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Videokunst

© Galerie

Film und Kunst: Die Hand Gottes

Hollywood kann warten: Die Videokunst meldet sich zurück und erobert jetzt auch den Markt. Denn Film besitzt mit vielen Künsten eine heimliche Seelenverwandtschaft.

Videokunst ist ein so selbstverständliches Medium geworden, dass inzwischen alle Künstler – auch Maler und Fotografen – gelegentlich zur Kamera greifen. So jagt nicht nur in den Galerien und auf den vier Kunstmessen Berlins viel über die Bildschirme. Es scheint, als hätten viele Künstler erst jetzt, vier Jahrzehnte nach der Entstehung der Videokunst, das Medium richtig im Griff.

Besonders hoch legt Sue de Beer die Messlatte. Nicht alle gehen so meisterhaft mit Schauplätzen und Kostümen um und verweben dabei noch einen ganzen Rattenschwanz an kunsthistorischen Bezügen wie die in Massachusetts geborene Videokünstlerin, die in der Galerie Arndt und Partner die Arbeiten „The Quickening“ und „Permanent Revolution“ zeigt. Letztere wurde erst kürzlich fertig und bezieht sich in einzelnen Episoden auf die Geschichte des Bauhauses und dessen unterdrückte esoterische Seite.

Dabei ragt wie immer in Sue de Beers dunklen, filmischen Horrorwelten die Kulisse des Films in den realen Raum hinein. Ein Element, auf das der italienische Künstler Armin Linke, nur ein paar Schritte weiter in der Galerie Klosterfelde, gänzlich verzichtet. Seine Videoarbeiten sind eher eine Ergänzung zu den fotografischen Welt-Atlanten, die er auf Reisen mit der Kamera einfängt. Die sture Konzentration der hoch sensiblen Devon-Rex-Katzen, die Linke unterwegs beobachtet hat, wirkt einfach besser, wenn die Tiere in Bewegung sind.

Die Qualität der Videokunst sei in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, meint auch Anne Maier vom Art Forum. Dass die Messestände am Funkturm dieses Mal reichlich mit bewegten Bildern bestückt sind, hängt auch damit zusammen, dass das Sammeln von Videokunst mittlerweile salonfähig geworden ist. Sammlerin Ingvild Goetz gab die Richtung vor, als sie vor fünf Jahren damit begann, sich auf Videokunst zu konzentrieren. Im Juni dieses Jahres eröffnete dann Julia Stoschek in Düsseldorf ein Privatmuseum ausschließlich für Videokunst. In Berlin hat sich Ivo Wessel auf das Medium spezialisiert. Das sind eindeutige Signale.

In Wohnräume passen Arbeiten wie die acht Meter breite, dreiteilige Videoanimation „Whale“ von Jacco Olivier, die Galerist Thomas Schulte auf dem Art Forum zeigt, allerdings auch nicht. Ein riesiger, gezeichneter Wal taucht im blauen Wasser auf und verschwindet kurz darauf wieder in der Abstraktion. Dieselbe Arbeit zeigte Schulte im Frühjahr schon bei einer Galerieausstellung, sogar noch größer, damals war sie zwölf Meter breit. Dagegen wirken die kleinformatigen Alltagsepisoden, die Jacco Olivier sonst produziert, wie kleine Handyfilmchen.

Eine weitere Überraschung hält Schulte in seiner Galerie bereit. Neben der Installation „The Radio“, die erstmals auf der diesjährigen documenta gezeigt wurde, ist eine kleine, feine Videoarbeit von Iñigo Manglano-Ovalle zu sehen. „You don't need a weatherman“ (2006/07) generiert ein Computerbild samt Musik, das ständig von den aktuellen Daten einer Wetterstation beeinflusst und verändert wird.

