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Idyll am Rande der Ile-de-France. Reda Kateb und Sophie Semin als Ehepaar.

© Festival

Filmfest Venedig (1): Sie müssen reden

Beim Filmfestival von Venedig treffen Aliens auf dauerdialogisierende Sommergäste. Wim Wenders hat ein Stück von Peter Handke verfilmt, der Kanadier Denis Villeneuve präsentiert einen Science-Fiction-Film.

Was ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen? Mit ihm, sagt Wim Wenders in Venedig, begann die Geschichte der Menschheit. Er hat Kriege ausgelöst und die Liebe dazu, ein Apfel war auch noch dabei. Also liegt der Apfel in Wenders’ 3-D-Adaption von Peter Handkes Theaterstück „Die schönen Tage von Aranjuez“ auf dem Tisch des Schriftstellers, der zu dichten beginnt, auf einer Olympia-Schreibmaschine. Es wird eine Paradiesgeschichte, ein Sommermärchen.

Wenders spricht mit sanfter Stimme im Konferenzsaal des Filmfests Venedig, er ist ein Meister der Kommunikation, zugewandt wie wenige Regisseure. Jede Frage erwidert er mit einer Gegenfrage, will erst mal wissen, in welcher Sprache er antworten soll, bemerkt lächelnd, dass 3-D-Auskünfte immer von Männern erbeten werden, bittet darum, die Schauspieler einzubinden, und hält eine Lobrede auf die Eleganz und Leichtigkeit der französischen Sprache. „Die schönen Tage ...“ ist sein erster französischer Film.

Ein Tisch unter der Pergola

Der Wind bläst durch die Bäume vor dem alten, verwunschenen Haus, in dem Sarah Bernhardt einst wohnte, auf dem Hügel am Rande der Île-de-France. In der Ferne schimmert Paris. Das kann Wenders gut, sein Publikum mitnehmen an einen besonderen Ort, in diesen Garten mit dem Tisch unter der Pergola, an dem ein Mann (Reda Kateb) und eine Frau (Sophie Semin) sitzen und nichts weiter tun, als miteinander zu reden.

In der Uraufführung am Wiener Burgtheater spielte Jens Harzer Katebs Rolle, jetzt übernimmt er den Part des Dichters, den Wenders dem Originaltext hinzugefügt hat. Manchmal bedient er die Jukebox im Haus, ein Song erklingt, auch das eine Hommage an Handke, an seinen „Versuch über die Jukebox“. Einmal sitzt Nick Cave persönlich am Klavier. Und der Gärtner mit der Heckenschere, ist es nicht Peter Handke persönlich?

Sex, Sommer und Schwalben

Draußen unter der Pergola fragt der Mann die Frau nach ihrer ersten Liebe, nach dem ersten Sex, sie sprechen über frühere Sommer, über Schwalben, die im Sand baden, über wilde Beeren, verlorenes Glück. Und schon ist Schluss mit der Leichtigkeit, denn Sophie Semin betont jedes zweite Wort, ihre angestrengte Beiläufigkeit tötet die Poesie. Wenders kann Atmosphäre zaubern, Dialoge zu inszenieren fällt ihm schwer. Die Kamera zeigt den Apfel in Großaufnahme, den jetzt Reda Kateb in Händen hält, und als hätten wir die Botschaft nicht verstanden, füllt der Lärm der Welt gegen Ende die Tonspur, ein apokalyptisches Brausen, das die Vögel übertönt und die Aura des Orts zunichtemacht.

Wenders ist eben auch ein Mahner, ein Prediger, der sein Publikum zur Besinnung bringen will: Chattet und googelt nicht nur, redet miteinander! Ach ja. Da sind einem die Aliens doch lieber, die sich im zweiten Wettbewerbsfilm an diesem Donnerstag, „Arrival“ von Denis Villeneuve, ebenfalls mit den Tücken der Kommunikation plagen. Sie landen auf der Erde (apokalyptisches Brausen!), Oktopus-ähnliche Wesen, die sich mit mysteriösen Tintenklecksen verständlich zu machen versuchen. Übrigens ist es eine Frau, die ihre Botschaft entziffert.

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