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Bradley Cooper (links) und Robert De Niro in "Silver Linings"

© Senator Film

Filmkritik "Silver Linings": Silberstreif an der Familienfront

Komisch, dramatisch, romantisch: David O. Russells filmischer Genre-Mix „Silver Linings“ feiert die dysfunktionale Harmonie.

Es wäre ungerecht, zu behaupten, die Therapie hätte keine Wirkung gezeigt. Als Pat (Bradley Cooper) nach acht Monaten aus der psychiatrischen Anstalt kommt, in die er wegen einer bipolaren Störung und eines tätlichen Angriffs auf den Liebhaber seiner Frau eingewiesen worden war, hat er den Jargon und die Strategien seiner Therapeuten verinnerlicht: positives Denken, konstruktiv genutzte Energie und ein in einzelne Schritte gegliederter Lebensplan.

Der Titel des Films spielt auf die Redensart every cloud has a silver lining an, der zufolge sich hinter jedem Schicksalsschlag auch eine Chance verbirgt. Dumm nur, dass sich diese Silberstreifen-Therapiefloskeln und Pats Motivationsmantra „Excelsior!“ auch nicht gerade scharfsinnig anhören, wenn man sie auf die Wirklichkeit loslässt. Dass Pat gerade eine manische Phase durchläuft, macht die Sache nicht besser.

Es ist unklar, ob Pat eher Opfer der Krankheit selbst oder deren Therapie ist. Die Mischung ist jedenfalls heikel. Zu seinen Aggressionen und Stimmungsschwankungen gesellen sich zudem eine in der Behandlung antrainierte unverblümte Ehrlichkeit und ein geradezu wahnhafter Optimismus, der ihn manche Tatsachen einfach ignorieren lässt. Pat will um jeden Preis seine Frau Nikki zurückgewinnen. Dass sie die Scheidung eingereicht und ein gerichtliches Kontaktverbot verhängt hat, erscheint ihm nicht als ernstliches Hindernis.

Schritt für Schritt verfolgt Pat seinen Plan. Schritt eins: die Bücher lesen, die Nikki an ihrer Schule unterrichtet. Doch schon das erste, „A Farewell to Arms“, bringt ihn auf die Palme: wie kann Hemingway die Geschichte über ein zwischenzeitliches Happy End hinwegerzählen, um sie schließlich schlecht ausgehen zu lassen? Also Schritt zwei: in Form kommen. Pat verfolgt einen strengen Trainingsplan, die meiste Zeit läuft er in Joggingkluft herum, darüber einen Müllsack mit Löchern, um noch mehr zu schwitzen. Seine Medikamente nimmt er nicht, weil sie ihn aufschwemmen.

Schritt drei: die Annäherung. Wenn Pat keinen direkten Kontakt aufnehmen und sich Nikkis Haus nicht nähern darf, dann muss er eben strategisch vorgehen. Da passt es gut, dass ihn sein Freund Ronnie zum Essen einlädt, dessen Frau Veronica mit Nikki befreundet ist. Ebenfalls eingeladen ist Veronicas Schwester Tiffany (Jennifer Lawrence), die ebenso wie Pat psychisch labil und traumatisiert ist. Ihre Aggressionen sind jedoch eher nach innen gerichtet, die Depressionen nach dem Tod ihres Mannes kompensierte sie mit wahlloser Promiskuität.

In einem wunderbaren Gespräch über Psychopharmaka kommen sich Pat und Tiffany näher. Sie freut sich, endlich jemanden zu treffen, der noch durchgeknallter ist als sie selbst, und sieht in ihm einen Verbündeten. Für ihn ist sie vor allem ein potenzieller Draht zu Nikki. So schließen sie einen Pakt: Tiffany überbringt Nikki einen Brief, wenn er ihr bei einer „Tanz-Sache“ hilft. In ihrer Garage hat sie sich ein kleines Tanzstudio eingerichtet, in dem sie sich fortan gemeinsam auf einen Tanzwettbewerb vorbereiten.

Es ist eine Zweckbeziehung, die beiden hilft. Bradley Cooper, bekannt aus den „Hangover“-Filmen, meistert den Spagat zwischen Drama und Komik und harmoniert prächtig mit Jennifer Lawrence („Winter’s Bone“, „Die Tribute von Panem“), die ihrer Figur gleichermaßen Verletzlichkeit und Härte verleiht. Regisseur David O. Russell („I Heart Huckabees“, „The Fighter“) ist spezialisiert auf angeknackste Charaktere, nie hat er sie jedoch so einfühlsam und verständnisvoll inszeniert wie hier.

Ebenfalls typisch für Russell ist das große Ensemble, hier abgerundet durch Pats Eltern Dolores (Jacki Weaver) und Pat Senior (Robert De Niro). Besonders Pat Senior, der sich sein Geld als illegaler Buchmacher verdient, wegen Stadionverbots die Football-Spiele vor dem Fernseher verfolgt und dabei mit seinen abergläubischen Zwangsneurosen hilflos Einfluss zu nehmen versucht, lotet die Grauzone zwischen Normalität und Wahnsinn wirksam aus. Seine Frau Dolores ist die einzige Vernünftige im Bunde, wenn man die liebevolle Loyalität zu ihren verrückten Männern mal als vernünftig bezeichnen möchte.

„Silver Linings“ schwankt zwischen Drama, Romanze und Komödie so schnell wie die Stimmungen seiner Protagonisten, fest zusammengehalten von den herausragenden Schauspielern und seiner allen Widrigkeiten trotzenden, positiven Haltung. So mündet der Film in ein flammendes Bekenntnis für die dysfunktionale Familie, ohne dabei die psychischen Defekte seiner Charaktere zu verharmlosen. Natürlich gibt es für sie kein einfaches happily ever after. Aber das ist noch lange kein Grund, den Fehler von Hemingway zu wiederholen.

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