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Oscars

© AFP

Film: Mehr ist weniger - Hollywood vor der Oscar-Gala

Der Kapitalismus frisst seine Täter: Am Sonntag steigt in Los Angeles die 80. Oscar-Gala - Systemkritik ist ihr Leitmotiv.

Der „nukleare Winter“, den Terry George schon kommen sah: Er trifft nun, gottlob, doch nicht ein. Als einer der Gewerkschaftsführer der Drehbuchautoren hatte er ihn für den Fall heraufbeschworen, „dass wir“ – nach zwei Monaten Eiszeit des Schweigens zwischen den Kontrahenten und mittlerweile knapp 100 Tagen Streik – „das Ding nun nicht ratifizieren“. Gemeint waren die 3000 Autoren der Writers Guild of America (WGA), und sie verstanden prompt. Mit 92 Prozent Zustimmung winkten sie den mühsam erkämpften Vertrag durch, der am Montag, just nach der Oscar-Zeremonie, unterzeichnet werden und für drei Jahre Ruhe bringen soll. Und auch das Wetter in Los Angeles spielt plötzlich mit: heiter bis wolkig, 18 Grad. Tendenz sonnig. Und frühlingswarm.

Das Happyend vor vierzehn Tagen, so begrenzt es sich im Detail ausnehmen mag, war auch bitter nötig. Nach dem längsten Hollywood-Streik seit 20 Jahren schafft es nicht nur Frieden an der Beschäftigungsfront, sondern machte – endlich – den Weg für die Oscars frei. Dieses Mega-Event vor allem, in Amerika nur vom Superbowl zu toppen, dem Finale im American Football, hatte die Produzenten und die Drehbuchschreiber unter finalen Rettungsstress gesetzt. Denn der nukleare Winter: Das wäre, trotz der Notpläne der Oscar-Academy, im Kern die Wiederholung der jämmerlichen Golden-Globe-Pressekonferenz vom 13. Januar gewesen, mit blasser Verkündung der Sieger und mit Streikposten vor der Tür. Kein Glamour, nirgends, keine Stars, keine Partys, keine Fernsehübertragungen weltweit, kein Geschäft. Hollywood hätte den Blues gekriegt, und zwar für immer.

Money makes the show go round – so ausgeweidet, so nackt, so verölt auch wie vor diesen 80. Oscars präsentierte sich der Motor Hollywoods wohl noch nie. Die Filmindustrie betreibt das Raffen als Prinzip. Wobei die Drehbuchautoren, die Anlasser der cash machine, arg kleine Rädchen sind und bleiben: Mit ihren zunächst 1300 Dollar pauschal und, im dritten Vertragsjahr, zwei Prozent Verleihumsatzanteil an der Internet- und Handyauswertung ihrer Kreativarbeit haben sie vor allem einen Schaden begrenzt. Denn jahrelang waren die enormen Profite auf dem DVD-Markt an ihnen vorbeigegangen – ein zweites Mal die Zukunft verschlafen, das wollten sie nicht. Andererseits gehen jetzt, nach geschätzten 2,5 Milliarden (!) Dollar Verlusten durch den Streik, die Lichter wieder an: für die Buchhalter das Allerwichtigste.

Auf rund 400 Millionen Dollar beziffert der „Guardian“ allein die Summe, die bei Absage der Oscar-Gala nicht umgesetzt worden wäre, vom Kassenminus der nominierten Filme bis zu den Verlusten der Floristen, von den nicht gesendeten TV-Werbespots (Minus: 100 Millionen Dollar) bis zu den langen Gesichtern bei den Stretch-Limo-Verleihern. Sieben mal mehr Wirtschaftskraft als die sonst selber hochglamourösen Golden Globes mobilisiert die Sonntag Abend steigende alljährliche Sause im Kodak Theatre: Einen derart fahrlässigen Verzicht aufs Geldverdienen hätte kein Autor in sein nächstes Drehbuch schreiben dürfen.

Auch die nominierten Filme selbst halten sich verblüffend an das Leitmotiv Mehrwert. Nicht nur was ihr respektables Durchhaltevermögen an der Kasse angeht: Teils schon seit Wochen gestartet, halten sich alle fünf bestens in den amerikanischen Top-Twenty, allen voran der Überraschungserfolg „Juno“ (bereits 125 Millionen Dollar). Sondern mit verblüffender Deutlichkeit bis in ihren Plot hinein. Denn die knapp 6000 Köpfe zählende Academy of Motion Picture Arts and Sciences hat weder die ebenso massenhaften wie kassenstarken Sequels des vergangenen Jahres noch auch nur einen einzigen der zahlreichen ehrenwerten, aber floppenden Anti-Irakkriegsfilme auf den Schild gehoben. Die drei Hauptkonkurrenten sind Werke, in denen es – durchweg brillant – um Geld geht, viel Geld, und sonst fast gar nichts.

