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Oscar Isaac in der Hauptrolle des Llewin Davis.

© Promo / espace presse / pack films

Film „Inside Llewyn Davis“: Die Gebrüder Coen - Freunde fürs Leben  

Die Brüder Ethan und Joel Coen tauchen in die Folkmusikszene der 1960er Jahre ab: Ihr „Inside Llewyn Davis“ feiert seine Premiere beim Filmfest Cannes - und holt Justin Timberlake und Carey Mulligan aufden roten Teppich.

Kein Wunder nach dem rauschenden Erfolg bei der ersten Vorführung in Cannes, die Stimmung auf der Pressekonferenz am Pfingstsonntagmittag ist gelöst wie selten. Gelacht habe man eifrig am Set, heißt es allerseits auf eine entsprechend amüsierwillige Fragevorlage hin - und wie zum Beweis lachen die Regie führenden Coen-Brüder, Musikproduzent T Bone Burnett, Hauptdarsteller Oscar Isaac sowie die Nebendarsteller Carey Mulligan, Justin Timberlake und Garrett Hedlund um die Wette. Nur bei einer Frage verstehen die Coens keinen Spaß. Der Film habe keinen Plot? Da rückt Joel postwendend mit jenem Detail heraus, das den Vorwurf fundamental entkräftet. „Die Katze!“

Mit der Katze hat es eine besondere Bewandtnis – es waren übrigens sechs davon am Set, weiß Joel, während sich Ethan sogleich eher an vier zu erinnern glaubt. Die Katze, bei der Pressekonferenz zwar nicht anwesend, spielt tatsächlich eine Hauptrolle in „Inside Llewyn Davis“, auch wenn sie außer Miauen und Murren keinerlei Musik macht. Wobei sie übrigens, auch derlei wird auf investigativen Cannes-Pressekonferenzen verhandelt, ausgesprochen schwer zu trainieren war. „Hunde“, weiß Joel Coen, „wollen den Menschen gefallen, Katzen gefallen nur sich selbst.“

Die Katze im Film gehört den Gorfeins, einem kultivierten älteren Paar mit geräumiger Wohnung an der Upper West Side Manhattans, und bei den Gorfeins hat der hochtalentierte, aber grundsätzlich abgebrannte Folkmusiker Llewyn Davis jederzeit eine Bleibe. Bei den Gorfeins darf er etwa frisch verprügelt aufschlagen, bei den Gorfeins darf er andere Gäste beleidigen, wenn die ihn wie einen Clown zum Vorsingen nötigen, und die Gorfeins heißen ihn nur eine Woche später erneut auf das Liebenswürdigste willkommen, nur dass es diesmal Taboula statt Moussaka gibt. Gorfeins sind Freunde fürs Leben, und wenn Llewyn Davis so richtig tief nachdenken würde, wozu ihm allerdings die Zeit fehlt, sind es vielleicht seine einzigen.

Richtig, da gibt es noch Jim (Timberlake) und Jean (Mulligan), in ihrem Mini-Apartment steht eine Couch, die Llewyn zur Not auch benutzen kann. Allerdings hat womöglich er gerade Jean geschwängert, was Jean – vergesst die zarte Carey Mulligan aus „The Great Gatsby“, stellt euch stattdessen eine fauchende schwarzhaarige Katze vor – aus beziehungstechnischen Gründen gar nicht gut findet. Manchmal kommen andere Musiker wie Troy übernachtungshalber vorbei, die im Folk-Club „Gaslight“ abends immer mal wieder gemeinsam mit Jim und Jean trällern, und die drei darf man sich, geht es nach den Coens, getrost wie Peter, Paul und Mary vorstellen. Auch Llewyn tritt da auf, am Anfang des Films singt er drei Minuten am Stück „Hang Me, oh, Hang Me“, nur er und das Mikro und die kettenrauchenden Schemen im Publikum, und es ist wunderbar. Und anders. So anders. Denn hier ist kein Stimmwerker am Werk, sondern ein Autor, ein Komponist, ein Künstler, einer, der nicht ordentlich kopiert, sondern unordentlich erfindet. Und das ist sein Problem.

