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Gegenschuss - Aufbruch der Filmemacher

© Kinowelt

Filmreihe Aufbruch: Gegen das Schnulzenkartell

Die Achtundsechziger-Familie: Der Dokumentarfilm "Gegenschuss. Aufbruch der Filmemacher" erzählt von verwegenen Jungfilmern und der Gründung des Filmverlags. Im Filmkunst 66 läuft dazu eine Reihe mit Werken von Fassbinder, Herzog und Wenders.

Ohne Verwegenheit wäre alles anders gekommen. Hätten die Filmemacher 1962 im „Oberhausener Manifest“ darauf verzichtet, Opas Kino kategorisch für tot zu erklären, und weniger nassforsch ihre Ansprüche formuliert, wäre ihr Papier wohl als eine von unzähligen Kurzfilmtage-Resolutionen ad acta gelegt worden. So gut wie keiner der rund zwei Dutzend Unterzeichner hatte bis dahin einen Spielfilm inszeniert. Man stelle sich vor, was heute geschähe, wenn zwei Dutzend Anfänger bei irgendeinem Kurzfilmfest die Revolution ausrufen und versprechen würden, alles neu und besser zu machen. Damals gingen sie sogar noch einen Schritt weiter: Sie forderten zusätzlich, dass man ihnen die nötigen Mittel zur Verfügung stellen solle.

Das Establishment des deutschen Films fand das nicht so toll. Die Alten nannten die Oberhausener abschätzig „Jungfilmer“, Alexander Kluge beschimpfte die Gegenseite umgekehrt als „Schnulzenkartell“; allein dessen Entmachtung könnte den maroden deutschen Film retten. Etwas später warf er der Filmwirtschaft vor, sie habe, abgesehen von Will Tremper und Bernhard Wicki, keinen einzigen Regisseur hervorgebracht, der nicht schon vor Kriegsende gedreht hätte. Es gab noch ein paar mehr Ausnahmen, aber Kluges Vorwurf hatte seine Berechtigung. Denn der Wille zur Innovation keimte erst, als das Kino der Bundesrepublik auch wirtschaftlich auf der Nase lag – als sich in den sechziger Jahren so gut wie keine deutsche Produktion mehr exportieren ließ. Man schmorte im eigenen Saft, und der war ranzig geworden.

Zum Glück waren die Jungfilmer nicht nur verwegen, sondern auch hartnäckig. Rainer Werner Fassbinders Debüt gegen Ende des Jahrzehnts war auch eine Reaktion auf die Weigerung der neu gegründeten Filmhochschulen in Westberlin und München, ihn als Student aufzunehmen. Vielleicht war das ein Segen: Wer weiß, wie der junge Mann dort domestiziert (oder relegiert) worden wäre. Und Werner Herzog bestätigt noch heute das alte Gerücht, er habe seine ersten Filme mit einer geklauten Kamera gedreht. Nur nennt er es eine „rechtmäßige Enteignung, um diese Kamera ihrer wirklichen Bestimmung zuzuführen“.

Wer weiß, wie schwer es ist, auch nur eine private Steuererklärung zu erstellen, ahnt, welche Verwegenheit auch die Gründung des Filmverlags der Autoren bedeutete. 13 Regisseure schlossen sich 1971 in München auf genossenschaftlicher Basis zusammen. Vorbild war der Frankfurter Verlag der Autoren – wobei eine Filmproduktion ein erheblich größeres Risiko darstellt. Ursprünglich sollte der Verlag wie eine Produktionsgemeinschaft funktionieren; die Pifda („Produktion 1 im Filmverlag der Autoren“) realisierte bis 1974 – vorwiegend im Auftrag des Fernsehens – 25 Produktionen und brachte sie teilweise vor der TV-Ausstrahlung ins Kino. Die Verleihtätigkeit wurde intensiviert; als die Geldprobleme eskalierten, rettete Rudolf Augstein den Verlag 1977 vor dem Konkurs. Von den früheren Gesellschaftern blieben nur Hark Bohm, Uwe Brandner, Hans W. Geissendörfer und Wim Wenders.

Wer damals wen gerettet oder verraten hat, darüber streiten sie noch heute. Auf jeden Fall war es das Ende einer schönen Utopie. Das Dilemma des Projekts: Witterten die größeren Verleiher ein Geschäft, war der Film für den Filmverlag verloren – schon wegen der hohen Verleihgarantien, die in die Produktion einflossen.

Auch die Ära Augstein war nicht von Dauer. Die Firma Arri übernahm den Verlag, dessen Bestände schließlich die Kinowelt aufkaufte, ein zeitweise selbst von Krisen geplagtes Unternehmen. Nun hat die Kinowelt eine Dokumentation über die Anfänge des Filmverlags produziert:, „Gegenschuss – Aufbruch der Filmemacher“ von Dominik Wessely. Man kann dem Opus durchaus unterstellen, dass es versuche, die alten Werke für eine DVD-Auswertung oder für TV-Redakteure interessant zu machen. Aber warum denn nicht? Nicht nur die hehre Stummfilmklassik, auch die Ära des Neuen deutschen Films gehört zum kulturellen Erbe, das gepflegt werden sollte.

