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Kultur: Fit ist alle Utopie

Wieder ganz bei sich: Peter Konwitschny inszeniert Wagners „Holländer“ in München

Steht uns im 21. Jahrhundert Richard Wagner näher als Wolfgang Amadé? Näher als der Liebling des Mozartjahres, dem Thomas Gottschalk wie der Wiener Opernball ihre Schuldigkeit tun, von den horrenden Vorhaben der Salzburger Festspiele zu schweigen?

Gemessen an Peter Konwitschny, dem großen Erneuerer der Opernregie, geht die Frage eindeutig zugunsten des Theatermagiers Wagner aus. Wer über Konwitschnys Berliner Mozart-Inszenierungen vielleicht kleinmütig geworden war, der kann nun an der Bayerischen Staatsoper erleben, dass der verehrte Unruhestifter wieder da ist. Dieser „Fliegende Holländer“, in Moskau am Bolschoi Theater bereits erprobt, in München nun vollendet, reiht sich als ein verführerischer Wurf in die Wagnerkonzepte des Regisseurs ein.

Wie Romantik und moderne Welt aufeinander treffen, ist Thema der subtil gearbeiteten Inszenierung. Aber schon im Romantikbegriff gehen die Regie und die fantastische Ausstattung Johannes Leiackers aus neuzeitlicher Sicht über Wagners Vorstellungen hinaus. Sie geben zu bedenken: Ein niederländischer Seemann, der jahrhundertelang auf dem Meer herumgeirrt ist, kann keine historische Tracht vorführen, wie sie nagelneu geschneidert aus dem Laden kommt. So trägt der Rembrandt-Look des holländischen Kapitäns wie der seiner vergreisten Mannschaft Spuren von Verwesung und Verfall. Die Szene, die der Holländer über sein mit Algen behangenes Fallreep betritt, ist ein Abbild niederländischer Kunst: Seestück, geborstene Bäume. Und die Fantasy-Kleidung ist mehr als Kostüm, nämlich zerschlissene Vergangenheit, Ferne längst vergangener Zeiten.

Unheimlich bahnt sich die Katastrophe an, wenn der Geisterchor nicht aus dem Off, dem Bauch des Schiffs, sondern auf der Bühne in mitleidiger Annäherung dem Holländer beipflichtet: „Ew’ge Vernichtung, nimm uns auf!“ In solchen Augenblicken erweist Konwitschnys Musiktheater seine berührende Anziehungskraft. Zärtlichkeit ist hier dabei und zugleich das Wissen über den letzten Ausweg: den Weltuntergang.

Ob der junge Steuermann (Kevin Conners), Brillenträger übrigens, je zum Kapitän befördert wird? Wie er vor der brutalen Naivität Dalands (Matti Salminen), seines Vorgesetzten, dienert und buckelt, stehen seine Chancen schlecht. Das ist die Realität der Gesellschaft.

Bei der Schilderung seiner Leiden habe der Holländer zunächst Ruhe zu bewahren, fordert Wagner in einer detaillierten Anweisung für den Darsteller. Bei Konwitschny raucht er deshalb eine Zigarette, um plötzlich (im Rausch?) einer Erscheinung gewahr zu werden, die als „Engel Gottes“ Paris Hilton oder Michelle Hunziker ähnelt: Er ist im Heute angekommen. Juha Uusitalo singt den Monolog nicht ohne Anstrengung, er ist eher ein lyrischer Typ. Der Dirigent sorgt dafür, dass das Duett, in dem Daland seine Tochter an den Holländer verscherbelt, nicht gebrüllt, sondern wie selten piano gesungen wird. Und im Sechs-Achtel- Takt fangen sie lustig an zu walzen. Das trifft den Charakter der Musik genau. Schließlich verwandelt sich die ganze Bühne in einen Tanz, eingeschlossen der gekrönte Engel als Schönheitskönigin und die untoten Seeleute.

Das alte „gute Rädchen“ der Spinnstube wird im modernen Fitness-Studio durch Hometrainer ersetzt, auf denen die Mädchen fleißig strampeln, differenziert nach Charakter und Kondition. Handtücher fliegen hin und her. „Summ und brumm“: Szenenapplaus für das Bild, das eine stupide Beschäftigung gegen eine andere nicht weniger stupide Beschäftigung vertauscht. In beiden Fällen geht es den Mädchen mit ihren Rädchen um dasselbe: den Mann zu gewinnen. Erik (mit lyrischer Intensität: Stephen Gould) trägt weißen Bademantel, Mary (Heike Grötzinger) ist nicht die übliche alte Schachtel, sondern eine energische junge Trainerin.

Hier im Fitness-Ambiente benimmt sich der Holländer so grotesk unzeitgemäß gegenüber einer Senta im Sportdress (mit klarem Sopran: Anja Kampe), dass er ihr ein Brautkleid aus staubigem Barock anbietet. Sie streift es über, dazu den Schleier, wagt ein Tänzchen und scheint im Augenblick nicht recht zu realisieren, was der Schwur „ewiger Treue“ bedeutet. Aber es funkt zwischen den beiden – eine kurze Utopie echter Liebe.

Später wird begreiflich, was die Oboe kantabel einleitet: dass Eriks Cavatine über Sentas vermeintliches Treuegelöbnis, an das er glauben will, unverhältnismäßige Wirkung tut. Der abgewiesene Verlobte spricht nicht seine Liebste, sondern den verwünschten Nebenbuhler an, macht eine Szene von Mann zu Mann: Eifersucht des Holländers, so heftig und unbegründet wie die eines Othello.

Beim Feiern im dritten Aufzug bilden die norwegischen Seeleute eine Gang, die sich mit den holländischen Untoten eine Saalschlacht liefert. Als alles verloren ist, schlägt Senta auf das Pulverfass, die endzeitliche Bombe: Blackout.

Wagner sei für ihn einer der größten Warner, aber auch Retter, sagt Konwitschny. Seine reiche Inszenierung macht Ernst mit dieser Überzeugung, ohne die theatralische Disziplin der Unterhaltung je außer Acht zu lassen.

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