Gleich eine ganze Reihe jüngst entstandener Videoarbeiten fasst ungemein stille, atmosphärische Momente ins Bild und macht damit eine mögliche Seelenverwandtschaft zwischen Malerei und Film sichtbar. Das Unterwasser-Video „Standing on a water melon in the Dead Sea“ der israelischen Künstlerin Sigalit Landau (Galerie Alon Segev), ebenfalls auf dem Art Forum zu sehen, ist zugleich Performance-Dokumentation und poetisches Tableau vivante. Auch der Berliner Galerist Olaf Stüber konzentriert sich auf dem Art Forum auf kontemplative Videoarbeiten. Der Künstler Dirk Meinzer filmte Seekühe in einem Fluss in Tansania, Astrid Nippoldt fokussiert auf die minimalen Veränderungen des Mount St. Helen im Tagesverlauf, und Corinna Schnitt zeigt in einem Video ein Spielplatzgerät, mit dem rein gar nichts passiert.

Ob man diese poetischen Filmkunstwerke in der hektischen Verkaufsstimmung einer Messe angemessen aufnehmen kann, ist eine andere Frage. Aber das war schon immer das Problem der Videokunst. Sie fordert Zeit, Konzentration, Dunkelheit. Sie verträgt keine Ablenkung. Oder umgekehrt: Sie zieht die Aufmerksamkeit von dem ab, was sie umgibt.

Die Galerie Herrmann und Wagner, deren Künstler sonst mehr mit Fotografie und Skulptur zu tun haben, geht deshalb einen anderen Weg. Sie lädt zur „Video Lounge“ in die Galerie und zeigt aktuelle Arbeiten von Boris Eldagsen, Susi Jirkuff oder Junebum Park im geschützten Raum. Für die sechs Künstler ist Video nur ein mögliches Ausdrucksmittel. Der Fotograf Miklos Gaàl, der bekannteste Vertreter der „Helsinki School“, zeigt mit „Coffee to go“ zum ersten Mal eine Videoarbeit. Er beobachtet den Weg eines Kaffeebechers in den Gully. Der koreanische Künstler Junebum Park spielt mit Perspektive, Vorder- und Hintergrund, indem er eine Hand wie Gottes verlängerten Arm in die Szenerie einer Straßenkreuzung eingreifen lässt.

Auch die Nebenmesse Preview hat, wie schon im vergangenen Jahr, eine separate „Video Art Lounge“ eingerichtet. Insgesamt 26 Werke aus dem Repertoire der teilnehmenden Galerien wurden ausgewählt: alles frische Arbeiten, kaum eine ist älter als zwei Jahre. Viele Animations- und Trickfilme seien eingereicht worden, sagt die Berliner Kuratorin Sabine Schütze. Einen thematischen Schwerpunkt gäbe es aber nicht. Das Spektrum reicht von filmischen Produktionen mit professionellen Schauspielern und sündhaft teuren Kulissen wie beim Schweizer Künstlerduo Com & Com bis hin zu amateurhaften Spezial-Effekten in „Baby Marleena“, einem Film der Kanadierin Erica Eyres. Eine Tendenz zur Darstellung subjektiver Gefühlswelten ist deutlich zu verzeichnen. Videokünstler wie Sigurdur Gudjonsson und Sigga Bjorg Sigurdardottir, beide aus Island, oder die in Berlin lebende Andrea Loux sampeln Bildfragmente aus verschiedenen Kontexten, mischen sie mit Soundelementen und Traumsequenzen und erzeugen surreale, apokalyptische, rätselhafte Stimmungen.

Die aktuelle Videokunst ist nicht nur ausgefeilter, cineastischer und strammer in ihrer Selbstbehauptung geworden. Vor allem stehen neue und vielfältigere Präsentationsmöglichkeiten zur Verfügung. Flachbildschirme in allen Größen kann man mittlerweile für 500 Euro erstehen, es gibt lichtstarke Videobeamer, die auch im Hellen kontrastreiche Ergebnisse erzielen. Dadurch werden Videos für Galerien und Museen interessanter, aber auch für den privaten Gebrauch möglicher Kunstkäufer.

Galerie Arndt und Partner, Galerie Klosterfelde, beide Zimmerstraße 90/9; Thomas Schulte, Charlottenstraße 24; Herrmann und Wagner, Koppenplatz 6

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