentral für ihn. Deshalb hat er das Festival unter den Titel „Festival für Zeitfragen“ gestellt. Damit ist gemeint, dass Musik eine Kunst ist, die sich in der Zeit ereignet und ohne sie nicht zu denken ist. Aber auch, dass Musik als Zeit-Kunst eine Kategorie des Politischen sein kann.

Höhepunkt: die Aufführung von Aperghis’ „Situations“

Wer sich zum Beispiel Morton Feldmans fünfstündigem zweiten Streichquartett aussetzt, das auf der 30-stündigen Abschlussveranstaltung „The Long Now“ am 28. März im Kraftwerk Berlin aufgeführt wird, steigt zumindest vorübergehend aus der ökonomischen Kosten/Nutzen- Logik aus. Fragen, denen auch das Filmprojekt „Ökonomie des Handelns“ von Daniel Kötter und Hannes Seidl im HAU nachgeht oder die Konferenz „Thinking Together“, die das Festival begleitet und passenderweise exakt mit Beginn der partiellen Sonnenfinsternis am heutigen Freitag um 9.38 Uhr eröffnet wird.

Einen Schwerpunkt widmet Polzer dem griechischen, in Paris lebenden Komponisten Georges Aperghis. Weil er im Dezember 70 Jahre alt wird. Aber auch, weil er sich – radikal in seinen Obsessionen – immer institutionellen Zwängen verweigert hat. Höhepunkt: die Aufführung von Aperghis’ „Situations“ am 25. März. Entstanden ist das Stück 2013 für die Solisten des Klangforums Wien, die es jetzt auch in Berlin aufführen. Da kann man mit Polzer auch mal schön abdriftend über die Frage diskutieren, warum Neue Musik so selten ein zweites oder drittes Mal aufgeführt wird.

Georges Aperghis
Georges Aperghis wird am 23., 24. und 25.03. zu sehen sein.

© Xavier Lambours

So lange jeder Veranstalter ein Stück zum ersten Mal haben, nicht aber für seine Verstetigung sorgen will, werden es die Werke schwer haben, sich im Bewusstsein eines größeren Publikums festzusetzen. Ein Problem, an dem die Zeitgenössische-Musik-Szene selbst übrigens auch nicht unschuldig ist. Weil auch sie gerne der Uraufführungsmanie erliegt. Dabei mögen wird doch das besonders, was wir immer und immer wieder hören: Auch unser Musikgenuss kann dem Phänomen der Zeitlichkeit nicht entkommen.

Die März Musik eröffnet am heutigen Freitag, um 20 Uhr im Haus der Berliner Festspiele. Weitere Infos zum Programm unter: www.berlinerfestspiele.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false