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Forever young. Jim Jarmusch, die Legende des melancholischen, lakonischen, musikalischen, unvermittelt komischen, gerne auch leicht vernebelten amerikanischen Independent-Kinos – hier im Mai vor der Premiere von „Only Lovers Left Alive“ in Cannes.

© REUTERS

Film "Only Lovers Left Alive": Adam und Eva als Snobs

"Only Lovers Left Alive" heißt Jim Jarmuschs neuer Vampir-Liebesfilm für Erwachsene. Wir trafen den legendären Independent-Regisseur und sprachen mit ihm über Leben und Sterben, Gott und die Welt. Und sogar über Weihnachten.

Ist das ein Audiokassettengerät?

Ja, Mister Jarmusch, das lasse ich immer zur Sicherheit mitlaufen, falls das Handy mal spinnt.
Das ist witzig. Kassetten sind gerade wieder im Kommen. Kürzlich war ich in Island, da hatten sie das letzte Vinylpresswerk zugemacht, und die jungen Leute sagten: Dann produzieren wir eben Kassetten. Sie ätzen die Hüllen per Laser, sehr coole Objekte, und dazu der analoge Sound! Ich schlug vor, stellt einfach alte Zigarettenautomaten in Clubs, dann kann man sich daraus die Kassetten ziehen.

Hübsche Weihnachtsgeschenke! Auch Ihr Film startet bei uns zu Weihnachten.

...in Frankreich kommt er am Valentinstag in die Kinos. Auch nicht verkehrt.

Stimmt, Sie erzählen eine Love Story, allerdings eine unter Vampiren. Adam und Eve scheuen das Tageslicht und trinken Blut, um zu überleben. Das passt auch zu diesen dunklen Tagen. Nur dass wir uns zum Fest eher an Rotwein halten.
Ich bin nicht gerade ein Fan von Weihnachten. Als Kind hasste ich es sogar. Mein Vater, ohnehin kein glücklicher Mensch, sorgte jedes Mal für einen Riesenkrach. Auch als Erwachsener ging ich dem Fest jahrelang aus dem Weg. Am liebsten blieb ich ganz allein, oft in meiner Hütte in den Catskills. Da feiere ich wohl auch diesmal, mit meiner Familie. Kinder lieben Weihnachten, also mache ich ein bisschen mit. Ich will kein Spielverderber sein.

Diese Hütte: Wie sieht die aus?
Das Haus liegt auf einem Hügel bei Woodstock, anderthalb Stunden nördlich von New York. Es ist winzig, aber drumherum gibt es sechs Hektar Wald mit einem in den 60er Jahren angelegten Teich mittendrin, so groß wie ein Olympia-Swimmingpool, mit Fröschen, Fischen und Schildkröten. Im Wald gibt es auch Eulen, Schwarzbären, Marder und Skunks, und die Kojoten heulen fast jede Nacht. Mein Lieblingsplatz ist draußen an der Hintertür, man sieht von da aus den kleinen Weg, der zum Teich führt.

Ich stelle Sie mir eher in New York vor, auch viel unter Menschen.
Klar, da lebe ich. Aber New York macht mich müde, es ist so laut. Viel lieber wäre ich häufiger in diesem kleinen Haus, zum Schreiben, und allein.

Eve und Adam: Tilda Swinton und Tom Hiddleston.
Eve und Adam: Tilda Swinton und Tom Hiddleston.

© Pandorafilm

Und da erfinden Sie dann Figuren wie Adam und Eve. Die beiden treiben gelassen durch die Nächte. Wenn sie aber Blut trinken, wirft sie das um, wie Heroin.
Nicht wie Heroin, die beiden dämmern ja nicht weg. Sie erleben einen ekstatischen Moment unmittelbar nach der Einnahme des Bluts. Danach aber sind sie sofort wach und aufmerksam.

Und Sie selber? Halten Sie sich inzwischen nur noch an „Coffee and Cigarettes“, um einen Ihrer Filmtitel zu zitieren?
Tabak rauche ich seit über zwei Jahren nicht mehr. Koffein nehme ich nur noch insofern ein, als es auch in Tee enthalten ist. Und seit fünf Jahren bin ich sogar gegen Wein allergisch.

Mit Flecken im Gesicht und so?
Ja, und Schweißausbrüche, Frösteln, Schwindel! Trockener Weißwein, das geht noch, und Champagner. Und ein bisschen Calvados. Aber die Flasche, die mir ein Freund vor Monaten geschenkt hat, ist noch fast voll.

