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Kultur: Fieberkinder

Gefühlsduschen und Hormondepots bei den Hamburger Autorentheatertagen

Von „konstruktiver Überforderung“ spricht Ulrich Khuon und strahlt übers ganze Gesicht. Jedes Jahr zum Spielzeitende, wenn die letzten großen Premieren stattgefunden haben, nahezu alle Energien und Kreativressourcen aufgebraucht sind und die Vorfreude auf die Sommerpause durch die Flure des Theaters geistert: Dann eröffnet Khuon, der „Überforderer“ und Intendant des Hamburger Thalia Theaters, die Hamburger Autorentheatertage.

Mehr als zwei Wochen lang standen Gastspiele, Ur- und Erstaufführungen, Lesungen und Publikumsgespräche auf dem Programm. Den Auftakt des sechsten Dramatikerfestivals setzte eine öffentliche Probe von Elfriede Jelineks neuem Stück „Ulrike Maria Stuart“. Eine gar nicht mehr so unfertige Angelegenheit. Nicolas Stemann wird die Uraufführung des Dramas über die RAF-Königinnen Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin (Susanne Wolff und Judith Rosmair) Ende Oktober auf die Thalia-Bühne bringen. So waghalsig dieses Experiment klingen mag, so zielsicher scheint Stemann auf dem Weg zu einer gelungenen Premiere über den Deutschen Herbst zu sein.

Daran reihte sich ein kleines Berliner Theatertreffen: Händl Klaus’ bemüht alberne „Dunkel lockende Welt“ sowie die großartige „Wallenstein“-Produktion von Rimini-Protokoll. Die kluge Stuttgarter „Dogville“-Adaption von Volker Lösch, Schorsch Kameruns schräge Orientierungsoperette für Messestädter „Der Chinese im Kinderbett“ und Tom Kühnels Mao-Marketing-Stück mit Jürgen Kuttner, „Schöpfer der Einkaufswelten“, zählten zu den Höhepunkten der Autorentage 2006.

Irgendwo dazwischen hatte Fritz Katers jüngstes Stück „Abalon, one Nite in Bangkok“ Premiere. Die Uraufführung hatte Peter Kastenmüller im Januar dieses Jahres im Rahmen der Frankfurter Positionen übernommen – am Thalia inszenierte der Autor selbst, respektive dessen Alter Ego Armin Petras. Personal der Geschichte, die nur ein bisschen eine Geschichte erzählt, sind der suizidgefährdete Comiczeichner Abalon (Thomas Schmauser), dessen Bruder (Peter Kurth)– ein UN-Soldat mit Versagervergangenheit – sowie die beiden thailändischen Schwestern aus dem Erotikgewerbe Lin und Mia (Natali Seelig und Katrin Wichmann). Die vier Figuren begegnen sich in der Hitze der Nacht, irgendwo in Bangkok. Manchmal ist Liebe im Spiel, meistens Sex, Verzweiflung und Sehnsucht sowieso.

Fritz Kater geht es um viele große Themen auf einmal, um Aufbruch und Vergangenheit, um Freiheit und Tod, um Europa und Asien. So herrlich trashig die Inszenierung daherkommt, so wunderbar die Schauspieler agieren, ein außergewöhnlicher, tragischer oder irgendwie berührender Abend ist Kater/Petras, dem künftigen Intendanten des Berliner Maxim Gorki Theaters, mit dieser bunten, überwürzten Asiapfanne leider nicht gelungen.

Am Ende des Stückemarathons stand, traditionsgemäß, die lange Nacht der Autoren. Der Juror Hubert Spiegel von der „FAZ“ hatte aus 152 Einsendungen voller „Welterklärungsdramen“ und „Betroffenheitspoesie“, aus „auffällig vielen Familiengeschichten“ und „genug ernüchternder Lektüre“ sechs Stücke ausgewählt. „Fieberkind“ von Simon Froehling und „Leila Surana“ von Alexandra Helmig wurden als szenische Lesung im Hamburger Literaturhaus präsentiert, die übrigen vier, mehr oder weniger gekürzt, und nach nur zehn Probentagen auf der großen Thalia-Bühne uraufgeführt. Mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen. Da wurden in einer bitterkalten Welt Gefühlsduschen und Hormondepots verhandelt („Potenzielle Freunde“ von Stefanie Schütz und Anna Annegret Pein), wühlten sich ein Schauspieler und ein Staatsanwalt in einem schwarzen Ford durch ihre Vergangenheit (Morten Feldmanns „Im Sitzen – Versuch über die Ehrlichkeit“), trieb ein Percussionist drei echte Jugendliche und etliche verlogene Erwachsene durch ihre verkorkste Beziehungswelt („Schwarze Mamba“ von Andreas Jungwirth) und verbreitete ein Dutzend mit Erde gefüllten Schubkarren Beerdigungsatmosphäre für eine Familie der besonderen Art („Am Tag der jungen Talente“ von Polle Wilbert).

Zwischen albern-verspielt, bombastisch, originell und grotesk changierten die Inszenierungen, die doch allesamt höchst professionell jeden Werkstattcharakter vertuschen wollten. Kurz nach Mitternacht war der Saisonendspurt gelaufen. Freudig erschöpfte Mitarbeiter warfen rote Rosen ins Parkett.

Katrin Ullmann

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