zum Hauptinhalt

Kultur: Flieg weiter!

Dom Rotheroes Debütfilm „Mein Bruder Tom“

Jessica hat nur ein Wort für Jungs: „Idioten“. Und die Jungs haben nur eins für sie: „Jungfrau“. So geht das, in grölendem Dauermissverstehen in einer englischen Kleinstadt Mitte der achtziger Jahre, bis Jessica wirklich einen kennen lernt, der ein bisschen idiotisch ist – im griechischen Wortsinn: eigen. Tom respektiert ihre Jungfräulichkeit, ihr Nochnichtfertigsein für ihn, den mal stillen, mal schreienden Wolfsjungen, und für all die grölenden Kids dieser Welt.

Bahn frei für eine der eigentümlicheren Liebesgeschichten des neueren Kinos. Liebesgeschichte? Eigentlich haben sich Tom (Ben Whishaw) und Jessica (Jenna Harrison) etwas viel Heiligeres geschworen, eine ideelle Geschwisterliebe, einen Zwillingspakt – und so heißt Dom Rotheroes erster Spielfilm nicht ganz verkehrt „My Brother Tom“. Doch das, was wie ein neuzeitliches Hänsel-und-Gretel-Märchen anhebt von zwei beschädigten Kinderseelen, die sich verlaufen im Vorstadtwald, wandelt sich zum gewaltigen Romeo-und-Julia-Epos. Mit der Einsamkeit zweier, die zueinander nicht kommen dürfen, mit ihrem Hass auf das, was sie festzuhalten sucht, mit ihrem Sturz schlussendlich in die mindestens ewige Liebe.

Das fängt toll an: wild, schnell, direkt und rau, mit Robby Müllers DV-Kamera wie weggefangen aus einer gewesenen Wirklichkeit. Ein Kennenlernen ohne Anlauf ist das, in Szenen, in denen nur geschieht und geschieht und niemand nichts erklärt. Dann, in seiner hohen Mitte, scheint dem Film fast bang zu werden vor lauter düsteren Privatverbrechen aus Schuld und Wegsehen, das er um sein halbwüchsiges Nichtpaar aufbaut: Lehrer, Nachbarn, Mütter, Väter und Pastoren – auf ewig versündigt sich das Kartell der Erwachsenen an der kommenden Generation. Und zu seinem arg langen Ende hin weiß „My Brother Tom“ manchmal nicht ein noch aus: So halsbrecherisch schlingert die Geschichte von einer möglichen Wendung zur nächsten, dass einem beim Zusehen (und Nebenherdenken) fast schwindlig werden mag.

Aber egal. In den ersten Spielfilm jagt man nun mal seine ganze Kraft, auch wenn der dann vor lauter Wucht kaum mehr gehen, geschweige denn fliegen kann. Später reicht dann weniger für mehr; später. jal

Central, Eiszeit, Neue Kant Kinos, alle OmU

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false