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Auf glattem Eis. Colin (Romain Duris) und Chloe (Audrey Tautou) kommen sich beim Schlittschuhlaufen näher.

© Studiocanal

Film: "Der Schaum der Tage": L'amour, toujours!

Boris Vians Liebesroman "Der Schaum der Tage" ist Kult unter französischen Jugendlichen. Nun hat Michel Gondry das fantastisch verspielte Werk verfilmt - mit ziemlich erwachsenen Schauspielern.

Es ist Hochzeit auf den ersten Blick. Und Tod auf den zweiten. Oder fast. Kaum Anlauf nimmt Boris Vians Roman „Der Schaum der Tage“, der seit seinem Erscheinen vor 66 Jahren Generationen von frankophonen Jugendlichen verführt, kaum Anlauf vom Kennenlernen bis zur lebensverbindlichen Liebesfeier. Und kaum wagt das Paar vom Glück zu kosten, reißt ein fieses Schicksal es schon in den Abgrund. Auf der Hochzeitsreise atmet Chloe einen durchs Fenster fliegenden Virus ein, und bald fällt ihr Körper einer gefräßigen, in der Lunge sitzenden Seerose zum Opfer.

Einer Seerose? Gewiss doch, einer Seerose. Man kann sie aus einer Lunge rausschneiden, dann richtet sie sich umso gemütlicher in der anderen ein. Da mag Colin, Chloes Ehemann, diesen „nénuphar“ noch so sehr mit immerneuen Blumensträußen zu besänftigen trachten und sich dabei finanziell ruinieren, flink welken sie in Chloes bedrohlich schrumpfendem Krankenzimmer dahin. Drei Albträume weiter wird bereits das Armenbegräbnis angerichtet, und die Bestatter singen – Trauertöne wären zu teuer – schrille Spottlieder dazu.

Höchstes Glück braucht keinen Grund, wenn man jung ist. Tiefste Trauer ebenso wenig. Nichts braucht Gründe, das Leben ist Wunder oder Wunde oder beides zugleich. Aus diesem Gefühl hat Boris Vian, der mit Mitte zwanzig diesen seinen berühmtesten Roman schrieb und mit Ende dreißig starb, eine erschütternde Liebesgeschichte gezaubert. Und, wohl weil er neben dem Schreiben hauptnächtlich Jazztrompeter in den Kellerclubs von Saint-Germain-des-Prés war, aus Jazz. Und vor allem: aus berauschenden Wörtern, die wie Musik klingen. Der „Pianocktail“ zum Beispiel, den Colin konstruiert, mixt zu jedem Stück den passenden, sehr bunten Alkohol.

Nun hat sich Michel Gondry, der Träumetüftler unter den frankophonen Filmregisseuren, daran gemacht, dieses Nichts aus Geschichte und dieses Alles aus Sinnen und Spontansemiologie in irgendwie verbindliche Bilder zu setzen. Er hat sich Audrey Tautou, die ewigsüße Amélie, zur Chloe erwählt und den charmanten Romain Duris zu Colin. Und Omar Sy, als ziemlich bester Freund ziemlich weltberühmt geworden, gibt Colins Koch, Chauffeur sowie dauergut aufgelegten Lebensabschnittsberater.

Kann da noch was schief gehen? Es kann. Und es geht. Bei aller Liebe zu Boris Vian und allem gebotenen Respekt für Michel Gondry: ziemlich sogar. Und das ist gar nicht leicht zu erklären. Vielleicht wird, wer die Vorlage nicht kennt, nachher plötzlich ganz heiß auf den Roman, und das wäre schon mal schön. Tatsächlich hat Gondry fleißig alles richtig machen wollen. Sein Bastelkasten kommt sauber in die Gänge, jedes Bild birst vor Ideen, mal Traum, mal Clip und unbedingt total tolle Vian-Fantasie. Und trotzdem. Oder wohl gerade deswegen.

Erstens: Die seligtraurigen Figuren, im Buch um die zwanzig, sind bei Gondry durchweg Mitt- und Enddreißiger. Das wirkt vor der Kamera bestenfalls niedlich, ganz so, als spielten Erwachsene Kindertheater. Nirgends Jugend. Nirgends Aufbruch, Sehnen, Rausch, Verzweiflung, jener Zauberzinnober der Seele, bevor der Todernst des Lebens ans Brustbein klopft. Oder die Seerose sich einnistet dahinter, die böse.

Michel Gondry findet das mit den älteren Schauspielern nicht schlimm. „Die jungen inspirieren mich nicht“, sagt er beim Interview, „vor allem die männlichen“. Alles eitle Poser, „têtes à claques“, um es unfein zu übersetzen: Backpfeifenfressen. Audrey Tautou dagegen wollte er von Anfang an als Chloe, „als Kämpferin, mit der man nicht bloß Mitleid hat“. Tatsächlich wirkt sie im Film überwiegend kerngesund.

Zweitens ist die deutsche 90-MinutenFassung eine halbe Stunde kürzer als die Originalversion. Dort haben die Figuren ein bisschen Zeit zur Entwicklung, dort geht die Handlung auch mal einen Nebenweg, und dort schmeckt die Gewalt, die Vians Fantasie ihren zarten Helden zumutet, bitter und kalt. Vor allem gegen Ende tut „L'écume des jours“ richtig gut weh, während das sorgfältig eingedüsterte „Schaum“-Finale immer noch hübsch anzusehen ist. So landet Boris Vian schnurstracks in der Bonbonniere.

Auch das stört Gondry nicht weiter. Filmemachen sei sowieso Montage, sagt er, sei Schneiden und Kürzen, und die ursprüngliche Fassung fand er, bevor man ihn um eine straffere Version für den internationalen Markt bat, ohnehin „etwas lang“. Und überhaupt: Wer sich den ganzen Gondry-Vian geben wolle, der könne sich ja jederzeit und bittschön die französische DVD besorgen.

Eine andere Möglichkeit wäre: das Buch lesen. Baden in einer Welt aus Lärm und Schmerz und Stille und Vorstellungskraft, die eigenen Bilder im Kopf. Und achtzehn sein für ein paar Stunden oder allenfalls zwanzig. Der Roman ist auf Deutsch zur Zeit vergriffen? Mal eben dafür französisch lernen, das wäre eine prima Alternative. Es lohnt sich.

In Berlin im Cinemaxx, Filmkunst 66 und FT am Friedrichshain. OmU im Kino Hackesche Höfe und im Moviemento

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