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Kultur: Flackerfleckentanz

Forscherdrang: Multimedia-Experimente im Neuen Berliner Kunstverein.

Der Ausstellungsbesuch geht im heimischen Wohnzimmer weiter. Bitte mitnehmen, hieß es im Neuen Berliner Kunstverein (NBK), also wird die Scheibe in den CD-Player geschoben. Elektronische Piepstöne jagen wie Flipperkugeln durch den Raum und prallen an den Wänden ab. Der Soundkünstler Florian Hecker hat dieses irre Klangwerk an einem sogenannten Triadex Muse produziert, das ist ein spezieller Synthesizer, der in den siebziger Jahren von zwei Naturwissenschaftlern in den USA entwickelt und von der amerikanischen Komponistin Maryanne Amacher genutzt wurde. Heckers Arbeit ist also eine Reminiszenz an die Synthese von Wissenschaft und Kunst. Er belebt, wie viele Werke in der Ausstellung „The Future Archive“, den Geist des Center for Advanced Visual Studies (CAVS) neu.

Das CAVS wurde 1967 vom Künstler und Theoretiker György Kepes gegründet. Angesiedelt war es nicht etwa an einer Kunstakademie, sondern an einer bis heute renommierten, privaten Technischen Hochschule, dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) im US-amerikanischen Cambridge. Kepes, der in Ungarn geboren wurde, war 1937 nach Übersee emigriert und unterrichtete zunächst an dem von László Moholy-Nagy gegründeten New Bauhaus in Chicago. Im Glauben an eine gesellschaftliche Funktion forderte er, Wolkenbildung, Wasserströmung oder Lichtverhältnisse in den künstlerischen Prozess einzubeziehen.

Manch sinnlich Erfahrbares gibt es daher auch in der von Ute Meta Bauer, der 3. Berlin-Biennale-Kuratorin, zusammengestellten Retrospektive mit Forschungsarbeiten der siebziger und achtziger Jahre aus dem Umfeld des Kunst- und Wissenschaftszentrums. Der Raum ist ganz in theatralisches Schwarz getaucht, man betritt ihn durch einen silbern glitzernden Vorhang. Unter einer Sounddusche perlen elektronische Klänge, auf eine Wand aus feinstem Sprühnebel werden Bilder projiziert. Der Film „Black Is“ von Aldo Tambellini rauscht über den Köpfen der Besucher hinweg. 1965 hatte der Künstler einen Filmstreifen derart mit Farbe, Tinte und Chemikalien behandelt, dass nur noch wild tanzende schwarze Flecken übrig bleiben.

Es können Kataloge und Dokumentationsmappen gewälzt werden. Oder man guckt sich stundenlanges Archiv-Material der Techno-Social-Bewegung an. Die Erklärtexte an den Wänden sind dagegen wenig erhellend, mehr für Insider. Es gilt, Archäologie zu betreiben. Dabei lässt sich ein Lächeln nicht verkneifen. Mit welcher Faszination für Video, Fernsehen und Film die Künstler damals ans Werk gegangen sind! Wie überholt wirken diese Multimedia-Experimente heute – zumindest aus technischer Sicht. Da verdoppeln sich bei Tambellini und Otto Piene, dem Mitbegründer der ZERO-Gruppe und Nachfolger von Kepes als Direktor des CAVS, abstrakte Formen im Flackerlicht. Eine Gruppe von Leuten spielt mit schwebenden, durchsichtigen Schläuchen, Glühbirnen werden darübergeblendet. Und dennoch: Die Schau blickt nicht nur zurück. Das CAVS, damals bahnbrechend wie die Land-Art, hat heute in Zeiten des Klimawandels und der sich immer rasanter entwickelnden neuen Technologien viele Erben in Kunst, Design und Architektur. Als prominente Stellvertreter werden unter anderem zwei blendend helle Lichtinstallationen des in Berlin arbeitenden Künstlers Olafur Eliasson ausgestellt. Der Däne hat 2009 an der Universität der Künste das Institut für Raumexperimente eingerichtet. Und ist nicht auch die aktuelle Ausgabe der Documenta im Kassel eine Weltausstellung von Künstlern, Quantenphysikern und Botanikern?

Im Jahr 1977 hatte das CAVS die Gemeinschaftsarbeit „Centerbeam“ auf die 6. Documenta gewuchtet, eine 60 Meter lange Skulptur aus Trägern und Rohren unter freiem Himmel, die dampfte und rauchte und zischte und leuchtete. Welch gigantisches Spiel mit den vier Elementen das gewesen sein muss, lässt sich im Video erahnen.

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128/129, bis 29. Juli, Di–So 12–18 Uhr, Do 12–20 Uhr. Begleitprogramm unter: www.nbk

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