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Parkdeck

© Uwe Steinert

Festspielhaus: In unruhiger Lage

Hinter dem Haus der Berliner Festspiele sollen Wohnblocks entstehen. Das Theater schlägt Alarm.

Berlins Festspielhaus steht nicht auf dem grünen Hügel, sondern mitten im Park: in der Gerhart-Hauptmann-Anlage, einem von Anwohnern und Stadtstreichern gleichermaßen intensiv genutzten Volkspark zwischen Bundesallee, Schaperstraße, Fasanenplatz und Meierottostraße. Seit die Berliner Festspiele 2001 ihren Hauptstandort in der ehemaligen Freien Volksbühne gefunden haben, residieren sie im dort gar nicht so feinen Wilmersdorf.

Der 1960 bis 1963 nach Entwürfen Fritz Bornemanns als Solitär im Grünen errichtete Bau an der Schaperstraße ist für die Festspiele wie geschaffen. Weder zu groß noch zu klein. Flexibel genug, was Bühnentechnik und Raumangebot angeht. Der angenehm neutrale Rahmen für so unterschiedliche Veranstaltungsformate wie Theatertreffen, SpielzeitEuropa oder MaerzMusik. Ein Haus zum Sehen, Hören und Feiern, auf der Bühne, in der Kassenhalle und draußen im Garten. Ende Juni 2008 pilgerten die Massen zum ersten Sommerfest der Festspiele.

Doch Grünlage und Spielbetrieb geraten in Bedrängnis. Die Neubau Gruppe, ein in Schwerin und Hamburg ansässiger Immobilienentwickler, will gemeinsam mit dem Bauunternehmen Hochtief unmittelbar hinter dem Theater am Rand der Gerhart-Hauptmann-Anlage vier „Stadtvillen“ errichten. Unproportionierte Klötze in bester Lage, knapp 25 Meter hoch, da nützt selbst ein in den Details sicher hochwertiger Entwurf von Hans Kollhoff nichts. Baubeginn sollte im Frühsommer 2009 sein. Derzeit arbeitet das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf unter Hochdruck an einem neuen Bebauungsplan. Baustadtrat Klaus-Dieter Gröhler (CDU) rechnet „frühestens um den 15. August“ mit ersten Bauarbeiten.

Von den Investoren gewünscht sind sechs Geschosse plus ausgebautes Dachgeschoss, etwa 70 Luxuswohnungen zum Preis von bis zu 3800 Euro pro Quadratmeter. Berliner Spitzenpreise für eine Lage mit Tücken. Die Häuser sollen durch eine mindestens 3,50 Meter hohe Schallschutzmauer abgeschirmt werden, weil sie bis auf elf Meter an die Süd- und Westfassade des Theaters heranrücken. Die Zufahrt für Bühneneingang und Hinterbühnentor wird überbaut, Kulissen und Mitarbeiter sollen künftig durch eine neue Schleuse an der Ostseite ins Haus gelangen. Dafür müsste das Haus im Innern aufwendig umgebaut werden, konkrete Planungen gibt es dafür nicht.

Joachim Sartorius, seit 2001 Intendant der Festspiele, befürchtet, dass der Festivalbetrieb durch neue Nachbarn nachhaltig gefährdet wird. Eine Anlieferung von der Ostseite wird auf jeden Fall komplizierter, da die schweren Kulissenteile nicht mehr wie bisher direkt auf die Hinterbühne abgeladen werden können. Um vom künftigen Bühneneingang in die Büros und Künstlergarderoben zu gelangen, wird man nach dem Umbau durch den Keller gehen müssen.

Der Ärger zwischen solventen künftigen Bewohnern und den gerade nachts Lärm produzierenden Theaterleuten scheint vorprogrammiert. Andreas Weidmann, Technischer Leiter der Festspiele, bringt es mit Blick auf die nachtarbeitsintensivste Veranstaltung der Festspiele auf den Punkt: „Wir können das Theatertreffen nicht um mehrere Tage verlängern, bloß weil die Lkws nur werktags von acht bis 18 Uhr Kulissen anliefern dürfen.“ Der Festspielbetrieb unterscheidet sich vom Repertoirebetrieb dadurch, dass quasi jede Nacht das Bühnenbild ausgetauscht werden muss. Und dass jeden Abend nach der Vorstellung Party ist.

