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Kultur: Filmfestival von Venedig: Krieg an allen Fronten

Macht Berlusconi, der neue starke Mann Italiens, der Biennale in Venedig und damit der international prominentesten Kulturinstitution des Landes demnächst den Garaus? So harsch kann man es - noch - nicht sagen.

Macht Berlusconi, der neue starke Mann Italiens, der Biennale in Venedig und damit der international prominentesten Kulturinstitution des Landes demnächst den Garaus? So harsch kann man es - noch - nicht sagen. Die Stimmung unter den Machern zu Beginn des 58. Filmfestivals am Lido, seltsam wattiert und unfroh, lässt allerdings Schlimmes befürchten für die Zukunft der traditionsreichen, künstlerisch offenen und politisch im Zweifel eher linken Mostra, die sich erst vor vier Jahren mit einem neuen Statut mehr Autonomie gegenüber den mächtigen staatlichen Dreinrednern erkämpft hatte. Und wenn es ganz schlecht kommt, ist dies das letzte Filmfestival unter der Leitung des renommierten Alberto Barbera. Der hatte es seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren binnen kurzer Zeit geschafft, Risikofreude in der Programm-Auswahl, kommunikativ-atmosphärischen Pragmatismus und ein geradezu deutsches Organisationsgenie auf das Eleganteste miteinander zu verbinden.

Viel diskutiertes Anzeichen für das neue, schlechte Klima zwischen Politik und Kunst im neuen Italien ist eine Art Affront des frisch bestallten Kulturministers von Berlusconis Forza Italia, Giuliano Urbani, der sich von der Eröffnung des Filmfestes abmeldete. Er weile im Ausland, hieß es am Mittwoch - und das klingt so, als hätte sich weiland Michael Naumann bei der Berlinale wegen eines Segeltörns in der Karibik entschuldigen lassen. Auch Urbanis Kollegin, die Gleichstellungs-Ministerin Stefania Prestigiacomo, fehlt am Lido, wie sich überhaupt die Regierung nur mit Honoriatioren der zweiten Garde blicken lässt. Zur Schluss-Gala, wohin sich "die eingeladenen Gäste offenbar orientieren", wie Biennale-Chef Paolo Baratta diplomatisch sagt, wird immerhin der Kulturminister erwartet, zusammen mit dem Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi.

Das alles mag Protokoll sein - und ist doch, wie jedes Protokoll, zugleich viel mehr als das. Denn das Statut, das der Biennale ihre "um jeden Preis zu bewahrende Selbständigkeit" (Barbera) sichert, kann im April nächsten Jahres vom mächtigen Verwaltungsrat gekippt werden - und damit auch der Vertrag des obersten Biennale-Lenkers Paolo Baratta. Der sagte am Dienstag der "Repubblica" auf die Frage, ob er weitermachen wolle, er sei in seinem Leben "nie als Kandidat" aufgetreten, und im übrigen hänge alles "vom Atem, vom Sauerstoff, vom Rückhalt und vom Mut" ab, mit dem die Politik hinter den künftigen Unternehmungen der in allen Kunstsparten tätigen Biennale stehe. Bei der Pressekonferenz zum Festivalstart gestern Mittag äußerte sich Baratta formvollendet kühl - aber dahinter mit ähnlicher Schärfe: Sein Job sei es, dafür zu sorgen, dass "das Schiff fährt". Von eigener Zukunft keine Rede. Inzwischen wird bereits gemunkelt, dass die neuen Herren Italiens auch den liberalen Barbera nicht mehr dulden wollen, obwohl dessen Vertrag noch bis zum Herbst nächsten Jahres läuft.

Auch das Programm ist schon im Vorfeld unter Feuer genommen worden. "Antiamerikanisch" sei es, mit nur zwei Beiträgen im Hauptwettbewerb - ein Vorwurf, den Barbera auf der Pressekonferenz mit dem Hinweis aufgreift, es seien insgesamt zwölf amerikanische Filme zu sehen. "Traurig" auch seien die meisten Filme, heiße es Leuten, die sie noch gar nicht gesehen haben können; Barbera kontert in einer weiteren "kleinen Anmerkung" ebenso explizit, er habe eine "guten Mix" aus Komödien und Dramen ausgewählt. Merkwürdig, merkwürdig. Was wäre denn das offenbar gewünschte proamerikanische Gute-Laune-Kino - und, mehr noch, was hätte es auf einem Festival zu suchen? Und wieso muss sich ein Festivalmacher überhaupt mit solch seltsamem Quoten-Hinweis rechtfertigen - statt offensiv zu vertreten, er werde nicht dafür bezahlt, Stimmungen zu berücksichtigen, sondern die jeweils stärksten Filme eines Jahrgangs auszuwählen?

