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Kultur: Festspiele Bayreuth: Richards Rache

Am Ende, wer hätte früher oder später nicht damit gerechnet, wurde es doch noch gesungen: das Lob des "dicken Kopfes". Kaum hatte Joachim Herz, der Doyen der ostdeutschen Musiktheaterregie, eine seiner allseits beliebten Jeremiaden über den Niedergang der Theaterkunst angestimmt, über die Chuzpe der Jungregisseure und die böse Musikkritik und die Feigheit der Intendanten und das arme Publikum und natürlich, bitte nie zu vergessen, das Prinzip Hoffnung, das es der Menschheit zu erhalten gelte, da stand sie, ungebeten, plötzlich mitten im Raum: die Frage aller Fragen.

Am Ende, wer hätte früher oder später nicht damit gerechnet, wurde es doch noch gesungen: das Lob des "dicken Kopfes". Kaum hatte Joachim Herz, der Doyen der ostdeutschen Musiktheaterregie, eine seiner allseits beliebten Jeremiaden über den Niedergang der Theaterkunst angestimmt, über die Chuzpe der Jungregisseure und die böse Musikkritik und die Feigheit der Intendanten und das arme Publikum und natürlich, bitte nie zu vergessen, das Prinzip Hoffnung, das es der Menschheit zu erhalten gelte, da stand sie, ungebeten, plötzlich mitten im Raum: die Frage aller Fragen. Was das werte Podium des Internationalen Richard-Wagner-Kongresses 2000 in Berlin vom vergangenen Wochenende - die Professoren Gerd Rienäcker, Hans-Joachim Hinrichsen, Udo Bermbach und, notabene, Joachim Herz - eigentlich von Nike Wagners Konzept für Bayreuth hielte? Und also davon, die Festspiele zu öffnen, sowohl für das Wagnersche Frühwerk als auch für Opern anderer Komponisten. Schweres Schlucken im Raum.

Ob die Dame mit dieser Frage aus der ersten Reihe während des wissenschaftlichen Forums im Berliner Steigenberger Hotel nun bewusst eine kleine Bombe gezündet hatte oder ob sie bloß den herrschenden common sense bestätigt sehen wollte: Fest steht, dass die Herren Wissenschaftler sich an dieser Stelle vornehm zurückhielten - und dem Experten fürs Praktische das Feld überließen. Nikes Konzept, wiewohl er es nicht kenne, so Joachim Herz, und er sage dies jetzt sehr direkt, selbst auf die Gefahr hin, es sich auf immer mit dem Grünen Hügel zu verscherzen - Nikes Konzept sei für ihn "der kürzeste Weg zum Untergang". Unzählige Händepaare schnellen applaudierend in die Höhe, eine Krücke rumpelt zu Boden, Bravo-Rufe zerreißen die Luft. Im Übrigen könne man Wolfgang Wagner zu seinem "dicken Kopf" (sic!) nur beglückwünschen, so Herz auf den Gischtkronen der Euphorie. Wenn das kein Schlusswort ist! Selig walzt die Gemeinde zum Mittagstisch.

Hinter vielen Wagner-Stirnen läuft in Momenten wie diesen derselbe Film ab. Möge Wolfgang, der "Alte", wie sie ihn zärtlich nennen, am Ende nur Recht behalten und einen möglichst langen Atem und Arm. War es nicht köstlich, wie er dem Bayerischen Rundfunk vor wenigen Tagen versicherte, im schlimmsten Fall werde er "die Sache aussitzen wie Helmut Kohl" - dann nämlich, wenn der Bayreuther Stiftungsrat am heutigen Montag tatsächlich nicht Gudrun, seine Gattin und dezidierte Wunscherbin, zur künftigen Leiterin der Bayreuther Festspiele bestellt, wie freche Gerüchte behaupten?

