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Kultur: Festspielwiese (Ende)

Christiane Peitz fährt zur Geisterstunde nach Bayreuth Mein schönster WagnerAbend in Bayreuth war umsonst. Nur ein bisschen Benzingeld hat er mich gekostet.

Christiane Peitz fährt zur Geisterstunde nach Bayreuth

Mein schönster WagnerAbend in Bayreuth war umsonst. Nur ein bisschen Benzingeld hat er mich gekostet. Es muss im Sommer 1993 gewesen sein; ich hütete gerade das Haus meines Bruders in Bamberg.

Ich sitze im Garten, im Radio beginnt gerade Heiner Müllers Bayreuther „Tristan“- Premiere. Ouvertüre. Zwei, drei Akkorde nur, das reicht für die erste Gänsehaut. Der Moderator sagt etwas von Gegenaufklärung, wegen der Liebesnacht. Schön, so eine hitzige Gegenaufklärung. Eine schwarze Katze schleicht durchs hohe Gras, das Eichhörnchen, das mich täglich besucht, um mich mit seiner Ernte aus dem Haselnussbaum zu bewerfen, ist heute nicht gekommen. Bamberg, die Stadt auf den sieben Hügeln, liegt wie ausgestorben da. Ob sie alle nach Bayreuth gefahren sind?

Nach dem zweiten Aufzug fahre ich los, um einen befreundeten Musikkritiker vom Festspielhügel abzuholen. Im Autoradio erzählt der Moderator von den Eierwerfern auf der Straße zum Hügel, die die Ouvertüre um zehn Minuten verzögert hatten. Eins der Geflügelprodukte, sagt der Sprecher, traf den Ministerpräsidenten. „Er musste erst geputzt werden.“ In Bayern, denke ich gegenaufklärerisch, putzen sie ihre Ministerpräsidenten – und denke auch an die fränkische Burschenschaft, der ich beim Spaziergang am Vortag begegnet war. Sie hatten Landser-Lieder gesungen, die Karpaten kamen darin vor und Temeswar, und sie trugen blaue Mützen, wie Abiturienten in alten Filmen.

Ich gebe Gas: Die Liebesnacht neigt sich dem Ende zu. Autobahnabfahrt Bayreuth. Irgendwo finde ich einen Parkplatz, erklimme den Hügel – und das gesamte, im Dunkel der Sommernacht rotschimmernde Bühnenhaus mit seiner Fachwerkanmutung beginnt wie von Geisterhand zu klingen. Gespensterstunde: da, die Bässe, husch, ein Flötenton, eine None, ein Fortissimo. Und was bitteschön verirrt sich da in den Bäumen neben dem Osttrakt? „Diese Weise, die so wundervoll und leise“. Ist das nicht Isolde?

Wagner piano und rudimentär, in hauchfeinen Fetzen, das ist es. Das säuselt nicht oder raunt, nein, es taucht so hauchzart wie glasklar aus dem Untergrund auf: Flaschenpost aus der Spätromantik. Fragmente einer Sprache der Liebe nennen die Schlaumeier das. Ich nenne es, für diesmal, betörend: Diese Fata Morgana macht viel mehr Gänsehaut als jeder akustisch halbwegs vernehmliche Tristan-Akkord.

In diesen Tagen liest man vom Halbrund des Bayreuther Zuschauerraums als der teuersten Sauna Deutschlands. Selbst der Kanzler war ja da, der erste amtierende Deutschlands. Vergessen Sie das Festspielhaus, vergessen Sie die Festspielwiesen (unsere kleine Sommerserie von Bayreuth bis Salzburg endet hiermit)! Bleiben Sie einfach draußen vor der Tür und lauschen Sie, wie die Musik ihr Geheimnis ausplaudert. am besten in der Nähe des Osttrakts. Ein kühler Abendwind weht, die ersten Sterne flackern, und Isolde singt sterbend von des Welt-Atems wehendem All. Im nächsten Leben werde ich Festspiel-Chauffeur.

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