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Kultur: Fischer in der Bilderflut

Jörg Sasses Fotoarbeiten in den neuen Berliner Räumen der Galerie Wilma Tolksdorf

Leicht verschwommene Aufnahmen von einem Militärfahrzeug – oder ist es ein ausrangierter Trecker? Ein neonkaltes, blau leuchtendes Kaminfeuer, ein grauer Vorhang über dem eine rote Struktur liegt, die an die digitale Bildsprache von Computerspielen erinnert. Auf den ersten Blick sehen die Bilder von Jörg Sasse aus wie gut gemachte Fotografie über Fotografie. Wie Belege dafür, dass ein Foto nicht länger als Abbild der Wirklichkeit dienen kann, nicht mehr dokumentieren kann als seine eigene Existenz. Man will die oberflächlich kühlen Fotoarbeiten schon bequem unter dem Label „Post-Becher-Schule“ wegkategorisieren, da springt plötzlich der Funke über. Die Bilder beginnen zu glühen, scheinen von innen zu leuchten – oder es fängt mit einem Mal an zu regnen.

Die suggestiven Fotografien verführen, ohne dass ein Kriterium wie Schönheit greifen würde und ohne dass sie ihr Geheimnis preisgeben müssten. Wobei Sasse keiner ist, der visuelle Kinkerlitzchen mit dem Betrachter treiben will. Im Gegenteil. „Man sieht nur, was man sehen will“, sagt der 1962 in Bad Salzuflen geborene Düsseldorfer Künstler anlässlich seiner Ausstellung in der neu eröffneten Berliner Dependance seiner Frankfurter Galerie Wilma Tolksdorf, die neben Sasse so prominente Fotokünstler wie Thomas Ruff und Axel Hütte sowie Maler wie Ross Bleckner und Rosa Loy vertritt. Vor 15 Jahren realisierte Sasse in der Galerie eine seiner ersten Ausstellungen. Ein paar Jahre zuvor hatte er sein Studium bei Bernd Becher an der Kunstakademie Düsseldorf abgeschlossen.

Sasse fotografiert in dieser Zeit vor allem alltägliche Interieurs und Architekturelemente. 1994 ändert er seine Arbeitsweise radikal, und beginnt mit digitaler Technik die Bilder weiter zu bearbeiten. Bis heute bilden in Nachlässen und auf Flohmärkten gefundene Amateurbilder oder absichtslos geschossene eigene Fotografien den Ausgangspunkt seiner Arbeiten.

Mit geschultem Blick, aber ohne etwas Bestimmtes zu suchen, sichtet Sasse die Bilderflut. Den Impuls, ein Bild auszuwählen und es weiter zu bearbeiten, kann eine besondere Perspektive, Unschärfe oder Farbigkeit liefern, konkret zu bezeichnen ist das nicht – wie sich überhaupt vieles in Sasses mysteriösen Bildern einer Festschreibung entzieht. Anschließend wählt er einen Ausschnitt, korrigiert Farben und Perspektive, schafft Schärfen und Unschärfen. Es ist ein Präzisierungsprozess, den das Bild durchläuft. Eine Retusche im ursprünglichen Sinn des Wortes. Wobei es entgegen der üblichen Vorgehensweise im Computer nicht um das Eliminieren störender Elemente geht, sondern es gerade die Stockflecken oder Fehlfarben sein können, die Sasse interessieren. Skizzen nennt er diese meist nur 15 mal 24 Zentimeter kleinen Fotoarbeiten, von denen knapp 30 in der Galerie hängen (je 1200 Euro, Edition 2).

Der Terminus aus der Malerei unterstreicht seine Herangehensweise, die in vielen Fragestellungen – etwa nach Farbgebung, Komposition und Perspektive – die eines Malers ist, wenn Sasse über die Positionierung von Bildelementen entscheidet. Ebenso viel Verwandtschaft hat sein Ansatz mit dem eines Bildhauers, der Überflüssiges entfernt und versucht, dem Kern auf die Spur zu kommen. Einige der Skizzen nimmt Sasse wieder auf und entwickelt sie in einem minutiösen und oft Monate dauernden Prozess weiter zu großformatigen Arbeiten, von denen elf in der Galerie zu sehen sind (Edition 6, je nach Größe zwischen 3500 und 22 000 Euro).

Man muss sich in der Ausstellung hin- und herbewegen, denn es gibt in jedem Bild mehrere Bilder zu sehen, die je nach Position aufscheinen. Aus der Ferne nimmt man vor allem den feinen Unterschied zwischen Repräsentation und Fiktion als etwas Künstliches oder Hyperreales wahr, aus nächster Nähe sind nur noch farbige Pixel zu sehen.

Sasses Fotoarbeiten sind Projektionsflächen, die mit fotografischen Konventionen und Sehgewohnheiten spielen. Ein roter Fleck wird zur Geranie, eine Struktur zum Zaun und umgekehrt. Das Bild mit dem Trecker scheint sich nach oben hin aufzulösen, anderswo glaubt man, einen Himmel zu sehen, den es gar nicht gibt. Das Auge ist in einem permanenten Prozess, das Abgebildete zuzuordnen und scheitert immer wieder beim Versuch, etwas Unscharfes zu fokussieren. Und spätestens da wird klar, dass es um mehr geht als nur um Fotografie. Es ist eine dezidierte Arbeit über das Sehen selbst, die es vermag, dem Betrachter unglaublich nahe zu kommen, gerade weil man die Motive nicht einsortieren kann. Sie wirken subtil wie ein Geruch, den man zwanzig Jahre nicht gerochen hat – und dennoch jederzeit wiedererkennen wird.

Galerie Wilma Tolksdorf, Zimmerstraße 88 – 89, bis 5. Februar; Dienstag bis Freitag 11 – 18 Uhr, Sonnabend 11 – 16 Uhr. Arbeiten von Jörg Sasse zeigt auch das Kunstmuseum Bonn (bis 5. Februar, anschließend Kunstverein Hannover).

Katrin Wittneven

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