Kruzitürken!

Nun, bei Milcho Manchevskis Eröffnungsfilm "Dust" ist er, um es gelinde auszudrücken, nicht fündig geworden. Mag sein, dass die Festivalmacher ihn mit einem gewissen selbstreferentiellen Soupçon ausgewählt haben, schließlich herrscht in ihm praktisch ein Dauerkrieg, zwischen Völkern, Geschwistern und Generationen. Und geschrieen wird in "Dust" so ausdauernd und hingebungsvoll wie womöglich in den Büros der politisch bedrängten Biennale, wenn nicht gerade die Medien ihre Mikrofone hinhalten. Künstlerisch aber enttäuscht der zweite Film des seit Jahrzehnten in Amerika lebenden Mazedoniers, der 1994 mit seinem großen Episoden-Wurf "Vor dem Regen" den Goldenen Löwen in Venedig und später weitere 31 Filmpreise gewann, auf der ganzen Linie. Und politisch ist er nachgerade ein Skandal.

"Dust" versucht, das Amerika von heute mit dem Mazedonien vom Anfang des vergangenen Jahrhunderts zusammenzuspannen - die Idee mag autobiografisch motiviert sein und ist doch dramaturgisch kapital misslungen. Ebene eins: Ein junger Schwarzer (Adrian Lester) bricht auf der Suche nach Geld in der schlichten New Yorker Wohnung einer alten, asthmatischen Dame (Rosemary Murphy) ein, wird von ihr überrascht und fortan mit der Knarre in Schach gehalten. Ebene zwei: Die Alte drängt ihm die Story von zwei amerikanischen Brüdern (David Wenham und Joseph Fiennes) auf, die vor langer, langer Zeit, in Liebe zur gleichen Prostituierten entbrannt, gen Mazedonien zogen, um dort als Söldner Krieg zu führen, gegen die Türken und vor allem gegeneinander. Ebene drei: In mehreren breit ausgespielten ländlichen Schlachtszenen treten die Türken als dumme, laute, dauerlachende Dauerschurken gegen heldische, noble, in ihrer Ehre und Souveränität gekränkte Mazedonier auf - und werden folglich, nachdem sie einige provokant grausliche Verbrechen begangen haben, rechtens von überlebenden Mazedoniern niedergemäht.

Zurück zu Ebene eins: Wie sich herausstellt, ist die Alte mitten in einem solchen Gemetzel geboren worden. Und stirbt gegen Ende des Films. Bleibt dem jungen Schwarzen nichts, als - zutiefst geläutert - ihre Asche heim ins mazedonische Reich zu schaffen.

Vergangene Woche hat Manchewski in der "Süddeutschen Zeitung" ebenso besonnen wie eindringlich die Nato an ihre "moralische Verpflichtung" gemahnt, eben jene UCK-Albanertruppen zu entwaffen, die sie selbst im Kosovo-Konflikt ausgerüstet hatte - bevor diese mit eben diesen Waffen richtig Krieg gegen Mazedonien führen. "Dust" wirkt - gedanklich laut, strukturell wirr und absolut humorfrei - im Gewande eines Western-Easterns wie der Propagandafilm für Manchewskis These, nur verkleidet in einer historisierenden Folie. Statt der albanischen Moslems gerieren sich hier die Osmanen als Oberuntermenschen, und die Mazedonier sind so unschuldig wie die Lämmer, die im Film reihenweise abgeschlachtet werden. Und der schwarze Junge, dem die Alte den Balkan erklärt: so gesehen, ist er niemand anderes als der Westen, der im Kampf gegen den ewig osmanischen Islam gewissermaßen mit Fanfarenstößen erweckt werden muss. Die Killer-Fratzen-Ästhetik, mit der die Türken stereotyp ins Bild gesetzt werden, hat - und das ist der Skandal - etwas durchaus (Neo-)Faschistisches. Was hat das Festival geritten, diesen Film zur Eröffnung zu programmieren? Das sarkastische Vergnügen, zumindest den ganz rechten Freunden Berlusconis eine Freude zu machen, kann es doch nicht sein.

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