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Der Indio-Anführer (Juan Aduviri) in "También la lluvia".

© Berlinale

Film-im-Film: Spiel, Set und Sieg

Konfusion statt Evasion: PANORAMA und FORUM unternehmen einen Streifzug durch die Film-im-Film-Filme.

Manche mögen das gar nicht. Im Kino wollen sie sich davonträumen in was ganz anderes oder ordentlich was lernen über ganz was anderes, aber bloß keinen Film- im-Film-Film, igitt. Das sind auch die Leute, die jene Bilder nicht mögen, in denen der Maler sich selbst an der Staffelei malt, während das Modell, sagen wir, ihn beim Malen beobachtet. Oder die in Romanen ums Verrecken nichts über Romanschriftsteller lesen wollen, die sich, sagen wir, mit dem Romaneschreiben quälen. Kann man verstehen, diese Leute.

Für andere beginnt der Kunstrausch gerade dort: Konfusion statt Evasion, das Wie und nicht das Was und erst recht nicht das Wozu, schließlich ist der Weg das Ziel und so weiter. Diese Leute leiden mit Fellinis Alter Ego in „Achteinhalb“, das langsam durchdreht im Reich der selbsterschaffenen Illusionen. Oder sie lieben Truffauts „Amerikanische Nacht“, in der das Gemachte des Kinos für immer sorgfältig ausgeweidet scheint, zuallererst das Gefühl. Oder, um ein lustiges neueres Beispiel zu nennen, „Whisky mit Wodka“: Henry Hübchen zwischen Rolle und Identität, und vielleicht ist am Ende gerade die bloß noch gespielt.

Wer auf so was steht, ist in dieser Berlinale gerade richtig. Gleich fünf Filme, vier im Forum und einer im Panorama, bauen einen Set im Set auf, lassen die Figuren zwischen Charakter und Rolle oszillieren. Der 29-jährige Joe Swanberg aus Detroit ist gleich mit einem Doppelprogramm dabei. Als einer der Protagonisten der avantgardistischen „Mumblecore“-Bewegung (eigentlich „Mumblecorps“, die Nuscheltruppe) hat er schon acht Filme gedreht, auf Digicams und mit sich selbst als Regisseur vor und hinter der Kamera.

In „Silver Bullets“ bereiten sich Leute auf einen No-Budget-Horrorfilmdreh vor, in „Art History“ werden unablässig Sexszenen geprobt. Nonprofessionelle Twentysomethings reden an- oder ausgezogen vor der Kamera in zugemüllten Wohnungen, und man muss schon genau hinsehen und hören, um im Livestream demonstrativ authentisch ausgestellter Irrelevanzen jene Augenblicke zu erwischen, in dem das Erzählenswerte beginnt. Meist geht es um Eifersucht: Die zwei, die da Liebe spielen, verlieben die sich etwa? Honey, hast du gerade zu deinem dienstlichen Bettgefährten „Ich liebe dich“ gesagt?

Wer Film-im-Film-Filme hasst, wird sie nach den Swanberg’schen Introspektionen noch mehr hassen. Wer sie liebt, merkt sich den Mumblecore-Typen für den Tag vor, an dem er den Rohschnitt seines Frustlebens womöglich ernsthaft zu formen beginnt. Da geht Brigitte Sy in ihrem Debüt „Les mains libres“ schon bekömmlicher vor: Eine Regisseurin dreht einen Film im Knast, aber Set und Setting sind für Sy letztlich nur Vorwand, um von einer großen Liebe zu erzählen. Barbara (Ronit Elkabetz) verfällt dem melancholischen Knacki Michel (Carlo Brandt) und umgekehrt – oder benutzt er sie doch vielleicht bloß? Das ist zwischendrin schon mal ein bisschen aufregend, meist aber arg sanfter Bar-Jazz für die Augen.

Film im Film kann auch sehr solide sein, mit ordentlich Hollywood auf dem Teller, selbst wenn die Sache, wie in Icair Bollaíns Panorama-Beitrag „También la lluvia“ (Sogar der Regen) aus Spanien und Mexiko kommt und in Bolivien spielt. Ein Filmteam um Produzent Costa (Luis Tosar) und Regisseur Sebastián (Gael García Bernal) will mit Indio-Statisten ein herzergreifendes Antikolonialismus-Stück aus Kolumbus’ Zeiten drehen – aber was, wenn der allerneueste Kolonialismus dazwischenfunkt? Gegen den erbitterten Widerstand der Campesinos ist ein internationales Konsortium gerade dabei, das Wasser zu privatisieren, und schon bricht ein Aufstand aus. Logisch, dass die politischen Wirren auch am Set, wo der wilde Daniel (Juan Aduviri) die Indio-Statisten anführt, zu Verwirrungen führen.

Immerhin: ein hübscher Plot. Eine gute Gelegenheit, über Realität und Inszenierung, über ins Heute fortwirkende Geschichte, über Moral und Doppelmoral nachzudenken. Nur wird das Geschehen bald sehr vorhersehbar – bis der pragmatisch-zynische Produzent und der idealistische Regisseur die Rollen tauschen, Besiegelung ewiger Männerfreundschaften inklusive. Darauf ein San Pellegrino!

Nun drängt es den Wünschelrutengänger denn doch zu einem guten Film, ob Film-im-Film oder Normalo-Illusionsmovie, ganz egal. „Hi-So“ des 38-jährigen Thailänders Aditya Assarat, der vor drei Jahren im Forum seine Post-Tsunami- Elegie „Wonderful Town“ präsentierte, ist richtig gut, und zumindest am Anfang passt er sogar ins Genre. Wieder ist der Tsunami von 2004 der Ausgangspunkt: Der junge Ananda (Ananda Everingham) spielt im Film-im-Film einen traumatisierten Klinikinsassen, der langsam ins Leben zurückfindet. Seine Freundin Zoe (Cerise Leang), aus den USA angereist, besucht ihn am Set, aber bald ist er ihr so fremd wie das Land, und sie reist wieder ab. Als Ananda eine Liebesgeschichte mit der Produktionsassistentin May (Sajee Apiwong) beginnt, scheint alles anders zu werden. Aber nicht lange, und die beiden Lieben werden einander immer ähnlicher.

Hier endet der Film-im-Film, und der Film fängt an. Oder die Realität, die von Prägung, Wiederholung, Entfremdung erzählt, davon, dass der Mensch offenbar nie so richtig aus seiner Rolle kann, die er, nun ja, spielt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Mensch? Rolle? Fragen „Hi-So“, „Art History“, „Les mains libres“ und „También la lluvia“

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