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Film: Bretter, die die Welt bedeuten

Der fesselnde Kinofilm „This Ain’t California“ feiert die Skaterszene der DDR – und irritiert: Wie fiktiv darf ein Dokumentarfilm sein?

Wie enorm wenig man sich sicher sein kann, was dieser Film nun zeigt und was bloß behauptet und welche Schlüsse man aus all dem ziehen kann, verdeutlicht wohl am besten die kurze Szene mit dem Nachrichtensprecher. Es muss Mitte der Achtziger in Ost-Berlin sein, das Fernsehstudio ist komplett holzvertäfelt, die Sprecherkrawatte sitzt. Streng warnt der Mann vor einem neuen, aggressiven Trend namens Skateboarding, der aus den USA komme, sich in der Bundesrepublik wie ein Virus ausbreite und nun auch die DDR bedrohe. Dieser Sport schaffe „Unmoral, Skeptizismus und einzelgängerischen Individualismus“, verkündet der Moderator. Und ruft alle Eltern auf, ihre Kinder davor zu bewahren. Wer die Szene sieht, kann sich nicht entscheiden: Wurde diese Sendung tatsächlich im DDR-Fernsehen ausgestrahlt? Das wäre eine Frechheit! Oder ist die Szene frei erfunden? Das wäre dann ebenfalls eine Frechheit!

So geht es einem häufiger mit „This Ain’t California“, dem angeblichen Dokumentarfilm über die real existierende Skateboardszene der DDR. Diesen Donnerstag läuft er in den Berliner Kinos an, zwei Wochen später dann im gesamten Bundesgebiet. Im Februar war er bereits auf der Berlinale zu sehen, dort wurde er vom Publikum gefeiert, wegen der spektakulären Super-8-Aufnahmen, aber ebenso wegen der Veteranen, die so lebendig von ihrer Jugend auf Rollen erzählen. Und natürlich: weil es überhaupt Skater in der DDR gab, wer hätte das gedacht?

Nach der Berlinale-Premiere folgten auch kritische Fragen, zum Beispiel danach, woher das brillante Archiv-Material stamme, die ganzen Kunststücke und rasanten Fahrten unterm Fernsehturm. Die Macher räumten ein, einige Szenen nachgedreht und das nicht kenntlich gemacht zu haben. Allerdings bewusst, aus gutem Grund: Manchmal müsse etwas nachgeholfen werden, um eine wahre Geschichte glaubwürdig und berührend erzählen zu können. Viele Kritiker teilen diese Sicht. Dass die Fraktion der Unterstützer so groß ist, liegt allerdings auch daran, dass das Ausmaß des Nachhelfens bis jetzt nicht einmal ansatzweise bekannt ist. Dabei braucht es nicht viel, um sich der Wahrheit anzunähern.

Die offizielle Geschichte des Films geht so: Drei Jungs aus Magdeburg-Olvenstedt entdecken in den achtziger Jahren das Skateboarden für sich. Einer von ihnen, Denis Panicek, gibt den aufmüpfigen Rüpel, der das Risiko liebt und gerne ausrastet. Deshalb bekommt er nach seinem Umzug nach Ost-Berlin von seinen neuen Kumpels auf dem Alexanderplatz den Namen „Panik“ verliehen. Nach der Wende verlieren sie den Kontakt, Panik will zur Bundeswehr, 2011 stirbt er bei einem Einsatz in Afghanistan. Zur Trauerfeier vereinen sich seine alten Freunde und erinnern sich. Was ihnen das Skaten bedeutete. Und was ihnen Panik bedeutete.

Der Außenstehende kann dabei tief in eine Szene mit Sehnsüchten und Nöten eintauchen. Er erfährt, dass die Regierung versuchte, den vermeintlichen US- Sport unter dem Namen „Rollbrettfahren“ in geordnetere Bahnen zu lenken. Dass Bekannte aus West-Berlin heimlich bessere Bretter in den Osten schmuggelten. Politischer Protest sei Skaten nicht gewesen, sagt Denis’ bester Freund Nico an einer Stelle. Eher die Möglichkeit, sich etwas Kindliches, etwas Licht zu bewahren. Traurige Menschen habe es schon genug gegeben.

