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Kultur: Feuerbad im Riesengebirge

Neue Töne im „Ring“: Die Deutsche Oper Berlin mixt Wagner mit elektronischer Musik.

In der Deutschen Oper wird die Welt auf die Bühne gebracht. Das ist technisch nicht möglich, deswegen muss Wagners „Ring“ ausreichen. Das ist an einem gewöhnlichen Sonntag auch nicht möglich, deswegen wird dieser „Ring“ auf knapp zwei Stunden komprimiert. An der Produktion sind neben dem Orchester der Deutschen Oper unter Moritz Gnann und sechs Profi-Sängerinnen und Sängern sowie einem Regieteam unter der Leitung von Robert Lehniger auch 60 Berliner Jugendliche beteiligt, als Tänzer, Musiker, Sprecher, Sänger, Komparsen.

Früh fragt man sich, gebannt von dem Materialmix aus Wagner und Elektro und der ständigen Aktion auf der Bühne, die fast schon action zu nennen ist, angesichts der bunten Kästen und der üppigen Flora, den vielen Palmen und Sträuchern: ob dieser Abend, der die ganze Welt umfassen will, eigentlich für diese Jugendlichen stattfindet oder ob er tatsächlich von ihnen bestritten wird. Hat man ihnen irgendwie durch die Themen dieses Werkes geholfen, zeigen sie einen halben „Ring“? Oder hat man sie dazu ermutigen können, im Gebirge dieses Riesenwerkes wissend und selbstbewusst herumzuklettern und dann einen „Ring“ eigenen Rechts (einen „Ring: Next Generation“) auf die Bühne zu bringen? Schaut man also mit Rührung und Nachsicht zu oder mit Respekt? Das ist gar nicht so leicht zu sagen, beides ist nämlich wahr, und genau hierin liegt der Zauber musikalischer Jugendarbeit.

Zunächst das Technische: Seit September haben die Jugendlichen an dem Projekt gearbeitet. Entstanden ist eine „Versuchsanordnung in drei Stufen“, die musikalisch mit Siegfrieds Tod beginnt, mit bitterschwarzen Schlägen im Orchester, und die dann die Stichworte „Die Welt“, „Die Liebe“, „Das Neue“ als Gliederung nutzt. Gerade das „Neue“ avanciert dabei zu einem allumspannenden Thema, Ausblicke auf Genetik, Perfektionszwang, Utopie und Dystopie inklusive. Dem Regisseur Robert Lehniger standen als Dramaturginnen Dorothea Hartmann und Anne Oppermann zur Seite. Irene Ip hat die Jungen und Mädchen pastellfarben uniformiert, der Choreograph Emmanuel Obeya hat mit ihnen bewundernswerte Solo- und Gruppen-Bewegungen entwickelt. Tobias Yves Zintels Einspielfilme zeigen die Jugendlichen beim In-die-Kamera-Schauen – Gleichmut, Geheimnis, aufgeworfene Lippen, Eitelkeit, alles dabei. Manche blicken nur, andere paraphrasieren Handlungsstränge, wieder andere überlegen laut vor sich hin. Manchmal wird im Publikum gelacht, nicht immer aus reiner Sympathie.

Weiter: Alexandra Holtsch hat neue Musik für diesen Abend komponiert, das Sounddesign stammt von Mathis Mootz, der mit seinem Laptop links der Bühne steht, vor der jugendlichen E-Gitarren-Keyboard-Combo. Einzelne Wagner-Nummern, zum Beispiel „Halt, du Wilder“ aus dem „Rheingold“, werden zunächst ganz erwartbar gespielt und münden dann in Zuckungen und Störgeräuschen, die den Orchesterklang zerschießen. Mitunter wird es richtig laut. Nach den erlösenden „Eine neue Welt kann beginnen“-Akkorden, die das Inferno der letzten „Götterdämmerung“-Momente überstrahlen, klingt ein elektronisches verfremdetes Tropfen, Signal einer nie endenden Geschichte.

Was bleibt von dieser einzigartigen Arbeit mit und am „Ring“? Eine „Siegfried“-Szene führt ihre Möglichkeiten in besonderer Weise vor Augen: Brünnhilde und Siegfried finden zueinander, dazu klingt schönste Musik. Brünnhilde (die Sopranistin Hulkar Sabirova) empfindet „ewig war ich, ewig bin ich“, die Klänge verströmen sich, eine junge Frau und ein junger Mann tanzen einen pas de deux, andere sprechen Verse von der Leinwand, „I bathe in the fire“, Siegfrieds „saug’ ich mir Leben aus süßesten Lippen“. Eine Szene von großer Rätselhaftigkeit und Poesie. Poesie ist das Vorrecht der Jugend, denkt man und hört und sieht genauer hin. Da bricht die Szene. Ein Mädchen auf der Bühne steht auf, andere folgen ihr, ein Mikrofon wird herumgereicht und Diskussionsbeiträge gesprochen, zum Menschen, zur Technik, zum Fortschritt, zur Welt. Die Kunst kippt, das Wissen der Kunst kippt mit, zum Vorschein kommt ein kunstloses Wissen. Auch das ist ein Vorrecht der Jugend. Aber ein anderes. Christiane Tewinkel

weitere Aufführungen am 15. und 20. März, 19.30 Uhr

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