Und andere Drogen?
Als ich ein gelangweilter Teenager war in Akron/Ohio, habe ich viel genommen, Acid, Pilze, LSD. Nicht dass ich die Erfahrung bereue, aber ein einziges Mal von den Sachen zu probieren, das hätte genügt. Marihuana ist auch heute ab und zu hilfreich, sogar in der Arbeit, etwa beim Schnitt. Wenn ich meinen fertigen Film high angucke, dann sind alle Zweifel an der Struktur völlig verschwunden – oder die Probleme, die ich beim Dreh einer bestimmten Einstellung hatte. Der Film sagt einem schon, was er braucht, das ist das ganze Geheimnis. Bei „Only Lovers Left Alive“ habe ich 30 Minuten rausgenommen, der Film wollte sie nicht. Na, dann packe ich sie eben ins DVD-Bonusmaterial.

Lassen Sie uns über Adam und Eve reden, Ihr Vampirpaar. Wenn man weiter mit Ihren Filmtiteln spielen wollte: Es ist eine sanfte „Permanent Vacation“, die die beiden von der Welt trennt.
Aber sie sind menschliche Wesen, nur verwandelt in eine andere Kreatur. Sie sind keine Zombies, keine Untoten, die vom Sterben zurückkehren.

Andererseits: Adam kauft sich eines Tages ein seltsames Holzprojektil, um sich damit das Leben zu nehmen.
Okay, er ist ein Romantiker, eine Drama Queen. Eve ist anders, aber beide sind auf ihre Weise Snobs, aus gutem Grund. Muss man nicht elitär werden, wenn man wie sie tausend Jahre lebt, gelangweilt durch all die brutalen, stupiden Sachen, die Menschen Menschen antun?

Ich sah sie manchmal eher wie die Götter der griechischen Mythologie, die auf das einzige Privileg der Menschen neidisch sind: sterben zu dürfen.
Ja, vielleicht neidet Adam den Menschen die Sterblichkeit. Eve sieht das ewige Bewusstsein eher als Geschenk.

Warum lebt Ihr Vampirpaar, das sich offenkundig auf sehr eigene Weise liebt, auf verschiedenen Kontinenten?
Ich weiß es selber nicht genau, der Film erklärt es nicht. Andererseits: Wenn man schon so uralt ist wie sie und der Partner ist mal ein Jahr woanders, dann dauert die Trennung doch auch nicht länger als ein gefühltes Wochenende, oder? Adam und Eve akzeptieren einander, wie sie sind, das ist das Wichtigste. Wer jemanden wirklich liebt, will, dass der andere ist, wer er ist. Wer den anderen verändern will, macht die Liebe kaputt.

Adam lebt in Detroit. Ein Hinweis, dass Sie selber in der Nähe aufgewachsen sind und Ihr Vater im Autohandel tätig war?
Er arbeitete in Akron für den Reifenhersteller Goodrich, aber seine Autos kaufte er in Detroit. Wenn meine Eltern deshalb hinfuhren, blieb ich mit meiner Schwester bei den Großeltern. Damals war Detroit ein magischer Ort: Man sagte, ich will einen Chevy Caprice, er soll silberblau sein und der Innenraum in Rot, und wenn man das neue Auto abholte, bekam man eine Nacht im Hotel bezahlt. Heute wohnen in Detroit nur noch arme schwarze Leute. Es ist ein ausgeweidetes Großreich, niemand kümmert sich mehr.

Auch Tanger, wo Eve wohnt, hat diese Aura des Verfalls.
Ja, aber die Stadt ist voller Leben, zwischen Afrika und Europa, zwischen den alten Riten und all dem modernem Zeug. Jemand hat mal geschrieben, Tanger ist wie eine Hure, jeder hat sie benutzt, aber sie ist ist immer noch sie selbst. Die Straßenverkäufer mögen Analphabeten sein, aber sie sprechen Arabisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Englisch: Wie Wasser fließen alle diese Sprachen durch die Stadt! Und sie hat immer Außenseiter aufgenommen. In Tanger stört es niemanden, wenn du verrückt bist. Das mag ich.

Dieses Jahr sind Sie 60 geworden. Was bedeutet Ihnen das Alter?
Wenn ich mich vergewissere, bin ich fast schockiert: Wie konnte das passieren? Andererseits denke ich positiv: Wir Menschen sind Energiefelder. Wenn wir sterben, geht die Energie nur anderswohin. Ich bin kein New-Age-Typ, sondern Atheist, und so mixe ich mir meine Philosophie aus Fantasie und Wissenschaft zusammen. Wer nur immer weiter leben will, lebt linear, er verpasst den Kreis, der auch den Tod enthält.

So wie Ihre Vampire?
Ja, für sie ist es hart. Da halte ich mich lieber an meine Großmutter. An ihrem 99. Geburtstag sagte mein Onkel: Mom, nächstes Jahr wirst du 100, da kommst du mit einem Foto in die Zeitung, vielleicht sogar ins Fernsehen! Darauf sie: Oh, verdammt, da sterbe ich lieber, bevor das passiert! Und so kam es. Mein Onkel hat sie wohl zu sehr erschreckt.

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