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Kultur: Fleiß am Fleischwolf - Shakespeare verwurstet

Der Münchner Autor Albert Ostermaier ist als Lyriker, aber auch als Dramatiker ein Mann der genauen, der poetischen Sprache. Er setzt dem flapsigen Alltagston vieler seiner schreibenden Altersgenossen eine eigene, expressionistisch gefärbte Wortkunst entgegen.

Der Münchner Autor Albert Ostermaier ist als Lyriker, aber auch als Dramatiker ein Mann der genauen, der poetischen Sprache. Er setzt dem flapsigen Alltagston vieler seiner schreibenden Altersgenossen eine eigene, expressionistisch gefärbte Wortkunst entgegen. In seinem jetzt in Mannheim uraufgeführten Stück "Tatar Titus", in Versen verfasst, wortmächtig, auch wortspielerisch sich gebend, umkreist die gebundene Rede: sich selber.

Es geht in dem von Shakespeares Macht- und Metzel-Stück "Titus Andronicus" sich ableitenden Text um nichts weniger als um die Korrumpierbarkeit des Dichters durch absolute herrschaftliche Macht, der er sich schreibend anzudienen versucht, um in ihrem Glanze als ein Mächtiger sich selbst zu wähnen. Vorgeführt wird hier ein Mann, der, emporgetragen auf den Schwingen seiner beredten Kunst, wofür er seine Tochter und Muse Lavinia geopfert und zur Hure gemacht hat, am Ende aus der Macht gefallen ist, in den Staub getreten, auf sich selbst zurückgeworfen. Das Ende eines Mannes, dem schließlich nichts anderes bleibt als die wortmächtige Klage und das ohnmächtige Sinnen auf rächende Intrige.

Ostermaiers Shakespeare-Übermalung ist eine nahezu monologische Sprach- und Gedankensuada, die - trotz aller direkten Ansprache an das Publikum hin und wieder - doch auch monadisch in sich selbst versponnen bleibt. Einerseits jongliert der Text mit vielfältigen Anspielungen auf Shakespeares "Titus", zugleich aber sucht er mit übermäßigem Wortschwall die Differenz hervorzutreiben. Als gelte es, dem wohltemperierten Tasso-Stoff durch martialische Titus-Brutalität mehr Blut und dramatische Farbe einzuhauchen. Zugleich wird ein Stoff durch den Fleischwolf gedreht, "Tatar" angerichtet aus Blut und Wort, aus Schwert und Poesie - mit Figuren, die am Ende der Verwurstung weniger individuelle Gestalten als vielmehr krude Kleiderständer für Ostermaiers schwelgerisches Monologisieren sind.

Die Mannheimer Uraufführung von Bruno Klimek sucht durch große Bilder ihren szenischen Effekt. Die Zuschauer werden auf der weiß abgehängten Bühne auf steil ansteigenden Sitzreihen platziert. Anfangs sind auf diese hohen, umschließenden Tücher überlebensgroße, nackte Männer projiziert, die auf allen Vieren im Gehabe aggressiver, angeleinter Hunde den Zuschauer bedrängen. Dann fliegen die weißen Seitenhänger in den Schnürboden hinauf, öffnen die Enge des Raums und geben den Blick frei auf den weitläufigen, ebenfalls mit weißem Tuch abgedeckten Zuschauerraum (Bühne: Hermann Feuchtner). Dort und auf der mit Schreibtisch, Fotokopierer und Reißwolf bestückten Vorbühne und zwischen den Zuschauerreihen auf der Bühne agieren die Spieler.

Titus wird in ständigem Wechsel von drei Männern unterschiedlichen Alters (Manfred Trabant, Jan Eberwein, Kay Dietrich) verkörpert, die jeweils auch in anderer Bedeutung auftreten - als Freier, als Scherge oder "Schauspieler". Lavinia (Christina Rubruck), bei Shakespeare die Tochter des Feldherrn Titus, ist bei Ostermaier so etwas wie die Muse des Dichters Titus, die sich für den Ruhm des Meisters prostituieren muss: Klimek stellt hier enge mannshohe Vitrinen auf die Bühne mit Frauen darin, unterschiedlich maskiert, aber alle mit nackten Brüsten, entblößtem Schoß. Durch Löcher im Glaskasten werden die Damen reihum von einem Mann betatscht, ein anderer zahlt dem Titus für Lavinia und rammt sich an ihr ab, mit dem Stiel eines Beils in ihren Unterleib.

Am Anfang der Aufführung, bevor noch das erste Wort gefallen ist, sah man quälend lange einen würgenden und speienden Titus als junger Mann, der endlose Meter von braunem Tonband aus dem Schlund herauskotzte, später ist es eine Abendmahlgesellschaft, die dem geschlachteten Mann den Brustkorb aufstemmt und sich an den Innereien gütlich tut, auch hier nur Tonband-Salat. Ein Mann, ein Leib aus Wörtern - und ohne Wörter: nichts. Ein Dichter als Wortkannibale bis zum Erbrechen und Opfer seiner Lebenssuada, die als hohe Endlosschleife Platz in ihm greift, bis sie sein Innerstes ausgehöhlt hat, ausgefüllt - mag das die Botschaft sein über die Wörtersetzer, die Dichter, ohne Moral?

Nach knapp zwei Stunden sehr verhaltener Applaus und der Eindruck, hier hat einer mit expressivem "Oh Mensch"-Pathos, mit großer Geste und vielen Worten ein Thema in eine Auseinandersetzung treiben wollen, für die ihm, dem jungen Autor, wohl doch die tragenden Worte, die Erfahrung und Tiefe noch fehlen. Und eine Inszenierung, die sich mit allzu großer Ehrfurcht dem Text nur rhetorisch annahm, manch hochgedrehte Formel in ein schön gedachtes, abstraktes Bild übersetzte, aber dabei allzu oft abglitt ins pure Deklamationstheater. Ein Abend immerhin mit einigem Ehrgeiz, mutig entworfen, doch überzeugend so noch nicht.

Eckhard Franke

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