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Kultur: Flick und Folgen

Eine

von Bernhard Schulz

Eine Viertelmillion Besucher, so die Prognose der Staatlichen Museen Berlin, wird am Ende des morgigen, letzten Öffnungstages die FriedrichChristian-Flick-Collection gesehen haben. Danach geht es in den Rieckhallen neben dem Hamburger Bahnhof zwar weiter, ohne Umbaupause sogar, doch in verkleinertem Umfang. Den Hamburger Bahnhof selbst wird dann wieder Erich Marx mit seiner Sammlung einer im Vergleich bereits klassisch gewordenen Gegenwartskunst besetzen, mit Warhol, Kiefer, Beuys.

In diesem Vergleich wird die Flick-Collection künftig an strengeren Maßstäben gemessen werden. Manches von dem, was aus Flicks bei weitem nicht ausgeschöpften Schätzen bis Ostermontag ausgebreitet wird, dürfte nicht auf ewig die Weihe des Museums verdienen. Aber darum geht es nicht. Darum ging es zunächst auch den 250000 Besuchern nicht. Sie kamen, weil der Name des Sammlers politische Kontroversen auslöste, um nicht zu sagen: die Kontroverse schlechthin, die die deutsche Öffentlichkeit nach Auschwitz bewegt, nämlich die um die Bewertung des NS-Regimes und unsere Haltung zu dessen Folgen.

Flicks Familiengeschichte ist, vor und nach der Eröffnung der Sammlungspräsentation des Enkels im vergangenen September, in extenso unter die Lupe genommen worden. Der Unmut am Erben, den keine Mitschuld an den Untaten seines Großvaters trifft, heftete sich an dessen Weigerung, den von den Flick-Firmen ausgebeuteten Zwangsarbeitern eine persönliche Entschädigung zukommen zu lassen. Der Unmut an der Politik des Landes Berlin wie des Bundes hingegen entzündete sich an der Leichtfüßigkeit, mit der die Politiker auf das Angebot des Sammlers eingingen, seine andernorts zuvor verschmähten Kunstwerke öffentlich zu machen – und ihnen durch die noble Präsentation im Rahmen der Staatlichen Museen höhere Weihen zu verleihen, ohne das Versprechen einer künftigen Stiftung erhalten zu haben. Durch die Kunst solle die familiäre Erblast des Sammlers getilgt werden, so der Vorwurf, der zwar an der Person des Sammlers wie am Charakter der Kunst haarscharf vorbeigeht, aber eben doch die deutsche Wunde kenntlich macht, die nach dem Terrorregime der Nazis nun einmal nicht heilen will und kann.

Viel ist über Flick und seine Sammlung debattiert worden. An Argumenten ist dabei nichts Neues hervorgetreten. Alles ist gesagt worden und von allen; an der Tatsache der staatlichen Präsentation hat es nichts geändert, und allenfalls die Politik, die sich anfangs demonstrativ im Glanze des vermögenden Großsammlers sonnte, ist auf eine leise, gerade darum vernehmliche Distanz gegangen. In diesem Jahr 2005 mit der 60. Wiederkehr des Kriegsendes ist das eine Haltung, die man opportun nennen muss.

Und doch kommt die Politik so einfach nicht davon. So richtig es war, sich von der personenfixierten Kritik, wo nicht Schmähung Flicks, zu distanzieren, so sehr bleibt es eine Aufgabe, die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit immer wieder zu befördern. Diese Aufgabe ist auf einem anderen Feld zu bewältigen als dem der Kunst, gewiss; genannt sei nur die mittlerweile fast heillose Baustelle der Berliner NS-Gedenkstätten, die derzeit nicht nur institutionell, sondern auch inhaltlich in verbesserungsfähigem Zustand verharren, um es vorsichtig zu formulieren. Aber dass die Kunst und mehr noch ihre Sammler sich nicht so mir nichts dir nichts vom historischen Kontext befreien und entlasten können, das ist eine Lehre, die aus der Flick-Debatte gezogen werden darf. 250000 Besucher sind schließlich auch deshalb gekommen, weil es diese Debatte gab und in vergleichbarer Weise immer wieder geben wird.

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