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Boost my libido. Charlotte Gainsbourg bei der Intensivierung ihres Geschlechtslebens.

© Concorde

Lars von Triers "Nymphomaniac 2": Die überlegene Frau

Es gibt wieder jede Menge Nacktheit in Lars von Triers "Nymphomaniac 2". Doch die Fortsetzung seines skandalumwitterten Films ist weder Provokation noch Porno, sondern ein amüsanter, verspielt-philosopischer Sex-Essay.

Eines Tages hat Joe alias Charlotte Gainsbourg ihre Sexsucht satt und geht zu den anonymen Sexsüchtigen. Da steht sie im Stuhlkreis wie auf einer Bühne, Krankheit als Theater, denkt man und fühlt sich an den Bretterboden von „Dogville“ erinnert. Es ist eine dieser ausgesprochen heiteren Szenen von „Nymphomaniac“, in der Lars von Trier ein klassisches Kinomotiv und zugleich sich selber zitiert. Obendrein verkuppelt er zwei denkbar ungleiche Genres, den Sex-Essayfilm mit der Komödie. Die komödiantische Seite von „Nymphomaniac“ wird vor lauter Hype leicht übersehen. Also: „Mein Name ist Joe, und ich bin Nymphomanin.“

Falsch, sagt die Therapeutin, die Krankheit heißt Sexsucht. Joe bleibt stur und verlässt die Runde gleich wieder. Als nutzlos erweist sich auch der Rat der Therapeutin, sie solle alles beseitigen, was sie an Sex denken lässt. Dem Kinozuschauer beschert das gleich die nächste komische Episode, in der Joe Fenster, Spiegel, Mischbatterien und Klobürste abklebt.

Sie erzählt also weiter. In den 130 Minuten von „Nymphomaniac 2“ sitzt Joe erneut im Pyjama im Bett von Seligman alias Stellan Skarsgård, der sie in Teil 1 als zerschundene Kreatur aufgelesen hatte. Immer noch versucht sie, diesen freundlichen Bücherwurm, der noch nie Sex hatte, davon zu überzeugen, dass sie ein schlechter Mensch ist – schon weil sie als Mutter versagt hat. Immer noch diskutieren sie über Moral und Scheinheiligkeit, Sucht und Sadismus, Orgasmus und Gewalt, Egoismus und Einsamkeit. Was die von Seligman beigesteuerte Kultur des Abendlandes betrifft, spielen diesmal die sinnliche Ost- und die lustfeindliche Westkirche eine Rolle, die große Hure Babylon und Messalina, die nymphomanische Frau des römischen Kaisers Claudius. Und die Frage, wie man eine Pistole entsichert.

Nein, auch Teil 2 ist kein obszöner Provo-Film – und ein Porno schon gar nicht. Sondern schlicht die Fortsetzung von Lars von Triers philosophisch-verspielter Erkundung der dunklen Seiten der Seele. Zwar gibt es auch in Kapitel 6 bis 8 nackte Hintern, entblößte Genitalien und erigierte Schwänze zu sehen, aber sexgeilen Schaulustigen dreht Lars von Trier eine verdammt lange Nase. Als Joe glaubt, ihre erstorbene Libido von „gefährlichen Männern“ reanimieren zu lassen und sich mit zwei Schwarzafrikanern im Billighotelzimmer trifft, kabbeln sich die beiden ununterbrochen in ihrer für Joe unverständlichen Sprache. Schon bald meint man, ihre hochaufgerichteten Penisse um die Wette plappern zu sehen – sehr lustig das Ganze. Mit Sex hat es rein gar nichts zu tun.

Überhaupt geht es in „Nymphomaniac“ obsessiv um Sprache, um Verständigung, um angemessene, verbotene, hinreichende Wörter. So wie Joe sich damit herumschlägt, dass ihr kein Orgasmus vergönnt ist, schlägt der Filmemacher Lars von Trier sich mit Unverständnis herum, spätestens seit er 2011 die Öffentlichkeit mit seinem Nazi-Gerede in Cannes brüskierte. Mit „Nymphomaniac“ betreibt er Exorzismus in eigener Sache, führt einen Disput über die Sehnsucht und die Einsamkeit des Künstlers. Mein Name ist Lars, ich bin süchtig danach, dass ihr mich versteht – und bleibe stur bei meiner Diktion. Trotz aller Düsternis in der Seligman-Wohnung, aller theaterhaft artifiziellen oder steril-hässlichen Schauplätze und aller sezierend-nüchternen Einkreisung der Begierde gibt es etwas hinreißend Erotisches in diesem Film: die Kamera.

Sie kann sich nicht sattsehen am Gespräch von Seligmann und Joe, flattert zwischen den Gesichtern hin und her, fixiert Augen und Münder, um sich alsbald wieder ablenken zu lassen. Sprunghaft, fragmentiert, nervös, erregt – „Nymphomaniac“ ist aus der Warte der Verliebtheit gedreht.

Unentwegt sprengt der Film den selbst gesteckten Rahmen, betreibt Blasphemie an den eigenen heiligen Kühen. Freud wird zitiert – und jede Psychologie alsbald verworfen. Stars treten auf, Jamie Bell als Profi-Sadist, Willem Dafoe als Mafia-Boss, Udo Kier als Kellner, Jean-Marc Barr als Päderast – und schnell wieder ab. Die Musikgeschichte (Bach, Beethoven, Mozarts „Requiem“, Wagners „Rheingold“, die Talking Heads, „Hey Joe“) wird herbeizitiert – bloß ausrichten kann sie nichts.

Und wie verhält es sich mit Lars von Triers Frauenbild? Joe ist eine paradoxe Figur, eine willensstarke Dulderin, eine Märtyrerin voller Wundmale, und zugleich eine Täterin. Die Frau spricht, der Mann hört zu. Seligman wiederum ist hochgebildet, aber es verleiht ihm nur auf den ersten Blick mehr Menschlichkeit. Wie schon in „Melancholia“ glaubt Lars von Trier an die Überlegenheit der Frau. Er kämpft für ihre Freiheit, auch mit sich selbst.

Eine Gesellschaft, die eine Mutter verurteilt, wenn sie der eigenen Lust zuliebe ihr Kind im Stich lässt, ist ohne Zweifel bigott, wie Seligman bemerkt. Denn Männern sieht die Gesellschaft so etwas großzügig nach. Wobei man die schier unerträgliche Szene, in der das Kind allein zu Haus fast vom Balkon fällt, schon aus „Antichrist“ kennt. So schlägt sich Lars von Trier weiter mit seinen Dämonen herum und beschert dem Kino die ungeheuerlichsten, großartigsten Filme. Eine Erlösung ist nicht in Sicht. Auch wenn am Ende ein Schuss fällt.

Ab Donnerstag in acht Berliner Kinos

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