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Filmszene: Elser (Christian Friedel) misst im Bürgerbräukeller das Versteck für die Bombe aus.

© Bernd Schuller/Lucky Bird Pictures

Film über Hitler-Attentäter Georg Elser: Ein freier Mensch

Oliver Hirschbiegel zeigt in seinem neuen Film den Hitler-Attentäter Georg Elser als den kleinen Jedermann, der er war. Damit verleiht er dieser ungewöhnlichen Heldenerzählung nachhaltig verstörende Kraft.

Das Anregendste an sogenannten Biopics, die die „wahre Geschichte“ eines allgemein bedeutsamen Lebens erzählen wollen, ist oft ihre Anstiftung zur ergänzenden Neugier. Ein Film sortiert, lässt aus, glättet, arrangiert und arrondiert. Ein paar Klicks später aber verlockt die unerschöpfliche Enzyklopädie des zeitgemäßen Wissens dazu, dem zwangsläufig lückenhaften Puzzle manches fehlende Element einzusetzen.

Ein solches Fundstück in Sachen Georg Elser, dessen Attentat vom 8. November 1939 um ein Haar die gesamte Spitze des Nazistaates ausgelöscht hätte, ist die Aussage seiner einstigen Geliebten Elsa Härlen, als die junge Bundesrepublik 1950 erstmals die Lebensumstände des kurz vor Kriegsende erschossenen Widerständlers erforschte. „Elser war ein still veranlagter Mensch, der außer seinem Beruf und seiner Passion für Musik nichts kannte. Er war in seinem Beruf sehr geschickt, und es gab auf handwerklichem Gebiet kein Problem, das er nicht gelöst hätte. (…) Wenn ich selbst oder andere Personen in seiner Anwesenheit über Maßnahmen der NSDAP schimpften, so war er in seinen Äußerungen immer sehr konsequent. Er sagte immer, man ist dafür oder dagegen, aber Diskussionen liebte er nicht.“

Oliver Hirschbiegel erfasst Elser als sensiblen Einzelgänger

Ein sensibler Einzelgänger also – und genau so erfasst ihn Oliver Hirschbiegel in seinem Film – war dieser Schreiner von der Schwäbischen Alb, einer, dem auch einsamstmögliche Entscheidungen zuzutrauen waren. Ein Pazifist, aber kein Kommunist, trotz seiner früheren Beziehungen zum Rotfrontkämpferbund. Einer, in dem ab Mitte der dreißiger Jahre der Entschluss reifte, eine „Höllenmaschine“ zu konstruieren und diese Bombe in eine Säule hinter dem Rednerpult des Münchner Bürgerbräukellers einzubauen, wo Adolf Hitler die alljährliche Gedenkrede an seinen 1923 misslungenen Putsch halten sollte. Einer schließlich, der bewiesen hatte, dass auch ein Einzelner – also: jeder Einzelne – sich hätte Hitler entgegenstellen können; eine Erkenntnis, die in der Verdrängungsgesellschaft der fünfziger Jahre nicht eben opportun war.

Oliver Hirschbiegel, der noch vor einem Jahrzehnt dem Diktator in „Der Untergang“ ein vom Faszinosum seines Gegenstands spürbar erfasstes, dröhnendes Denkmal gesetzt hatte, nähert sich diesem so anderen Helden, den man einen solipsistischen Hitler-Antipoden nennen könnte, in aller Behutsamkeit. Den spektakulären Höhepunkt der sonstig unscheinbaren Biografie Elsers etwa, das penibel geplante und perfekt ausgeführte Attentat, unterspielt der Film, statt ihn dramatisch auszuschlachten. Auch die bittere Pointe – die Bombe explodierte 13 Minuten zu spät, weil Hitler seine Rede abkürzte und wegen schlechten Wetters noch am Abend einen Sonderzug nach Berlin statt des Flugzeugs nahm – funktioniert eher als dramaturgisch eingekapseltes Schreckensmaterial. Ein Thriller ist dieser „Georg Elser“, aber einer der sehr leisen Art.