Oberfränkischer Humor hin, Saumagen her: Die Frage, wer die Bayreuther Festspiele, diese einstige "Hochburg echter deutscher Kunst" (wie es in Siegfried und Winifred Wagners Testament vom 8. März 1929 so treuherzig heißt), ins 21. Jahrhundert überführen soll, sie erhitzt derzeit vor allem die innerfamiliären Gemüter. Längst wird der Clan der Wagner-Nasen mit den abgefeimtesten Atriden, den Dallas-JRs und den Denver-Baronen in einen Topf geworfen. Dass Wolfgang Wagner in seinem 50. Dienstjahr auf dem Grünen Hügel und kurz vor der Vollendung seines 81. Lebensjahres an der Entscheidung über seine Nachfolge massiv mitwirkt, ja diese faktisch im Alleingang herbeizuführen trachtet, darf getrost als vorläufige Krönung solcher Illustrierten-Klischees gelten. In jedem Fall macht es "die Sache" kompliziert. Weit komplizierter als noch vor Jahresfrist gedacht, da der Bayreuther Stiftungsrat im besten Einvernehmen mit dem Ehepaar Wagner das Verfahren zur Regelung der Nachfolge einleitete.

Aber hübsch der Reihe nach. Zunächst könnte es einem ja egal sein, wen oder was ein paar verschrobene Richard-Wagner-Verbändler in Berlin am Rande eines Kongresses beklatschen. Just diese Leute aber, die Wagners Musik so sehr lieben, dass sie sich weltweit organisieren, bilden den eigentlichen Humus, das Fleisch, das Unterfutter der Wagner-Pflege nach 1945. Insofern sind sie uns keineswegs egal. Ohne jene militant Konservativen, die erst gegen Wieland Wagners viel beschworene Entrümpelungen, später dann gegen Chéreaus Lesart des "Rings" und noch einmal, ein letztes Mal, 1993, gegen Heiner Müllers kontemplativen "Tristan" Sturm liefen, hätte Wolfgangs Bayreuth nicht überlebt. Ein berühmt-berüchtigtes Paradox: Der Anti-Kapitalist und Anti-Institutionalist, der Exilant und Anarchist Richard Wagner übt just auf das kleinbürgerliche Establishment eine manisch-magische Anziehungskraft aus - als pflegte dieses quasi unter Kunst-Quarantäne, allbehütet von der "ästhetischen Weltordnung" (Udo Bermbach) des Festspielhauses, hier seine verdorrenden Affekte und Lüste.

Und so heißt nach Bayreuth gehen: ein Bekenntnis ablegen, dafür zu sein oder dagegen, zu glauben oder zu zweifeln. Nach Bayreuth gehen heißt - und das macht die Sache erst attraktiv, ja erotisch -, wider den Stachel zu löcken. Sich provozieren zu lassen vom satten Selbstverständnis der Rituale, die Wut im eigenen Bauch zu spüren ob vermeintlich blasphemischer und/oder musealer Tendenzen in der Wagner-Kunst. Erhebende, erregende, kathartische Gefühle. Wo sonst findet man die heute noch ?

Als Legitimation für den Status Quo freilich taugen sie allein nicht. Wolfgang Wagner ist, das sollte man wissen, ein fränkischer Poltergeist. Am Diplomatischen lag ihm zeitlebens wenig, in bereitgestellte Fettnäpfe trat er stets ausgiebig und gern. Ob er seinen Kindern das Haus verbat, die braune Vergangenheit des Grünen Hügels allenfalls mit Funzeln missmutig beleuchtete oder den Karten-Schwarzmarkt zu seinem kriminalistischen Anliegen erklärte - die Art und Weise, wie er in jüngster Zeit die eigene Erbfolge vorangetrieben hat, zeugt unwiderruflich von wenig Stil und kleinem Geist. Denn seine Rechnung ist denkbar einfach. Wolfgang will Gudrun auf den Wagner-Thron hieven. Weil Gudrun sagt, was Wolfgang denkt: "Evolution statt Revolution", lautet eines ihrer ehelichen Schlagwörter - und dass alles im alten Mittelmaß weiter dümple. Doch, halt: nicht ganz. Neue Geldquellen, heißt es, wolle Gudrun erschließen. Mehr aber fällt ihr, der ehemaligen Sekretärin, zur Kunst auch nicht ein.

