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Die Berliner Theatergruppe Rimini Protokoll spielt ihr Stück „Hausbesuch Europa“ in Wohnzimmern.

© Rimini Protokoll / Illustration: Maria José Aquilanti

Festival "Theaterformen" in Hannover: Bürger in kurzen Posen

Amateure auf der Bühne: Das Festival Theaterformen in Hannover macht Hausbesuche und aktiviert die Bevölkerung. Der künstlerische Erkenntnisgewinn hält sich dabei manchmal in Grenzen.

Die Frauen hätten gerne Konrad geheißen, Lasse, Leon oder Marc. Eine besonders bodenständige ältere Dame gibt auch Manfred als männlichen Wunschnamen an. Bei den Herren führt der Klassiker Maria die Liste an. Der Schweizer Künstler Mats Staub hat Festivalbesucher befragt, wie sie gern geheißen hätten, wären sie mit einem anderen Geschlecht auf die Welt gekommen. Die Ergebnisse dieses nominellen Identitäten-Switches – eine ergiebige Inspirationsquelle für werdende Eltern in der Namensfindungsphase – sind als Videoinstallation in der Cumberlandschen Galerie in Hannover zu sehen. Staub, ein Stammgast beim Festival Theaterformen, zeigt nur stumme Köpfe zu Musik und blendet dazu die Namen der Wahl ein. Künstlerisch mag sich der Erkenntnisgewinn in Grenzen halten. Aber für die Bürger-Festival-Bindung sind solche Projekte natürlich Gold wert.

Die Theaterformen, die im jährlichen Wechsel in Braunschweig und Hannover stattfinden, haben mit Martine Dennewald zum 25-jährigen Jubiläum eine neue Leiterin bekommen. Die gebürtige Luxemburgerin, die zuvor bei den Salzburger Festspielen unter anderem das „Young Directors Project“ betreut und als Dramaturgin am Mousonturm in Frankfurt gearbeitet hat, tritt dabei erfreulicherweise nicht als bemühte Erneuerin an, sondern verortet sich und ihr Programm bewusst in der Tradition des Festivals. Sowohl was den globalen Anspruch des Kuratierens betrifft, schließlich schauen die Theaterformen stets über die Ränder Europa hinaus. Als auch bezüglich der Tatsache, „dass sich das Festival schon lange in den Dialog mit der Stadt begibt“, wie die künstlerische Leiterin sagt.

Laien erobern die Bühne

Die Beteiligung der Zuschauer wird bei Dennewald besonders großgeschrieben. Unter anderem hat sie für ihre Antrittsausgabe die Gruppe Rimini Protokoll eingeladen, die neben ihren „Situation Rooms“ auch das Gesellschaftsspiel „Hausbesuch Europa“ in Privatwohnungen anbieten. Der Portugiese Tiago Rodrigues rekrutiert in „By Heart“ aus der niedersächsischen Bevölkerung zehn Freiwillige für eine „Marscheinheit Sonett Nr. 30 von Shakespeare“, eine Amateurpoeten-Armee, die „als Kampfansage gegen das Vergessen“ ein Gedicht auswendig lernt.

Und die amerikanischen Performer Abigail Browde und Michael Silverstone, bekannt unter dem Label „600 Highwaymen“, haben mit 44 Hannoveranerinnen und Hannoveranern die Choreografie „The Record“ erarbeitet. Eine Folge von eingefrorenen Posen, flüchtigen Begegnungen und Gruppenbildern, die wie viele Abende dieser Art der Sinnleere und dem Zufall eine Form abzutrotzen versuchen. Wobei „The Record“ nicht den Anspruch erhebt, repräsentativ für irgendetwas zu stehen. Laien erobern sich vorübergehend die Bühne. Und sind mittendrin statt nur dabei.

Den Trend zum Amateurtheater am Profihaus gibt es ja schon lange. Aber er gewinnt gerade noch mal Auftrieb. Einerseits in Form aus dem Boden schießender Bürgerbühnen, andererseits als einmaliges „Guck mal, ich mach Kunst“-Projekt. Auch das Deutsche Theater stellt in der kommenden Spielzeit im mehrteiligen Abend „Götter“ einen „Chor der gläubigen Bürger“ auf die Bretter. Als Ausweis gelebter Partizipation macht sich so was natürlich immer gut. Ästhetisch allerdings spricht meist wenig dagegen, das Theater Profis zu überlassen.

"Arbeit zielt auf ein Ergebnis. Beschäftigung auf den Prozess."

Obwohl es natürlich auch gute Beispiele für die Sternstunden ungelernter Schauspielkräfte gibt. Eine solche zeigen wiederum die „600 Highwaymen“ in Hannover mit „Employee of the Year“. Das Stück erzählt die Geschichte einer Frau, die nur „J.“ genannt wird und die im Alter von 17, nach einem fatalen Brand ihres Elternhauses, erfahren muss, dass ihre Mutter nicht ihre leibliche Mutter war. Ihr weiteres Leben verschreibt sie der Suche nach der tatsächlichen Erzeugerin, was zur mal komischen, mal herzergreifend vergeblichen Odyssee ohne Ende wird. Der Clou des 70-minütigen Erzählstücks ist aber, dass dieser große Lebensbogen von fünf zehnjährigen Mädchen aus New York vorgetragen wird. Ein schlagend einfaches und schönes Bild für die Zeit, die auf der Stelle tritt.

Wie beim Warten. Was auch das Thema einer Installation ist, die der Künstler Julian Hetzel auf dem Hannoveraner Opernplatz in Containern aufgebaut hat. „STILL (The Economy of Waiting)“ ist die Arbeit betitelt. Und genau darum geht es auch. Um Arbeit, beziehungsweise unseren sich wandelnden Begriff davon – in Kontrast zur vermeintlichen Untätigkeit, oder zur bloßen Beschäftigung. „Arbeit“, klärt eine Tafel im ersten Container auf, „zielt auf ein Ergebnis. Beschäftigung auf den Prozess“.

Im Weiteren begegnet man unter anderem einer Asiatin, die mit unbewegter Miene im Zehn-Sekunden-Takt die Zeit ansagt. Einem Anzugträger, der mit dem Rücken zum Betrachter in einer Sumpflandschaft steht. Und schließlich einem vormaligen Obdachlosen, der „für die Durchführung dieser Performance 10 Euro pro Stunde als Spende erhält“, wie ein Schild belehrt. Ein bewegtes Schicksal inklusive Drogensucht und mehrjährigem Knastaufenthalt hat der Performer hinter sich. Sein Traum wäre es, erzählt er, im Schauspielhaus Hannover angestellt zu werden, „als Kulissenschieber“, egal was. Das wäre eine schöne Form der Teilhabe durch Kunst.

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