Die Szenen implodieren

Die aufwendigen, (angst-)schweißtreibenden Vorbereitungen des Attentats, die Explosion, die Festnahme Elsers an der Schweizer Grenze: Diese Eingangsszenen, zu denen ein Hollywood-Studio fraglos einen fetten Begleitsound geordert hätte, scheinen hier, untermalt von einem minimalistischen Score, eher zu implodieren. Fortan begegnet Georg Elser, den Christian Friedel als feinnervigen Wuschelkopf gibt, dem Zuschauer als Gefangener. Den Apparat hatte er sprengen wollen, nun foltert und bricht ihn der Apparat. Dessen größere Rädchen sind Kripochef Arthur Nebe (Burghart Klaußner) und Gestapochef Heinrich Müller (Johann von Bülow). Während Bülow den linear Bösen mimt, legt Klaußner seine Figur als janusköpfiges Machtmonster an: augenblicksweise gemütlich, um alsbald wieder eisern „Abführen!“ zu brüllen.

Nicht, dass die Folterszenen nicht drastisch wären; zugleich aber sind sie insofern von vornherein absurd, als die von Hitlers Entourage getriebenen Exekutivschergen nun aus Elser einen Komplizenhintergrund herauszuquälen trachten, den es nicht gibt. Erst als Elser die Bombe vor ihren Augen nachbaut, verliert der Verdacht jede Grundlage. Und der Gefangene avanciert, statt sofort hingerichtet zu werden, im KZ Dachau für fast fünf Jahre zu einem Vorzugshäftling – mit Schreinerwerkstatt in eigener Zweitzelle; sogar seine Zither darf er behalten. Nur zu dem geplanten Schauprozess nach gewonnenem Krieg ist es denn doch nicht mehr gekommen.

Wie sich Königsbronn in eine Nazi-Festung verwandelt

Was macht so einen Film, dieses so tragisch wie grotesk gescheiterte Heldenleben aushaltbar? Es sind die Rückblenden in die schwäbische Heimat und die frühen dreißiger Jahre, es ist Elsers Liebesgeschichte mit eben jener Elsa, die aus ihrer dumpfen Ehe zu dem romantischen Musikanten ausbricht und der der Film einige schlichtweg zauberhafte Szenen verdankt. Aber bei aller Buntheit gegenüber dem Zellendunkel der Gegenwart, bei allem Lebensfrühlingssommer gegenüber der jahreszeitlosen Ewigkeit des Gefangenseins: Auch diese Liebe erodiert, weil Elser sich immer tiefer in seine Schweigsamkeit und bald auch seinen niemandem mitteilbaren Plan zurückzieht. Katharina Schüttler als Elsa hält hierfür ihr Gesicht wie einen lebenden Spiegel hin: vom Glühen bis zur Todesblässe.

Genauso aber verwandelt sich auch das ländliche Idyll. Von den Braunhemden, die die Kommunisten aus der Dorfkneipe prügeln, von der auf dem Marktplatz wie an den Pranger gestellten Bäuerin, die sich „mit Juden einlässt“, bis zum Hakenkreuz auf dem Heuwagen und gleichgeschalteter Kraft-durch-Freude beim Erntedankfest: Schritt für Schritt verwandelt sich Königsbronn in eine Nazi-Festung, stellvertretend für die Gemeinden in ganz Deutschland. Im Rückgriff gerade auf den Dorfmikrokosmos wird drastisch deutlich, dass zwischen Ausgrenzungs- und Vernichtungsideologie kein substanzieller Unterschied besteht – und dass die staatlich angefachte Aggressivität bis in kleinstnachbarschaftliche Verhältnisse eingeübt wurde.

Elser: "Ich bin ein freier Mensch gewesen"

Zur Erklärung für seine Tat gab Elser seinen Verhörern zu Protokoll: „Ich bin ein freier Mensch gewesen. Man muss machen, was richtig ist. Wenn der Mensch nicht frei ist, stirbt alles ab.“ Dieser klare Kontrapunkt zum gesellschaftlichen Arrangement ist zu allen Zeiten unangenehm. Dass Hirschbiegels Film ihn nicht laut herausposaunt, sondern Elser den kleinen Jedermann bleiben lässt, der er war, verleiht dieser so ungewöhnlichen Heldenerzählung ihre nachhaltig verstörende Kraft. Jeder kann ein Elser sein, wenn er denn will.

„Georg Elser – Er hätte die Welt verändert“ läuft ab Donnerstag im Kino. Ein ausführliches Interview mit dem Regisseur finden Sie hier.

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