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Kultur: Fleisch und Form

Von Christina Tilmann Dass die britische Tate Gallery eine Lucian-Freud-Retrospektive plante, ist in Berlin seit vergangenem Sommer bekannt. Mit einer groß angelegten Plakataktion suchte das British Council nach jenem Porträt, das Freud von seinem Freund und Vorbild Francis Bacon gemalt hatte und das 1986 bei einer Ausstellung aus der Neuen Nationalgalerie gestohlen worden war.

Von Christina Tilmann

Dass die britische Tate Gallery eine Lucian-Freud-Retrospektive plante, ist in Berlin seit vergangenem Sommer bekannt. Mit einer groß angelegten Plakataktion suchte das British Council nach jenem Porträt, das Freud von seinem Freund und Vorbild Francis Bacon gemalt hatte und das 1986 bei einer Ausstellung aus der Neuen Nationalgalerie gestohlen worden war. Das Porträt wurde nicht wiedergefunden - wohl aber wurden die in Steckbriefform gehaltenen Plakate schnell zum Sammlerobjekt und verschwanden über Nacht von den Berliner Litfassäulen. Nun muss die Londoner Retrospektive ohne Bacons Bild auskommen.

Eine Ausstellung in der Tate, mit der der Künstler aus dem Schatten des berühmteren und genialeren Bacon heraustritt, ist ohnehin so etwas wie der Adelsschlag der Queen. Dabei ist es ein anderes Gemälde Freuds an einem anderen Ort, das Londons Gemüter zur Zeit erregt: Sein Porträt der englischen Königin, im vergangenen Jahr fertig gestellt und jetzt in der neu eröffneten „Queens Gallery“ im Buckingham Palace zu sehen, zeigt ein sehr unschmeichelhaftes Bild der englischen Monarchin. Dabei gehört es keineswegs zu Freuds besten Werken. Deutlich merkt man ihm die Distanz an, mit der der Maler sein königliches Modell behandelt. Die Queen ist gut getroffen, streng, würdig - aber sie kommt dem Betrachter nicht nahe.

Nähe, Menschlichkeit und Emotion zeichnen Freuds Werk von Beginn an aus. Schon die frühen Bilder von „Englands größtem Realisten“, wie der Enkel Sigmund Freuds gern genannt wird, zeugen von erstaunlicher Aufmerksamkeit für die Gefühle des Porträtierten. Freuds erste Frau Kitty Epstein, die er in detailgenauer, fast hyperrealistischer Zeichnung porträtiert, blickt mit aufgerissenen Augen in die Kamera. Ihr Unbehagen angesichts der Sitzung kommt in verkrampfter Haltung und starrem Blick zum Ausdruck. Auch seine zweite Frau Caroline Blackwood, die Freud frierend und unglücklich in einem Pariser Hotelbett porträtiert, fühlt sich in ihrer Rolle als Modell offensichtlich nicht wohl. Der „Ingres des Existenzialismus“, wie der Kritiker Herbert Read Freud nannte, zeigt Menschen, die nicht nur in ihrem Körper, sondern auch in der Situation des Gemaltwerdens gefangen sind.

Wäre es bei den frühen Studien geblieben, hätte Freud als Chronist der englischen Armut in die Kunstgeschichte eingehen können. Seinen kahlen Wohnungen und zugigen Ateliers, den abgewetzten Sofas, vertrockneten Zimmerpflanzen, Bergen von Lumpen und unaufgeräumten Hinterhöfen ist er treu geblieben, auch als seine Bilder längst mehr Geld kosteten, als Auftraggeber zahlen wollten. Doch erst Anfang der 70er Jahre findet er zu dem, was sein großes Thema, ja seine Obsession werden sollte: zum menschlichen Körper.

