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Kultur: Fliegen lernen

Die Schaubühne in Athen: Ostermeier und Macras tanzen einen bösen „Sommernachtstraum“

Neben all den anderen fantastischen Dingen hat Shakespeare auch das erfunden: die geographische Komödie, oder man könnte auch sagen – die komödiantische Geografie. Wenn Stürme toben, tauchen aus dem Nichts Inseln auf, wo man Kopf und Herz verliert; den Herzog von Mailand verschlägt’s in die Karibik; Böhmen rückt ans Meer; die Zeit selbst fliegt zwischen Rom und Ägypten.

Das Globe Theatre: easy jetting um die Welt, ohne Verspätungen und Überbuchungen, Plastikessen und Sicherheitskontrollen. Ein angstfreier Globalisierer – während noch in Shakespeares Sterbejahr 1616 die katholischen Mullahs der Inquisition das bahnbrechende Buch von Nikolaus Kopernikus, „De Revolutionibus Orbium Coelestium“, und dessen heliozentrisches Weltbild verboten.

Athen ist die Destination des Überfliegers aus Stratford im „Sommernachtstraum“. So steht es vorne drauf geschrieben, falsche Griechen suchen die wahre Liebe. In Shakespeares Athen gehen Antike, Mittelalter und (elisabethanische) Gegenwart durcheinander wie in einem Kostümfundus; man nimmt sich, was passt, was Spaß macht, das Theater braucht keinen Anker. Und doch gibt es der Fantasie einen schönen Kick, den „Sommernachtstraum“ einmal so ungefähr und so genau da zu erleben, wo der Zauberkönig Shakespeare die Feerie siedeln lässt: in einem Wald einige Kilometer außerhalb Athens. Dorthin fliehen die Liebespaare in ihrem Wahn, ihrer Lust und Verzweiflung.

Piräus 260, lautet die Adresse. Ein aufgelassenes Fabrikgelände, mehrere Fußballfelder groß, an der Straße, die sich durch die zusammengewachsenen Großstädte Athen und Piräus zieht. Baumärkte, Autohäuser, Versicherungspaläste, eine urbane Rennstrecke. Die Berliner Schaubühne zeigt hier den von Thomas Ostermeier lange versprochenen Shakespeare – in gemeinsamer Regie von Ostermeier und der Choreografin Constanza Macras (ab 2. September in Berlin). Und in einer Koproduktion mit dem griechischen Festival „Athen und Epidaurus 2006“.

Bisher lagen die Griechen abseits der großen Sommerevents; kein Vergleich mit Avignon, Salzburg oder Edinburgh. Doch George Leukos, der neue Festivalchef, hat Ideen und richtig Geld. Sein Riesenprogramm zieht sich durch die Monate Juni und Juli, Ostermeiers „Nora“ war eingeladen und Sasha Waltz’ „Körper“. Pina Bausch, Ariane Mnouchkine, die Wooster Group werden kommen, Liza Minelli und Diana Krall, Solomon Burke und Philip Glass treten im Odeon des Herodes Atticus bei der Akropolis auf. Leukos holt Säulen des internationalen Festivalbetriebs nach Athen, und er will mit Neuproduktionen wie dem „Sommernachtstraum“ an das zeitgenössische Theater Anschluss finden.

Ostermeier und Macras – das ist auch für Berlin ein Novum, ein kleines Politikum. Schauspiel und Tanz, sie haben sich an der Schaubühne nie wirklich gefunden, ein gemeinsamer Abend von Waltz und Ostermeier kam nicht zustande. Sie gehen längst getrennte Wege, was beiden gut zu bekommen scheint.

Der „Sommernachtstraum“ wirkt wie eine Lockerungsübung. Über die Bühne kommen die Zuschauer in die Halle, werden von den Akteuren mit Küsschen und Bowle empfangen. Das lässt man sich in einer warmen Athener Sommernacht gefallen, sonst ist das Mitspielenmüssen doch ein Graus. Jan Pappelbaum hat wieder ein echtes Pappelbaumhaus gebaut– eine Lounge aus Chrom und Glas, ein ausgeräumtes, vergrößertes Puppenheim. Es herrscht verdammt gute Laune, aber das wird noch zurückfallen auf die aufgekratzten Schauspieler und Tänzer. Dieses seltsame Strahlen in den Augen, dieser Amüsierzwang.

Eine brutale Groteske, sehr bald. Was wie eine Eliot’sche „Cocktailparty“ losgeht, kippt um in einen Teufelstanz im Stil von Ghelderode („Der große Makabre“). Soziale Unterschiede, höhere Mächte sind von Ostermeier/Macras und Dramaturg Marius von Mayenburg restlos beseitigt, alle sitzen im gleichen Alptraumschiff, alle rudern. Die Paare wechseln ständig Stellung, Namen, Identität und auch Geschlecht. Allgemeine Sprachverwirrung greift um sich, die Körper übernehmen die Kommunikation. Schmerzhaft, bis zur Erschöpfung wird gezogen, getreten, geklammert, gefoult. Nicht umsonst tragen die Schauspieler Knieschützer, wie die Inline-Skater.

Da ist auf den ersten Blick mehr Macras als Ostermeier drin. Macras macht, das ist ihre Spezialität, Gewaltparty, Ostermeier bringt die szenische Kühlbox mit. Aber dann fließt doch alles zusammen, der Slapstick, die beinharten Pas de deux, das Rennen, Flüchten, Türenschmeißen. So witzig hat man sie noch nicht gesehen: Robert Beyer, der giftig kichernde Puck in Torerokluft, ein Shakespeare’scher Narr reinster Sorte; Lars Eidinger in allen möglichen Verwandlungen, von der ungeschickten, traurigen Elfe zum onanierenden Bauerntölpel und strippenden Animateur.

Bettina Hoppe, zuletzt am Maxim Gorki Theater in Berlin engagiert, ist neu im Ensemble der Schaubühne. Ein Hauptgewinn. Sie spricht, das ist nicht selbstverständlich, einfach und klar und pointiert ihre Titania oder auch sonstwen – in Frank Günthers Shakespeare-Übertragung, von der hier nicht viel übrig bleibt. Schauspieler sind Tänzer, und Tänzer sind Schauspieler, so wie bei Shakespeare tumbe Handwerker Theaterkünstler mimen. Ostermeier und Marcras lassen die geilen Tiere schmoren im eigenen Saft, jeder ist seines Glückes Dieb, das ergibt herrlichen Pfusch, wunderbare Mimikry.

Ein Sound für alle Jahreszeiten. Alex Nowitz, Countertenor und Komponist, singt Händel, Hardrock, Pop-Balladen; eine Entdeckung. Die Band (Chris Dahlgren, Maurice de Martin und Nowitz) sitzt mit auf der Bühne. Oberon hat keine Lust zum Zaubern, Puck patzt, hier spielen die Musiker als Zeremonienmeister auf, so sanft, so laut. – Bei Shakespeare gibt’s nachher eine unsanfte, aber glückliche Landung. Aus der Traum der Mittsommernacht, und flugs geheiratet. Hier nicht. Die Schaubühne hält ihre Schaumschläger in der Luft, lost in temptation. Die Versuchung macht keine Pause.

Rüdiger Schaper

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