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Kultur: Flieg, Nashorn, flieg

Glück auf: Die Stadt Dortmund beschenkt sich mit einem neuen, akustisch überwältigenden Konzerthaus

Von Frederik Hanssen

Neidisch schaut der Hauptstädter derzeit ins Ruhrgebiet: Keine zwei Wochen, nachdem Gerard Mortier seine Ruhrtriennale eröffnen konnte, ein mit satten 42 Millionen Euro für den ersten Zyklus ausgestattetes Festival, das die internationale Avantgarde in die verwaisten Zechen lockt, versammelten sich nun die regionalen Honoratioren zu einer zweiten zukunftsweisenden Pott-Premiere: Dortmund feierte die Eröffnung der „Philharmonie für Westfalen". Eine große Kultur-Koalition im Stadtparlament, Schützenhilfe vom Land und vor allem viel bürgerschaftliches Engagement haben das „Wunder" wahr werden lassen, von dem NRW-Kulturminister Michael Vesper in seiner Eröffnungsrede sprach. Auf der Schattenseite der Dortmunder City, dort wo sich bis vor kurzem noch käufliche Damen zwischen Dönerbuden und Ramschläden die Beine in den Bauch standen, ragt jetzt die Fassade eines Kulturpalastes in die Höhe, tagsüber opak schimmernd, nachts von computergesteuerten Leuchtstoffröhren mit bunten Lichtspielen belebt. Das neue Konzerthaus soll helfen, das Sanierungsgebiet am Bahnhof in eine großstädtische Flaniermeile zu verwandeln. Wenn der ehrgeizige Plan gelingt, waren die 48,3 Millionen Euro Baukosten tatsächlich gut angelegt.

Für die Klassikfans im westlichen Ruhrgebiet hat sich die Investition allerdings jetzt schon gelohnt. Das Eröffnungskonzert bestätigte alle Erwartungen, die die Akustiker im Vorfeld geschürt hatten: Hell und freundlich, gerade so wie die Architektur des Dortmunder Büros „Schröder-Schulte-Ladbeck-Strothmann", ist auch der Raumklang in der kathedralhohen Halle. Geschickt nutzte das junge Architekten-Trio das langgestreckte Grundstück im dicht bebauten Brückstraßen-Viertel: Der 1550-Plätze-Saal schwebt über dem großzügigen, zur Fußgängerzone verglasten Foyer, das so zur überdachten Agora, zur urbanen Versammlungsstätte wird. Nach dem Aufstieg in die Bel Etage empfängt den Besucher dann ein freundlicher Musikraum, der weit entfernt ist von jeder Hochkultur-Tempelweihe. Helles Ahornholz und weiß verputzte Wände mit sanften Rundungen und schmalen, in den Gips geschnittenen Schmuckbändern schaffen eine Atmosphäre irgendwo zwischen Fünf-Sterne-Ferienresort und eleganter Bauhaus-Sachlichkeit. Wer am Eröffnungsabend mit Gustav Mahlers dritter Sinfonie in den vorderen Parkettreihen saß, war zunächst etwas von der sehr präsenten Akustik überrumpelt - im Laufe des Abends aber bewiesen sich alle Vorteile des klassischen Schuhkarton-Saals: Vor allem die leisen Töne sind hier bestens aufgehoben. Wundervoll warm entfaltet sich der Streicherklang am Beginn des Finalsatzes, die Holzbläser bleiben auch im wuchtigen Tutti stets hörbar, ungetrübt erreicht Violeta Urmanas makelloser Mezzosopran im Nietzsche-Solo das Hörerohr. Dass Arthur Fagen, der neue Chefdirigent der Dortmunder Philharmoniker, unüberhörbar den blendenden Oberflächenglanz amerikanischer Sinfonieorchester schätzt, seine bestens präparierten Musiker allein auf Brillanz trimmt, mag den Tiefen des Mahlerschen Monumentalopus kaum gerecht werden – als machtvolle Demonstration der akustischen Möglichkeiten des neuen Saals verfehlte Fagens Dirigat seine Wirkung nicht.

Perfekt geprobt war auch der erste Teil des vierstündigen Eröffnungsabends, in dem mit dramaturgischem Geschick zwischen den obligatorischen Reden Musikbeispiele die künftige Programmlinie skizzierten: Will er mit seinem Jahresbudget von 3,9 Millionen Euro auskommen, muss Intendant Ulrich Andreas Vogt ziemlich weit in die ästhetische Grätsche gehen. Um sich die Spitzenkünstler von Anne-Sophie Mutter über die Wiener Philharmoniker mit Christian Thielemann und das Gewandhausorchester mit Herbert Blomstedt bis zu Edita Gruberova leisten zu können, lässt er auch regelmäßig die Puppen tanzen. Damit er das Deutsche Symphonie-Orchester, die Pianistin Elisabeth Leonskaja und den Komponisten Matthias Pintscher als artists in residence ans Haus binden kann, darf Günter Wewel mit dem Coca-Cola-Christmas-Truck in Dortmund Station machen. Jazz-Sessions stehen hier künftig direkt neben Operetten-Gastspielen, Zeitgenössische Musik neben Zirkusrevuen (die „Roncalli“-Chef Bernhard Paul verantwortet) – und Norbert Blüm moderiert die Kinderkonzerte.

Ein wenig leichter als andere Intendanten dürfte der Kompromissweg Ulrich Andreas Vogt allerdings gefallen sein: in seiner Brust wohnen seit Jugendzeiten zwei Seelen. Zu gerne wäre der Sohn aus reinlichem Hause Opernsänger geworden. Doch nach dem Tod des Vaters entscheid er sich dafür, das Familienunternehmen weiterzuführen, wurde parallel zum Gesangsstudium Diplom-Desinfektor. Nun ist der Chef von über 1500 Putzfrauen und -männern doch noch auf der Bühne angekommen. Kein Wunder, dass er sich ein zagloses Zwitterwesen als Konzerthaus-Maskottchen aussuchte: Das geflügelte Nashorn im Logo finden nur Leute unpassend, die weder wissen, dass kaum ein Lebewesen so feine Ohren hat wie das Rhinozeros, noch an die Tatkraft derer glauben, die Schweres leicht nehmen können. Ulrich Andreas Vogt jedenfalls hat mit seiner sanften Wucht ein ganzes Konzerhaus gestemmt. Während in Berlin der Bär den Tango der Haushaltskonsolidierung tanzt, startet in Dortmund ein beschwingter Dickhäuter zur musikalischen Entdeckungsreise. Guten Flug!

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