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Über den Dächern bei Nizza. Merle (Anne Ratte-Polle) am Pool.

©  farbfilm verleih

Film: "Halbschatten" von Nicolas Wackerbarth: Stille Tage in Südfrankreich

Nicolas Wackerbarth entwirft in seinem Kino-Debüt "Halbschatten" ein sommerliches Anti-Idyll: Junge Frau besucht ihren Geliebten, doch findet nur dessen pubertierende Kinder vor. Stille Seelen, schöne Bilder - die Berliner Schule lässt grüßen.

Meine Lieblingsszene? Man kann sie kaum Szene nennen, so still ist alles, so angehalten in der Bewegung, ja, fast als wäre die Kamera eine Botanisiertrommel zur Aufbewahrung von Augenblicken extremen Alleinseins, in denen sogar das Menschenempfinden ins nahezu Pflanzliche mutiert. Dabei ist es doch eine noch immer irgendwie junge Frau, die da in Shirt und langen Jeans in der Sonne liegt, wie hingegossen, hingemalt auf den Terrassenboden, während die Kamera in aller Ruhe ihren Hals, ihre Füße, eine Eidechse an ihren Füßen, ihren sanft sich im Atemrhythmus hebenden und senkenden Bauch studiert.

Die zweitliebste Szene kommt sogar ohne Protagonisten aus, es sei denn, man nimmt die Stadt dafür. Einen Vorort von Nizza in der Nacht, um genau zu sein, tief unter jenem Haus mit Terrasse und Pool gelegen, in dem dieser befremdende und zugleich so anziehende Film überwiegend spielt. Passanten gehen durch die stillen Rahmen, die die Kamera von Reinhold Vorschneider dem Geschehen setzt, Autos fahren durchs Bild, ein Gewitter zieht auf. Wir sind im Draußen, abseits der Mitte, die die Geschichte hätte finden können, wenn es denn eine im Sinne von Plot und Story gewesen wäre - und die Kamera nimmt Abschied, in sachte gesetzten Schnitten: Bild für Bild, gerade so lange, um mit und in den Bildern schön allein zu sein.

So geht „Halbschatten“, das Debüt des 1973 geborenen Nicolas Wackerbarth, das von Auslassungen, Vergeblichkeiten, leeren Seelenstellen lebt und sich den narrativen Nötigungen manchmal ermüdend, aber meist elegant verweigert. Was passiert? Merle – Anne Ratte-Polle gibt ihr, herb und hager und hypersensibel, Gesicht und Gestalt – reist nach Südfrankreich, um einen Mann in seinem Ferienhaus zu besuchen. Sie ist Schriftstellerin, er Verlagsmensch, das könnte so passen und passt doch nicht, denn Romuald ist nicht da, nur ab und zu eine genervte Stimme am Telefon und irgendwann eine Silhouette hinter einer Taschenlampe, hinterm Lichtkegel in nächtlicher Garage.

Eine Liebesgeschichte ohne Liebe. Eine Reise ohne Ankunft. Ein Sturz in Zeitlupe in eine Tiefe. Ja, es gibt die pubertierenden Kinder Romualds (Emma Bading und Leonard Proxauf), es gibt Annäherungsversuche und Abstoßungserfahrungen, es gibt Nachbarn, und manchmal ist das Haus dann plötzlich voll und leer zugleich. Oder so voll und leer wie eine Party anderswo, aus der man am besten nach ein, zwei kleinen Irrtümern verschwindet. Keine Spuren hinterlassen, vielleicht darum geht es vor allem: Erst ist das Bild da, dann jemand, der sich darin bewegt, und nachher wieder das Bild. Und Wind. Und Vogelzwitschern. Zikaden. Sommer. Das übrige Ewige eben.

Wer das aushält, ist in „Halbschatten“ richtig. Geläufige Namen der Berliner Schule, Angela Schanelec etwa und Benjamin Heisenberg, tauchen als Segenspender im Abspann auf, und tatsächlich, nicht nur der so traumsicher zwischen Totalen und Nahaufnahmen wechselnde Blick Vorschneiders findet sich in Schanelecs „Marseille“ wieder, sondern auch das Aneinandervorbeitreiben der Figuren, das Ungefähre, das Folgenlose. Nur der zum „Thriller über einige ereignislose Tage“ (Wackerbarth) gehörige Thrill will sich nicht recht einstellen. Da drängen sich drastischere Kinoerinnerungen ähnlich sommersüdlichen Settings dazwischen: François Ozons „Swimming Pool“ etwa oder „La piscine“, der Klassiker mit Romy Schneider und Alain Delon.

Aber müssen denn immer gleich Leichen im Pool treiben? Viel schöner ist es doch, dem Jungen zuzusehen, wie er nachts ins Wasser springt. Oder Merle selbst, die morgens ein Bad nimmt, als sei die Welt eben erst geboren. Sie sind Körper, Lebewesen, die sich, unberechenbar bleibend, in der rechtwinkligen Welt dieses Hügelvillawürfels bewegen, in den riesige und schießschartenkleine Fenster hineingeschnitten sind, von den kantigen Möbeln zu schweigen. Manche Räume, auch psychische Räume, sind so beschaffen, dass man sich nur aus ihnen davonschleichen kann, wenn die Sonnenstarre vorüber ist. Flink und unbemerkt, wie die Eidechsen das tun.

In Berlin in den Kinos fsk am Oranienplatz, Lichtblick und Tilsiter Lichtspiele.

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