Brisant ist die Gemengelage von Sachzwängen, Termindruck, politischem Kalkül und ökonomischen Partikularinteressen auch, weil der künftige Bauherr Friedhelm Boese als Chef der Neubau Gruppe zugleich Vermieter des Theaters ist. Nach der Insolvenz des Vereins Freie Volksbühne e.  V. 1999 erwarb Boese das leer stehende Baudenkmal plus Grundstück mit der Option, zusätzliche Bauten errichten zu dürfen. Ursprünglich wollte er ein Arthouse-Kino errichten. Erst eineinhalb Jahre später zogen die Festspiele als Mieter ins Haus. Die Chance zum Kauf der Immobilie durch den Nutzer wurde damals vertan.

Die Festspiele respektive der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien als ihr Träger überweisen pro Quartal 231 000 Euro Miete an Boese. Der Mietvertrag läuft einschließlich aller Optionen bis 2030. Um gemeinsam die Zukunft zu planen, müsste man nun miteinander reden. „Die Festspiele wurden“, beklagt sich Andreas Weidmann, „ganz bewusst vom Investor aus der Kommunikation ausgeklammert. Eineinhalb Jahre lang gab es kein offizielles Gesprächsangebot.“ Seit November spricht man miteinander. Friedhelm Boese nennt sein Zögern „anforderungsgerecht“ und wiegelt ab: Der Festspielbetrieb werde sich „weiter stabilisieren“.

Wo die Wohnhäuser gebaut werden sollen, bröckelt derzeit eine zweigeschossige Parkpalette aus Beton vor sich hin. Sie ist ein von Bornemann entworfener Bestandteil des Ensembles. Unter Denkmalschutz wie das Theater stehen die Stellplätze nicht. Der Denkmalbeirat der Bezirksverordnetenversammlung verhält sich entsprechend indifferent. Den Abriss der Parkpalette könnte man verschmerzen, wenn nicht die Grundidee von Bornemanns Theater als Solitär in der Parklandschaft mit der massiven Neubebauung ad absurdum geführt würde.

Zu den dezidierten Kritikern der Abriss- und Neubaupläne gehört Wilfried Wang von der Bürgerinitiative Fasanenplatz. Er beklagt die Zerstörung eines Kultur- und Denkmalensembles ohne erkennbares Gegenkonzept der Politik. Andere Kritiker plädieren ebenfalls für nachhaltige Lösungen – auch für die Bar jeder Vernunft. Die hat ihr Spiegelzelt seit Jahren auf dem Dach des Parkhauses aufgeschlagen. Doch die renommierte Varieté- und Kleinkunstbühne sitzt auf gepackten Koffern. Eigentlich schon im Juni sollte das Spiegelzelt auf Kosten der Investoren zur Schaperstraße hin umgesetzt und mit einer quaderförmigen, nachts beleuchtbaren Schallschutzhülle eingehaust werden. „Eine sehr schicke Lösung“, findet Geschäftsführer Holger Klotzbach, „für uns eine Verbesserung, sowohl funktional wie vom Schallschutz her.“ Klingt nach Separatfrieden. Nur ob die neue Kiste den Charme des ewigen Provisoriums Spiegelzelt bewahren wird?

Das planungsrechtlich zuständige Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf unterstützt Boeses Neubaupläne ebenso wie eine Mehrheit der Bezirksverordneten. Stadtrat Gröhler sieht nur positive Aspekte: Wohnraum für solvente Neu-Wilmersdorfer; und die Beseitigung einer Situation, „die wir städtebaulich nicht sonderlich charmant finden“.

Kaum jemand spricht über die kulturelle Dimension des Konflikts, die im Bermudadreieck von Bezirkspolitik, Bundeskulturpolitik und dem Desinteresse des Senats zu verschwinden droht. Joachim Sartorius beklagt: „Der Bezirk hat bislang nicht ausreichend erkannt, dass die Festspiele hier Kulturarbeit machen, die weit über die Bezirksgrenzen ausstrahlt. Das Theatertreffen etwa ist ein Kulturereignis von nationalem Rang.“

Lediglich die Grünen in der BVV stimmten bereits gegen frühere Neubaupläne – und ernteten dafür bei der letzten Europawahl, als die Neubebauung zum Wahlkampfthema wurde, im gutbürgerlichen Kiez rund um den Fasanenplatz 48,5 Prozent der Stimmen. Im Juni 2004 ging es allerdings noch um Widerstand gegen ein 80 Meter hohes Bürohochhaus, das an der Spitze des Parkgeländes entstehen sollte. Aus dem gescheiterten Hochhaus wurde ein Büroriegel, daraus ein Wohnriegel, nun sind es vier Einzelhäuser, die alle Chancen haben, gebaut zu werden. Gegen die Kultur. „Steter Tropfen höhlt den Stein“, kommentiert Sibylle Centgraf, die baupolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion in der BVV. Es klingt müde.

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