„Inside Llewin Davis“, mal traurig, mal grotesk, mal irre komisch, mal zum Heulen

Oscar Isaac in der Hauptrolle des Llewin Davis.
Oscar Isaac in der Hauptrolle des Llewin Davis.

© Promo / espace presse / pack films

Llewyn Davis kommt in jenem Winter 1961 ein bisschen zu früh an in der Musikgeschichte, nur ein paar Wochen früher als Bob Dylan, der im Greenwich Village seinen Welteroberungsfeldzug begann. Llewyn ist im Film zwar auch mal in den Korridoren der Columbia zu sehen, aber einen Vertrag gibt’s nicht, und der Musikkritiker von der Times, der morgen im „Gaslight“ vorbeischauen soll, hat an dem Abend dann doch vielleicht was anderes vor. Llewyn singt und spielt Gitarre, alles famos, nur bleibt er unter dem Radar des Entdecktwerdens und des Erfolgs. Der ganz große Autoren-Folk, so wie ihn Dylan popularisierte, war noch nicht geboren.

Es gab zwar das Dylan-Vorbild Dave Van Ronk, bei dessen Memoiren sich die Coens drehbuchschreibend ein bisschen bedienten, es gab die Songs „Dink's Song“ und „Green Green Rocky Road“, die man popmusikhistorisch mit ihm verbindet, und natürlich sein Album „Inside Dave Van Ronk“, letzteres aber kam erst 1963 heraus, zwei Jahre später. Und wie Van Ronk fährt auch Llewyn in jenem klirrekalten Winter ohne Mantel und mit durchnässten Schuhen bis nach Chicago, um sich dort einem kühlen Impresario vorzustellen, der im Film Bud Grossman heißt und im echten Leben mit Vornamen Al. Früher habe er zu zweit gespielt, sagt Llewyn nachher zu Grossman. Mit dem Kumpel soll er sich, meint Grossman, erstmal wieder zusammentun. Pech nur, dass der Kumpel vor kurzem von der George-Washington-Brücke gesprungen ist, aber das behält Llewyn lieber für sich

Llewyn, der Loser. Llewyn, das verkannte Genie. Llewyn, der Troubleshooter, das auch, Llewyn, einer der streitet, weil ihn das Mittelmaß ankotzt, das ihn umgibt, Llewyn, einer der entsprechend allein bleibt, einer, der sich rauskatapultiert aus der Szene, bevor sie überhaupt eine Szene wird. Davon erzählt „Inside Llewyn Davis“, mal traurig, mal grotesk, mal irre komisch, mal zum Heulen, weil wirklich alles schief geht, was schief gehen kann in dieser einen Woche eines jungen Lebens. Dabei ist Llewyn in tiefster Seele ein Gutmütiger, ein Großmütiger, ja, ein Weiser – nur weiß er es noch nicht.

So große Szenen. Eine mit John Goodman als abgewrackte Jazz-Seele und Folk-Verächter. Einmal besucht Llewyn seinen Vater, spielt ihm einen Lieblingssong, und das Singen zaubert den Ansatz eines Lächelns in das erloschene Gesicht. Die Coens wissen eben, wieviel Trauriges im Überkomischen steckt (und umgekehrt). Bleiben zwei Fragen. Wie geht das plottechnisch weiter mit der Katze? Richtig, sie entwischt – running gag, running cat - aus der Wohnung der Gorfeins, natürlich Llewyns Schuld, und natürlich kümmert sich Llewyn. Und: Ist „Inside Llewyn Davis“ ein Biopic, mit anderen Worten. ist die Figur Llewyn Davis historisch? Ab jetzt schon. 

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