Schon die Genauigkeit, mit der er in den frühen Jahren Leberflecke, Falten und Pickel wiedergegeben hatte, hatte auf ein außergewöhnliches Interesse an der menschlichen Unvollkommenheit hingedeutet. Sie kulminiert Anfang der 90er Jahre in den grandiosen Bildern von „Big Sue“ Tilley, einer schwergewichtigen Angestellten, die Freud schonungslos, aber nicht schamlos als Akt porträtiert. „Vielleicht hatte ich immer ein besonderes Interesse an Menschen mit ungewöhnlichen Proportionen“, erklärt Freud. „Mit ihrer Massivität kann ich spektakuläre Effekte erzielen, erstaunliche Krater, Dinge, die man noch nie zuvor gesehen hat.“ Sue, die entspannt auf einem Sofa liegt, muss ihm vertraut haben. In diesem Bild ist nichts mehr von dem Unbehagen der früheren Modelle zu spüren. So ist Sues Porträt nur auf den ersten Blick ein Schock: Die Selbstverständlichkeit, mit der Freud das Extreme zeigt, belässt Sue Tilley ihre Würde.

Die erste Frau, die Freud regelmäßig gemalt hat, war seine Mutter. Nach dem Tod des Vaters war sie in tiefe Depression verfallen. Um sie zu beschäftigen und gleichzeitig im Auge zu haben, begann der Sohn, sie zu porträtieren - und schuf eine Serie von Bildern, die es an Zärtlichkeit und liebevoller Rücksichtnahme mit Rembrandts Altersbildnissen aufnehmen kann. Acht Mutterbilder sind in der Londoner Ausstellung zu sehen; sie zeigen, wie präzise und gleichzeitig nie denunzierend Freud den Prozess des Alterns über Jahre hinweg verfolgt hat. Die langsam fleckig werdende Haut, die eingefallenen Wangen, das dünner werdende Haar künden vom nahenden Tod. Gleichzeitig gewinnen die Bilder immer mehr Ruhe, Abgeklärtheit und Glanz - bis hin zum Totenporträt 1989, das nur noch die leere Larve zeigt.

In seinen Porträts, bekleidet oder nicht, rückt Freud den Menschen zu Leibe. Er zeigt die Unvollkommenheit, aber auch die Emotionen, die Maler und Modell verbinden. „Ich glaube nicht, dass es irgendeine Form von Gefühl gibt, die man beim Malen außen vor lassen sollte“, sagt er, und: „Ich male Menschen, die mir nahe sind: Weil ich es schön finde, dass sie nicht professionell Modell stehen, sondern weil sie in einer Beziehung zu mir stehen.“ So malt er gerne Ehefrauen, Geliebte oder Kinder: seine Töchter Anna und Esther sowie seinen Sohn Freddie, den er im vergangenen Jahr mit einem ganzfigurigen Akt („Freddie Standing“) als ebenbürtigen Partner porträtierte. Der magere Mann, in einer kahlen Ecke und unter hartem nächtlichem Kunstlicht postiert, scheint seine Kraft an der des Vaters zu messen.

Die mit rund 160 Arbeiten opulent bestückte Werkschau ist ehrend und entlarvend zugleich. Sie zeigt Freuds erstaunliche Kontinuität, aber auch die Gefahr des Leerlaufs und so etwas wie malerische Eitelkeit. Seit Mitte der 80er Jahre, als Freud mit einer Ausstellung in der Hirschhorn-Gallery in Washington auch jenseits des Atlantiks als größter europäischer Maler geehrt worden war, sind seine Bilder immer größer und luxuriöser geworden. Aber sie haben die Bitterkeit verloren, mit der er in frühen Jahren die abgearbeiteten Hände, schmutzigen Füße, den ermüdeten Körper eines Modells zur Anklage gegen Armut und Ausbeutung gemacht hatte. Die späten Bilder, vor allem die des nur allzu willig posierenden Szene-Stars Leigh Bowery, sind gefälliger geworden - und damit unehrlicher.

Erst die letzten Werke zeigen den Maler mit über 80 Jahren wieder Auge in Auge mit der Wirklichkeit - des Todes. Während das Bild seiner Enkelin den wehmütigen und ein wenig distanzierten Blick auf Jugend und Neugier verrät, ist das ganzfigurige Aktbild, das Freud 1992 von sich selbst anfertigte, eine schonungslose Selbsterforschung. Diesen alten Mann, der sich in all seiner Hinfälligkeit gegenüber tritt und mit der Ehrlichkeit des Malers den Verfall des Körpers zeigt, wird man in Erinnerung behalten.

Lucian Freud, Tate Britain, London, bis 22. September, danach Barcelona und Los Angeles. Der Katalog kostet 24,99 Pfund.

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