„Gegenschuss – Aufbruch der Filmemacher“ erfasst dieses wichtige Kapitel unserer Filmgeschichte genau und lebendig. Die Interviews und Filmausschnitte machen Lust auf Wiederbegegnungen – mit den bekannten Filmen wie Wim Wenders’ „Im Lauf der Zeit“ und den fast schon vergessenen wie Uwe Brandners „Ich liebe dich, ich töte dich“. Und doch ist das ganze Unternehmen ein wenig irreführend. Denn der Film zeigt nur ein Segment dessen, was war.

Es fehlt einfach zu viel. Die Filmverlags-Gründung war eben nicht der Aufbruch, sondern dessen Folge. Begonnen hatte es früher, in Oberhausen. Oder mit der damals fast sensationellen Nachricht, ein Deutscher habe in Venedig einen Silbernen Löwen gewonnen (Alexander Kluge mit „Abschied von gestern“) – was 1966 sogar in der Münchner Boulevardpresse Schlagzeilen machte. Im gleichen Jahr wurde Volker Schlöndorffs „Der junge Törless“ in Cannes mit dem Preis der Filmkritik ausgezeichnet, ein Jahr später erhielt Edgar Reitz in Venedig für „Mahlzeiten“ den Nachwuchspreis.

Der Aufbruch war auch keine spezifische Münchner Entwicklung. Dennoch übergeht Wesselys Film die Aktivitäten in Hamburg (Hellmuth Costard, Werner Nekes), Berlin (von Robert Van Ackeren bis Christian Ziewer) oder Düsseldorf (Lutz Mommartz). Er ignoriert außerdem alle Münchner, die nicht an den Filmverlag gebunden waren, und den radikalen Jean-Marie Straub, der sich nach Filmen wie „Nicht versöhnt“ und „Die Chronik der Anna Magdalena Bach“ enttäuscht von München verabschiedete. Unbeachtet bleiben Edgar Reitz, Reinhard Hauff, Werner Schroeter, Rudolf Thome, Vlado Kristl, Hans Jürgen Syberberg, Ula Stöckl und viele andere, die nicht wenig zum Aufbruch beigetragen haben.

Am überzeugendsten ist „Gegenschuss“ dann, wenn die Montage die Protagonisten zum Veteranentreffen arrangiert, die alten Kämpfer von längst geschlagenen Schlachten berichten und mitunter heftig übereinander herziehen. Einst bestanden die Differenzen vor allem in der Wahl der Stammkneipe.

Heute bezichtigt Hans Noever Hark Bohm des Verrats, weil letzterer Augsteins Einstieg initiierte, Bohm sieht sich umgekehrt als Retter. Veith von Fürstenberg erzählt die wenig glaubwürdige Story, wie Fritz Teufel und Andreas Baader bei Klaus Lemke auftauchen und von ihm Geld forderten, weil er in „Brandstifter“ ihre Geschichte vermarktet hätte. Und Michael Fengler bestreitet kategorisch, dass „Warum läuft Herr R. Amok?“ ein Film von Fassbinder gewesen sei.

Dabei gab es damals in München durchaus Familiensinn und ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Man traf sich regelmäßig beim Fußball, manchmal spielten sogar die Kritiker mit. Es war eine Zeit der Verbrüderung gegen einen gemeinsamen Feind, die Altbranche – obwohl viele Altproduzenten Filme der Jungen finanzierten. Und die Kritiker fingen an, über die Filmemacher Filme zu drehen, meist auf freundschaftlicher Basis. Niemals war die gefährliche, aber auch spannende Nähe zwischen Regisseuren und meist gleichaltrigen Kritikern intensiver. Dass Nähe auch korrumpieren kann, nahmen sie in Kauf.

Am Ende von „Gegenschuss“ gibt der Held von Herzogs „Stroszek“ seine letzten drei Dollar aus und verschwindet. Ein wunderbarer, vieldeutiger Schluss. Er erinnert an Brecht, in dessen „Dickicht der Städte“ es heißt: „Das Chaos ist aufgebraucht. Es war die beste Zeit!“

„Gegenschuss – Aufbruch der Filmemacher“, 11. 2., 21 Uhr (Zoo-Palast), 16.2., 18 Uhr (Cubix 8). Die „Aufbruch“-Filmreihe mit Werken von Fassbinder, Herzog und Wenders läuft im Filmkunst 66, Bleibtreustr. 12 bis 15. 2. täglich um 15 Uhr

Hans Günther Pflaum

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