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Filmkritik: Quartett in Fies-Dur

Psycho, Panik und Komik im globalen Wohnzimmer: Roman Polanski hat Yasmina Rezas Theaterstück „Gott des Gemetzels“ mit Starbesetzung verfilmt.

Aus größter Nähe entsteht oft Ferne, aus Freundschaft Feindschaft und im Drama auf engstem Raum die Zimmerschlacht. Doch hat der Weltkrieg im Kleinen und Allzumenschlichen auch den Effekt: Die Tragödie kippt schnell in die Komödie, wird zur erleichternden Farce. Der Abgrund ist womöglich nur eine Pfütze, und wenn die Fetzen nicht mit Fäusten, sondern Worten fliegen, mit Worten wie Dolchen und süß wie Gift, kann das saukomisch sein. Für alle Schadenfreunde, die sich selber im Sicheren wähnen. Im Theater oder im Kino. Im „Gott des Gemetzels“, dem neuen Film von Roman Polanski, nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Yasmina Reza.

Es beginnt mit einer Fernsicht. Irgendwo in einem Park, auf einem Spielplatz in Brooklyn tummeln sich ein paar Rotznasen. Rangelnde Schulkinder, wohl ein Streit, weit weg, vor der New Yorker Skyline kaum zu erkennen, kaum der Rede wert. Das ist Polanskis erster Trick. Denn im Gegenschnitt beginnt gleich das Kammerspiel. Der wahre Kampf im Inneren. Penelope und Michael haben Nancy und Alan kurz zu sich nach Hause eingeladen, weil der elfjährige Sohn von Nancy und Alan ihrem gleichaltrigen Jungen bei einer Keilerei nach der Schule zwei Schneidezähne demoliert habe. Man steht hinter Penelopes Laptop, sie hat eine kurze Schilderung des Unfalls aufgesetzt, sie soll eine einvernehmliche Stellungnahme für die Versicherung ergeben.

Eine Lappalie. Zwei zivilisierte Paare im mittleren Alter, verständige Eltern, gut situierte Mittelstandsbürger, man findet einander nicht unsympathisch, das alles ist schnell geregelt. Und dann adieu, good bye, man hat noch Termine.

Die Geschichte scheint schon nach wenigen Minuten am Ende zu sein. Der Anwalt Alan, gespielt von Christoph Waltz, hat nicht einmal seinen Trenchcoat ausgezogen, mit Gattin Nancy alias Kate Winslet ist er bereits ein paar Schritte zur Wohnung heraus, Jodie Foster und John C. Reilly als Penelope und Michael stehen zum Abschied noch in der Tür – da geschieht zum ersten Mal das Wunder dieses großen kleinen Vierpersonenfilms.

Yasmina Rezas und Roman Polanskis Drehbuch-Dramaturgie und die unaufdringliche Raffinesse des psychologischen Meisterregisseurs schaffen es, über die zwei Paare einen gleichsam zwanglosen Zwang zu verhängen. Einen unsichtbaren Bann, der die Besucher Alan und Nancy wieder und wieder umkehren lässt. Zurück in Penelope und Michaels Apartment.

Vor einem halben Jahrhundert hatte in Luis Buñuels „Würgeengel“ eine Partygesellschaft plötzlich nicht mehr das Haus der Gastgeber verlassen können. Damals waren freilich höhere, surreale Mächte im Spiel. Bei Reza & Polanski gibt es nun keine Engel und keinen Teufel, man würgt nur an den freiwilligen Problemen einer Gesellschaft, die selbst die Konflikte ihrer halbwüchsigen Kinder noch sozial perfekt diskutieren, regulieren, korrigieren, rationalisieren möchte. Als sei man die private UN – das spielt in New York –, und der kleine Sicherheitsrat tagt im Wohnzimmer, bis den zwei Elternpaaren alle Sicherungen explodieren.

Schon die ersten Worte sind Waffen. Fallstricke. Legen Lunten. Penelope, die sich als Buchautorin unter anderem um die Menschenrechte in Innerafrika kümmert, hat im Laptop notiert, dass der junge Zahnausschläger mit einem Stock „bewaffnet“ gewesen sei. Ausgestattet, ausgerüstet, nicht bewaffnet sei sein Sohn gewesen, erwidert der Jurist Alan. Das wird sofort konzediert. Doch der scheinbar ausgeräumte Vorwurf steckt im einmal ausgesprochenen Gedanken, gärt weiter fort. Ein Wort gibt das andere.

Das dauert kaum anderthalb Stunden. Polanskis Film erzählt diesen komödiantischen Urknall der politischen, mitmenschlichen Correctness in Echtzeit, als klassische Einheit von Ort und Handlung. Eines kurzen Tages Reise in die Macht des Schicksals. Wobei die Fatalität keine große ist, die Fallhöhe wirkt alltäglich. Aber das Geniale liegt hier nicht im Was. Das genial Komische steckt im Wie.

Wie dieses fabelhafte Schauspielerquartett sich auf engstem Raum immerzu auf doppeltem Boden bewegt, wie aus Andeutungen subtile Bosheiten werden, wie der betuliche Goodwill in Kriegserklärungen umschlägt. „Ich wisch mir den Arsch mit Ihren Menschenrechten!“, rotzt die grandiose Kate Winslet als eben noch supersmarte Börsenmaklerin Nancy die dünnlippige Penelope der vorderkorrekt hinterbiestigen Jodie Foster an. Kurz zuvor hat sie sich schon den Mund gewischt, eine kleine Übelkeit, allerdings haben Penelopes Kunstkataloge („der Kokoschka!“) dabei eine Ladung Kotze abgekriegt. Folgt ein Reinigungs-Slapstick.

Natürlich ist da inzwischen auch der Alkohol im Spiel. Wie einst bei Edward Albees Theaterfilm-Zimmerschlacht „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ Doch das Schönste ist, dass die Paarungen und Koalitionen hier nicht schwerblütig sexuell, sondern schwebend spirituell und zugleich handfest argumentativ wechseln. Aus dem scheinbar treuherzig gemütlichen Sanitärvertreter Michael macht der voluminöse John C. Reilly mal einen sensibel Genervten, mal einen höhnisch bekennenden Barbaren. Christoph Waltz als aalglatter Advokat, der auf dem Handy nebenbei ständig irgendwelche Pharma-Schweinereien eines Großmandanten berät, gibt der Alltagsvernunft eine wunderbar breitmäulige, kiefermahlende Halbseidigkeit – und die Allianzen ändern sich quer durch die Paare und Geschlechter. Wobei Loriots philosophische Einsicht, dass Männer und Frauen nicht so recht zueinander passen wollen, am offenen Ende wohl triumphiert.

Wie schon in seinem Thriller „Ghostwriter“ hat Roman Polanski, der aus bekannten Gründen die USA nicht mehr betritt, hier erneut ein virtuoses Kunst-Amerika geschaffen. Doch Rezas ursprünglich in Frankreich angesiedelte Geschichte spielt im globalen Wohnzimmer – und Panikraum. Komisch für alle Paare und Passanten, für Eltern und gute böse Kinder.

Ab 24. November in den Kinos.

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