Die zwei engsten Vertrauten von Denis, die den Großteil des Films über dessen Leben erzählen und gerade wegen ihres entspannten Plaudertons am Lagerfeuer so authentisch wirken, heißen im echten Leben nicht Dirk und Nico, kommen nicht aus Magdeburg und teilen auch keine Skatervergangenheit mit einem „Panik“. Der eine ist Musiker, den anderen kennt man aus Kinofilmen, wenn auch nicht sein Gesicht: Als Synchronsprecher leiht er unter anderem Johnny Depp seine Stimme, aktuell auch Batman in „The Dark Knight Rises“, bloß ohne den Berliner Akzent. Die dritte Protagonistin des Films, die angeblich westdeutsche Skate-Journalistin und Affäre von Panik, ist ebenfalls bloß Schauspielerin. Das wird an keiner Stelle des Films angedeutet, auch die „Deutsche Film- und Medienbewertung“ in Wiesbaden fiel darauf herein. Sie ordnete das Werk als Dokumentarfilm ein, vergab das Prädikat „besonders wertvoll“. In der Jurybegründung wird gleich mehrfach auf die beeindruckende Erzählleistung der angeblichen Freunde verwiesen. Das Problem: Wenn derart viele Szenen des Films inszeniert sind und die Macher das bewusst verschweigen, worauf kann sich der Zuschauer dann noch verlassen? Darf er davon ausgehen, dass die Staatssicherheit tatsächlich Skater observierte? Dass es überhaupt eine lebendige Szene im Osten gab?  Ja, gab es diese DDR? Der Film jedenfalls beweist es nicht. Fraglich ist auch, ob das Team für sein Projekt 15000 Euro über Crowdfunding zusammenbekommen hätte, wenn es vorab klar auf den hohen Anteil an gestellten Szenen hingewiesen hätte.

Viele Archivbilder, die den Szenehelden Denis Panicek kurz vor der Wende zeigen, sind nicht über 20 Jahre alt, sondern bloß eines. Der Schauspieler Kai Hillebrand ist in die Rolle geschlüpft, ließ sich mit wackeliger Handkamera filmen, um den Retro-Charme der übrigen Aufnahmen nicht zu zerstören. Sie haben eine Menge Aufwand betrieben, um so ein organisches, durchkomponiertes Ganzes zu schaffen, das anderthalb Stunden lang fesselt und auf das man sich als Zuschauer so gerne blind einlassen würde. Wenn „This Ain’t California“ nur ansatzweise Realität wiedergibt, dann war cooles Leben in der DDR möglich.

Zwangsläufig stellt sich die Frage, ob er überhaupt existierte, dieser Denis Panicek, der sich mit dem System anlegte, bei einer Skate-Meisterschaft mit seinem Brett auf einen Stasibeamten eindrosch, dafür im Knast landete. Der dann später, aus welchen Gründen auch immer, zur Bundeswehr ging und in Afghanistan starb. Fragt man Menschen, die direkt an der Produktion des Films beteiligt waren, so bekommt man die Antwort: Nein, in dieser Form gab es Panicek nicht. Er sei ein Mosaik, zusammengesetzt aus Anekdoten verschiedenster Biografien und auch manchem Zugespitzten. Wenn das allerdings stimmte, fiele das Erklärgerüst zusammen, wonach die fiktiven Elemente gerade deshalb nötig seien, um eine wahre Geschichte zu erzählen.

Das Büro von Wildfremd Productions liegt in der Torstraße Ecke Rosenthaler Platz. Oben im fünften Stock sitzt Marten Persiel in der Büroküche. Vor ihm ein Glas Wasser, das Fenster zum Hof steht offen, draußen ist der Sommer ausgebrochen. Marten Persiel ist der Regisseur. „Doch“, sagt er. „Diesen Typen gab es. Fast alle Ost-Skater erinnern sich an ihn und konnten irgendetwas über ihn berichten.“ Er habe auch noch irgendwo Fotos, auf einem sitze Panik in Afghanistan im Panzer.

Persiel selbst verwendet den Begriff „Dokumentation“ nicht, er spricht lieber von „dokumentarischer Erzählung“. Überhaupt solle man von „This Ain’t California“ bitte nicht zu viel Erkenntnisgewinn erwarten. „Den Dokumentarfilm als wissenschaftlich korrekte Form gibt es nicht. Es ist immer der Filmemacher, der daran rumwerkelt. Bei mir ist es vielleicht mehr als bei anderen Dokufilmen.“ Im Oktober geht er nach Los Angeles in die Villa Aurora, die  Künstlerresidenz. Er plant eine neue Doku, und diesmal wird es keine Irritationen geben, wie viel real ist. Die Handlung spielt in der Zukunft.

ab Donnerstag in acht Berliner Kino

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