Der wuchtigste, acht mal nominiert, ist Paul Thomas Andersons Öl-Saga „There Will Be Blood“ mit dem favorisierten Daniel Day-Lewis in der bösen Heldenrolle: ein Raffke vor dem Herrn, dessen Stellvertreterchen auf Erden auch ihr Teil absahnen wollen. Für sein stetes Mehr an Moneten, Macht und Material betrügt und mordet dieser Daniel Plainview so lange, bis er mit Stumpf – und viel Stil – seine Mini-Familie und fast sich selbst beseitigt hat. Der Favorit der Buchmacher, ebenfalls in acht Kategorien am Start, ist der melancholische, langsame und superpräzise Allerspätestwestern „No Country for Old Men“ der Brüder Coen: Es geht um nicht viel mehr als einen Koffer mit 2,4 Millionen Dollar – und um die furchtbare und zugleich furchtbar idiotische Blutspur, die die Jagd nach ihm auslöst. Auch in Tony Gilroys verschachteltem Thriller „Michael Clayton“, dem siebenfach nominierten elegantesten Mitbewerber, schreitet die Profitsucht über Leichen – diesmal im Milieu der gar nicht so feinen Anwaltskanzleien und ihrer millionenschweren Mandanten.

Stellt sich da Hollywood selbst ein Zeugnis aus? Sogar ein Hauch der fernen Scheffelhochburg Liechtenstein steckt in diesen Filmen, die Südkalifornien zu ihrem Hauptschauplatz machen – und in ihrer tumb brutalen Männerwelt, die jenseits des Abgreifens von Dollarbündeln kein Gesetz zu kennen scheint. Frauen fehlen („There Will Be Blood“), fungieren als bloße Nebenfiguren („No Country for Old Men“) oder sind, wie Tilda Swinton als sich zur Kaltblütigkeit antreibende Anwältin eines Chemie-Giganten, schmerzhaft deformierte Karikaturen dieses männlich verschlissenen Universums. Schlicht und erschütternd wirkt die Moral des imposanten Film-Trios: Der Turbokapitalismus frisst seine Täter. Und ist abrupt an seinem eigenen Ende angekommen.

Mag sein, dass der sich über Jahrzehnte erstreckende Liebes- und Leidensbilderbogen „Abbitte“ (sieben Nominierungen) und die coole Coming-of-Age- Story „Juno“ (vier Nominierungen) um eine 16-Jährige, die ihr Kind zur Adoption freigibt, angesichts dieser geharnischten Männer-Phalanx Außenseiter bleiben – wie der für „Michael Clayton“ nominierte George Clooney, der sich schon charmant als die „Hillary der Oscars“ bezeichnet. Vielleicht aber schafft es zumindest der unaufwendig gemachte und geradlinig erzählte „Juno“, der die ruppigen Jugendlichen und die christlichen Konservativen gleichermaßen begeistert, punktuell nach oben.

Trostpreise im allseitigen Wortsinn sollten für beide Filme drin sein – geht es in ihnen doch um viel mehr als Geld. In „Abbitte“ wird ein Glück zerbrochen, für alle Beteiligten lebenslänglich, in „Juno“ wird eines unter anderen Umständen und wunderbar umstandslos wiedergefunden. Knete jedenfalls, schöne wegwerfende Geste, will das Mädchen Juno von den netten künftigen Eltern ihres Kindes am wenigsten.

Um das Materielle aber kommen auch diese Filme und ihre Protagonistinnen nicht herum. Schon die Oscar-Nominierungen erhöhen ihren Marktwert – und den der 21-jährigen „Juno“-Heldin Ellen Page am schlagartigsten. Noch mag die Kanadierin in Hollywood als Exotin von erfrischender Natürlichkeit herumgereicht werden; in ein paar Jahren wird sie die Gagen diktieren wie ihre großen Schwestern und Brüder, die das Star-System fast zugrunde gerichtet haben. Millionen als Fixum und danach die Umsatzbeteiligung: Dieses immer häufiger durchgesetzte Prinzip macht, wenn die Filme dann floppen wie zuletzt so häufig, sogar die reichen Studios arm. Wenn alle raffen, rafft am Ende keiner mehr – auch das könnte eine der Lektionen dieses Hollywood-Winters sein. Demnächst laufen die Tarifverträge der 120 000 gewerkschaftlich organisierten Schauspieler aus; vom einem Streik aber der unlängst noch stärksten Verbündeten der Drehbuchautoren ist kaum mehr die Rede.

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