Für den Fall, dass der 24-köpfige Stiftungsrat (je fünf Stimmen halten der Bund und der Freistaat Bayern, vier die Familie Wagner sowie je zwei die Stadt Bayreuth, die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth, die Oberfrankenstiftung, der Bezirk Oberfranken und die Bayerische Landesstiftung) das Modell "Gudrun" heute endgültig ad acta legen sollte, hat Wolfgang die Messer schon gewetzt. Zu keiner Zeit habe er den Stiftungsrat darüber im Unklaren gelassen, vertragsgetreu weiter im Amt zu bleiben, "sofern ein nach meiner Einschätzung ungeeigneter Nachfolger bestimmt wird". Wolfgang Wagner nämlich besitzt einen Vertrag auf Lebenszeit. Im Klartext: Entweder man beugt sich dem Alten und schluckt Gudrun - oder aber man muss damit rechnen, dass der Unermüdliche und Starrsinnige, und sei es als Papiertiger, noch weitere Jahre und Jahrzehnte das Hügel-Zepter schwingt. Auch Cosima Wagner wurde schließlich 93.

Dass Wolfgang die Vorschläge seiner Nichte Nike, der intellektuellen Nestbeschmutzerin, samt und sonders als "unrealistisch und unrealisierbar" erachtet, liegt gewissermaßen in der Familie; dass er sie überdies als "konträr" zur Festspielidee einstuft, macht stutzig: Müsste Nike zur Durchsetzung ihrer Pläne am Ende die Stiftungssatzung ändern, die da in Paragraf Zwei Absatz Zwei sagt, das Festspielhaus Bayreuth diene "einzig der festlichen Aufführung der Werke Richard Wagners"? Dazu wiederum benötigte sie eine Dreiviertelmehrheit im Stiftungsrat und zusätzlich, bis zum Jahr 2052 (!), die Mehrheit der familiären Stimmen, also drei von den genannten vieren. Bei derzeit vier Konkurrenten aus dem Familienkreis ein aussichtsloses Unterfangen.

Was also wäre der größere Gesichtsverlust, fragte sich unlängst unter "Magenschmerzen" auch der bayerische Kunstminister Hans Zehetmair: eine Nachfolgerin zu benennen, die unter Umständen die ewige Kandidatin bliebe (dann nämlich, wenn sich zu Wolfgangs physischer Vitalität eine ungebrochene juristische Macht gesellte und er Verträge, sagen wir, bis ins Jahr 2010 oder 2015 abschlösse) - oder sich sofort einzugestehen, dass diese Runde des Findungsverfahrens kläglich gescheitert ist? An alledem ändern auch die letzten zwei Bewerber wenig.

Zwar galten Eva Wagner-Pasquier, die Tochter Wolfgangs aus erster Ehe, und ihr Cousin Wieland Lafferentz, ein Sohn der Wolfgang-Schwester Verena, lange Zeit als das heimliche Traumpaar des Bayreuther Stiftungsrats - sie, die ehemalige Londoner Operndirektorin, und er, der amtierende Geschäftsführer der Salzburger Stiftung Mozarteum: Allein, man stritt und trennte sich vor einer knappen Woche. Jetzt kandidieren beide solo. Die übliche Familienhydra. Alle Konzepte, pardon, haben sich unter dieser Prämisse längst überholt. In zehn oder zwölf Jahren, wenn selbst der ewige Wolfgang alles Zeitliche ausgesessen haben wird, sind die Urenkel Richard Wagners allesamt rüstige Rentner - mit unglaublich dicken Köpfen. Reif für die nächste Runde. Reif für den nächsten Kongress.

Christine Lemke-Matwey

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