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Filmkritik: Susanne Lothar in ihrer letzten Rolle in "Staub auf unseren Herzen"

Susanne Lothar ist im vergangenen Sommer verstorben. In "Staub auf unseren Herzen" spielt sie ihre letzte Kinorolle. Die Geschichte: ein Mutter Tochter-Mutter-Duell, das mehr erfahren als erzählen will.

So eine Mutter spricht man am besten, wenn überhaupt, mit Vornamen an. Aber Chris (Susanne Lothar) besteht auf Kuschelknuddelnähe, jedenfalls wenn es ihr passt. „Ich bin nicht ansteckend, ich bin deine Mutter“, kann sie zum Beispiel zu ihrem pubertierenden Sohn Gabriel (Oskar Bökelmann) sagen, wenn sie sich nach einem verstockten Krach kniestreichelnd versöhnen will. „Nicht anfassen!“, bellt sie aber ihrer erwachsenen Tochter Kathi (Stephanie Stremler) entgegen, wenn sie selbst einen Grund zum Richtigbösesein zu haben meint.

Ganz doll lieb hat diese Frau, die als Psychologin ihre Klientel gern mit kühlen Suggestivfragen zum Weinen bringt, ihren vierjährigen Enkel Lenni (Luis Kurecki). So lieb, dass sie ihn ihrer eigenen Tochter wegnimmt, als der Junge Kathi mal kurz auf dem Wochenmarkt abhandenkommt. Den Kleinen umklammert sie dann auf ihrem Schoß, weil sie sonst nichts mehr zum Umklammern hat. Ihr Exmann Wolfgang (Michael Kind) hat sie vor Jahren betrogen und die Familie sausen lassen. Auch er hat offenkundig ein Kuschelproblem: Neuerdings wieder aufgetaucht, will er Chris und gleich die ganze Familie wiederhaben.

Ein egozentrischer Schleimipapa. Eine Schauermama, die sich mit Gewalt als overprotecting Oma versucht. Wie soll die eher erfolglose Nachwuchsschauspielerin Kathi da erwachsen und selbstständig werden, wenn die Mutter ihr zu allem Überfluss auch noch eine hübsche Altbauwohnung im selben Haus gekauft hat? Denn Kathi soll ja raus mit Lenni aus ihrem, wie Chris sagt, „Loch“ irgendwoanders in Berlin, der Kleinzimmerwohnung mit Ofenheizung, Ivar-Regalen und grellgelben Fünf-Euro-Klappstühlen. Klar, Mamachris weiß, wo’s langgeht, geradewegs bergab in die Herrscherhölle.

Einen unglücklichen Widerling von Mensch spielt Susanne Lothar, die vergangenen Sommer 51-jährig gestorben ist, in ihrer letzten Kinohauptrolle. Und sie drängt sich in diesem hochpräzisen, schmerzhaften, die Alltagswelt zu einem unvergleichlich grauen Leuchten bringenden Film der dffb-Absolventin Hanna Doose doch keineswegs als Hauptperson auf.

„Staub auf unseren Herzen“ schildert vielmehr ein furchtbares Tochter-Mutter-Duell, aus dem die Tochter, dunkler Trost, als Siegerin hervorgeht. Unerschütterlich langsam und mit zeitweise den Zuschauer peinigender Selbstbeherrschung gibt Stephanie Stremler das Komplementärpendant zur punktgenau schnelldenkenden und pfeilpräzis ihre Kurzsätze herausfeuernden Lothar. Das ist aufregend, und vor allem: Es tut weh.

Hanna Doose, für diesen ersten Langfilm 2012 mit dem First-Steps-Award ausgezeichnet, ist bereits 2004 („Häschen in der Grube“) und 2006 („Gut möglich, dass ich fliegen kann“) mit furios stillen Kurzfilmen aufgefallen. Beide spielen im – mal durch Kindesmissbrauch, mal durch Alkoholismus – beschädigten Familienmilieu, wobei kranker Liebesdurst und fortschreitende Verwahrlosung vor allem die Abhängigen der Abhängigen zerstören. Inszeniert ist diese Welt, in der Hoffnung allenfalls sternschnuppenhaft aufscheint – etwa in zartem Singen oder schüchternem Tanz allein –, schon in den frühen Filmen dramaturgisch sparsam und absolut unsentimental.

„Staub auf unseren Herzen“ hat Hanna Doose auf der Grundlage eines Treatments mit am Set improvisierten Dialogen erarbeitet. Ihre Neugier auf das, was Schauspieler mitbringen, hat sie wie ein vorsichtiges Manifest ins Presseheft geschrieben: „Lässt sich nicht noch etwas anderes, Wahrhaftigeres finden, um die Geschichte zu transportieren?“ Wie schön: Regisseure, die nicht nur erzählen, sondern vor allem etwas erfahren wollen, sind so häufig nicht.

Babylon Mitte, fsk am Oranienplatz, Filmkunst 66 und Lichtblick

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