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Kultur: Feuchte Räume

Peter Sellars verlegt Wagners „Tristan“ an der Pariser Oper in spiritistische Parallelwelten

So sieht sie also aus, Gérard Mortiers ästhetische Visitenkarte für seine erste Pariser Saison: Messiaens, Janácek, Händel, Richard Strauss. Um die Werkstätten der Pariser Oper nicht zu überfordern, sind die meisten Novitäten Übernahmen aus Salzburg oder dem Ruhrgebiet. Doch szenische Experimente haben es nicht leicht im traditionsverliebten Haus. Und so wurde etwa die „Zauberflöten“-Produktion der katalanischen Aktionstruppe Fura dels Baus von der französischen Kritik schmallippig verrissen – eine Niederlage auch für den Dirigenten Marc Minkowski, der die feinsinnigen „Mozartiens“ unsanft aufrüttelte.

Selbst das Konzept für die jüngste Produktion von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ wurde nicht an der Seine erdacht, sondern im fernen Kalifornien, wo die Sonne blutrot untergeht, das Meer archaisch schwillt, und die Menschen noch an hehre Werte glauben. Viele Bilder dieser Natur- und Religionsphilosophie bilden jetzt auf monströsen Leinwänden in der Bastille-Oper eine eigene, herrische Dimension, die mit dem Begriff Bühnenbild kaum mehr zu fassen ist.

Der New Yorker Künstler Bill Viola, der in seinen Video-Installationen die alten Mythen in epischer Breite und technischem Hochglanz zelebriert, erzählt hier seinen eigenen „Tristan“. Dabei erschafft Viola zum hohen Paar auf der Bühne ein paralleles Menschenpaar im Film: „reine“, charakterlos neutrale Figuren, die sich in quälender Langsamkeit all ihrer irdischen Hüllen entledigen und durch die christliche Taufe in einen anderen Seinszustand geraten. Wasser spielt in diesem Mysterienspiel eine zentrale Rolle, schafft die einzig erträglichen Momente von Violas spiritistisch-aufdringlicher Parallelwelt: als bedrohlich-trüber Schlund; als lichtblaues, euphorisch sprudelndes Medium einer neuen Leichtigkeit des Seins; in Form von schäumenden Kaskaden bei Tristans finaler Himmelfahrt.

Mag sein, dass Violas wet dreams, seine (Fege-)Feuerszenarien und Postkarten-Idyllen bei der konzertanten Aufführung in Frank Gehrys Walt Disney Concert Hall von Los Angeles ihren eigenen Reiz entfalteten. Doch beim „Tristan Project“, wie die Macher ihre experimentelle Innenschau des Musikdramas nennen, stehen sich Video-Show, Personenregie, Wagners Handlung und seine Musik permanent im Weg. Weil Regisseur Peter Sellars den sintflutartigen Bilder- und Wassermassen nichts entgegensetzen kann und will, begnügen sich die Sänger auf der kargen Spielfläche unter der Leinwand mit sparsamen, durch und durch konventionellen Gesten. Von Zen-Handlung und Übertritt in ein geistiges Leben war im Vorfeld oft die Rede. Den Zeitgenossen der Hightech-Ära (der auch Viola angehört) wird man Wagners Ideen mit solchen Naivitäten kaum nahe bringen können. Ist es also wirklich dieser Erweckungskitsch, den Gérard Mortier als Spiegel heutiger Befindlichkeiten verstanden wissen will?

Eher wird die musikalische Leitung diesem Programm gerecht: Esa-Pekka Salonen gehört zu den sieben ständigen Chefdirigenten, die Mortier als Ersatz für den abgeschafften Posten des Musikalischen Leiters vorsieht. Tatsächlich scheint Salonen im anvisierten Kreis (darunter auch Sylvain Cambreling, Christoph von Dohnányi und Valerij Gergiev) der Interessanteste zu sein, der Vielseitigste. Sein „Tristan“ ist ein kammermusikalisches Exempel von lichter Diesseitigkeit (was dem nächtlichen Sujet durchaus widerspricht). Hier waltet kein angestrengter Wagner-Exeget am Pult. Salonens Dirigat entbehrt jeder stofflichen Schwere, keineswegs aber der Magie, wenn das durchsichtige Stimmengeflecht plötzlich rauschhaft verdichtet, das Tempo ekstatisch angezogen wird – wie überhaupt die Tempi subtil auf Handlungskurven und Seelenbewegungen abgestimmt sind.

Waltraud Meier verkörpert einmal mehr die bewegliche, ein wenig zu jugendlich auftretende Isolde mit edlem und nuancenreichem, aber schon etwas sprödem Mezzo. Neben einer großartigen Yvonne Naef als Brangäne kann Ben Heppner nach mühevollem Start die volle Palette seines konditionsstarken Tenors ausschöpfen. Nur die Seele vermisst man bei ihm ebenso wie bei seinem Getreuen Kurwenal (Jukka Rasilainen). Jene Seele, die doch alles beflügeln sollte.

Michael Struck-Schloen

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