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Auftakt einer Tragödie. John F. Kennedy und Jacqueline Kennedy werden am 22. November 1963 durch Dallas gefahren. Das Bild entstand wenige Augenblicke vor dem Attentat.

© mauritius images

Film des Kennedy-Attentats: 27 Sekunden und eine Kamera

Ein Bürger von Dallas, Abraham Zapruder, hat zufällig die Ermordung des jungen Präsidenten gefilmt. Sein Streifen wurde zur Reliquie.

Er hat sich auf einen Steinsims gestellt, etwas erhöht, des besseren Überblicks wegen, aber an einer Stelle, an der die Show eigentlich schon vorbei sein würde. Er hat eine kleine Handkamera dabei. Den Besuch John F. Kennedys in seiner Stadt will er auf Film bannen. Die zahlreichen Zuschauer, die den Weg des Präsidenten säumen, stehen weiter oben, in den Straßenschluchten des Geschäftsviertels. Dort Jubel, Begeisterung, als Kennedys Wagenkolonne von der Houston Street abbiegt und die Rampe zur Hauptstraße hinabrollt. Zapruder filmt.

Es werden die berühmtesten 27 Sekunden, die je auf einem Privatfilm festgehalten wurden.

Abraham Zapruder ist damals 63, und er betreibt ein Geschäft für Damenbekleidung. Nur eine Stunde nach dem Attentat, das auf seinem Film deutlicher als auf jedem der zahlreichen anderen Privataufnahmen Schaulustiger zu erkennen ist, steht bereits ein Journalist vor seiner Tür. Es werden einzelne Bilder in den Medien veröffentlicht, später verkauft Zapruder den ganzen Film an das „Life Magazine“ für 150 000 Dollar. Heute liegen die Rechte beim Sixth Floor Museum, das in jenem Lagerhaus am Dealey Plaza untergebracht ist, von dem aus Lee Harvey Oswald auf Kennedy schoss.

Es sind 27 verwackelte Sekunden. Grobkörnig, farbintensiv, voller Bildsprünge und Schleifspuren. Ein Produkt des Zufalls und eines jener ganz seltenen Dokumente, das die kollektive visuelle Fantasie bis heute prägt. Was an Gefühlen und Schockerfahrungen vom Kennedy-Mord auch 50 Jahre später präsent geblieben ist, haftet am Zapruder-Film. Welches Bild wir uns machen, ist durch ihn geprägt.

Der Mythos des Attentats überschattet die Beweise

Der zwei Meter lange Kodakchrome- Streifen steht damit in einer Reihe mit den Aufnahmen vom Hindenburg-Unglück in Lakehurst 1937 oder den TV-Bildern vom Attentat auf Ronald Reagan 1981 in Washington. Doch es ist etwas Merkwürdiges mit diesem historischen Dokument geschehen. Jeder meint, etwas anderes auf ihm zu entdecken. Woraus US-Autor Don De Lillo in seinem Roman „Sieben Sekunden“ die These ableitete: Jemanden Berühmtes umzubringen gelinge am besten unter den Augen der Weltöffentlichkeit.

Der Mythos des Attentats wird die Beweise überschatten. Obwohl immer dasselbe zu sehen ist – wie die offene Limousine des Präsidenten in die Elm Street einbiegt, gefolgt von den Autos der Sicherheitsbeamten, wie Kennedys Wagen hinter einem Verkehrsschild verschwindet, wie er wieder auftaucht und der Präsident kurz darauf zusammenzuckt, er presst seine Hände an die Kehle, wie er, schwer getroffen und benommen nach Luft ringt und seine Frau Jacqueline sich besorgt ihm zuwendet. Und dann der zweite Treffer. In den Kopf. Eine Blutfontäne. Und Jacqueline Kennedys rosafarbenes Kostüm, das leuchtet.

Zapruders Film, eine Art Reality-Pornografie.

Es ist eine Art Reality-Pornografie. Und Abraham Zapruder war sich dessen bewusst, noch bevor das Material entwickelt war. Er rückte es heraus unter der Bedingung, dass es nur für Ermittlungen verwendet werden dürfe. Woran man sich bekanntlich nicht hielt. Was ist mit den 486 Bildern der Sequenz nicht alles angestellt worden?

Sie wurden schärfer gemacht, vergrößert, verlangsamt und mit anderen Aufnahmen des Moments synchronisiert, um den Vorgang noch deutlicher nachvollziehen zu können. Man findet etliche solcher Studien im Internet. Jedes einzelne Bild ist erfasst. Oliver Stone hat sie zum Ausgangspunkt für sein Hollywood-Epos „JFK“ gemacht. Der Kopfschuss ist Bild 313. Die unmittelbare Brutalität von Kennedys Tod gilt als Initialzündung für das ultrabrutale Kino eines Sam Peckinpah. Aber vor allem die digitale Übersetzung der Sequenz in eine dreidimensionale Szenerie hat aus Zapruders zittriger Aufnahme zuletzt ein begehbares Superbild entstehen lassen.

Die zweite Kugel wird zur "magic bullet"

Vielleicht verhält es sich mit diesem Bild, das als kühle, forensische Matrix aus den historischen Aufnahmen herausgeschält worden ist und die Flugbahn der Geschosse in einer virtuellen Grafik nachvollzieht, wie mit Statistiken. Vielleicht kann man ihm nur glauben, wenn man es selbst manipuliert hat. Denn es ist bis heute eine Glaubensfrage, die die Anhänger der Verschwörungstheorien von denen trennt, die der offiziellen Darstellung folgen, und sie ist simpel: Konnte Oswald in sieben Sekunden zwei mal auf ein sich bewegendes Ziel feuern, dabei nachladen und treffen mit einem über 20 Jahre alten Gewehr?

Offenbar konnte er das. Vielleicht nur dieses eine Mal. Jedenfalls wird Kennedy von der ersten Kugel am Rücken durchbohrt und auch der vor ihm sitzende Senator von Texas erhält einen Lungendurchschuss. Lange wurde diese Kugel als „magic bullet“ bezeichnet, weil sie in früheren Rekonstruktionen eine Kurve hätte nehmen müssen. Dass der zweite Schuss aus derselben Richtung gekommen sein muss, zweifeln ebenfalls viele an. Kennedys Kopf wird nämlich nach hinten geschleudert. Er sei also von vorne getroffen worden, heißt es.

Aber wer weiß schon, was ein Körper macht, den eine Kugel trifft? Vielleicht nur dieses eine Mal.

In einer früheren Fassung des Textes war irrtümlich von einer Super-8-Kamera die Rede. Abraham Zapruder benutzte einen normalen 8-Millimeterfilm.

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