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Kultur: Flirt mit dem Tod

Mira Nair sucht mit dem Biopic „Amelia“ das Kino-Abenteuer über den Wolken

Verleiher, die es wagen, ihre neuen Produktionen ausgerechnet zu einer Zeit ins Kino zu bringen, da die Fußball-Weltmeisterschaft dreimal täglich die Aufmerksamkeit nahezu der gesamten Weltbevölkerung fesselt, müssen verrückt sein. Oder sie verfolgen eines der folgenden zumindest restvernünftigen Ziele. Sie rechnen ihrem Film Chancen aus, als schlüsselreizvolles Kontrastprogramm zum kollektiven Hirnkick zumindest in Erwägung gezogen zu werden. Oder sie wollen ihn – selbstredend bei korrekter Erfüllung aller Verträge – öffentlich verstecken.

Im Falle von Mira Nairs Fliegerinnen-Biopic „Amelia“, einem Produkt von Fox Searchlight, ist, so kurios das anmutet, irgendwie beides zu vermuten. Die 1897 geborene Amelia Earhart, die als erste Amerikanerin 1932 allein über den Atlantik flog und fünf Jahre später in den Weiten des Pazifiks den Tod fand (Porträt im Tagesspiegel vom 13. Juni), steht für eine aufregende Emanzipations- und Entfremdungsgeschichte – und die ist gewiss spannender als manche neunzig Minuten währende Bemühung von 22 Herren um einen Ball. Andererseits gerät Mira Nairs nahezu die 120-Minuten-Verlängerung in Anspruch nehmende Beschäftigung mit dem Stoff so kraftlos, dass auch die geneigteste Zuschauerin flugs dem nächstbesten Flachbildschirm entgegenstreben dürfte.

Ja, die Zuschauerin: Denn „Amelia“ lockt vor allem das immer noch etwas weniger fußballaffine Geschlecht. Amelia Earhart war – Ehe mit dem Verleger George Putnam hin, (angedichtete) Liebschaft mit dem Piloten Gene Vidal her – eine Frau, die ihr Privatleben ganz einer allem Getändel übergeordeten Leidenschaft, der Fliegerei, unterordnete. Das eigentliche Abenteuer sah sie über und, besser noch, in den Wolken: in Gefahr und Gewitter und Turbulenz, in der letztlich allem Fliegen innewohnenden Flirt mit dem Tod. Dabei diente ihr der geschäftstüchtige Ehemann, der sie bald als frühes Reklame-Model vermarktete und auf Promi-Vortragsreisen durch die Staaten trieb, in erster Linie als Geldbeschaffer: für immer neue Luftlustreisen mit immer tolleren Flugzeugen – bis zur zeitlos berauschend schnittigen zweimotorigen Lockheed L-10 Electra, in der sie den Tod fand.

Hier also die tollkühne Frau in ihren fliegenden Kisten, die trotz Ehe und Luxus und Ruhm ausdrücklich nichts mehr scheut als ein „durch Sicherheit eingeengtes Leben“. Dort das gewaltige Gefühlsdrama im Stil von Anthony Minghellas im historischen Fliegerfilmgenre unübertroffenem Schmachtfetzen „Der englische Patient“, wofür sogar dessen Breitklangkomponist Gabriel Yared extra verpflichtet wurde. Zu beidem nimmt der Film immer wieder Anlauf und hebt doch leider nie ab. Von Anfang an verheddert „Amelia“ sich in geradezu erschütternd stereotypem Wechsel zwischen Flug- und Liebesszenen und buchstabiert seine Story bloß bis zum absehbar zartbitteren Ende durch – in hölzern arrangierten Situationen und mit ödem Dialogmaterial aus dem Runterleierkasten. Hallo, hat hier irgendjemand im weiten Rund derer, die an dieser Filmproduktion beteiligt waren, irgendwann mal für das Projekt gebrannt?

Die Besetzung der Hauptrollen immerhin lockt mit einem Public Viewing der besonderen Art. Hilary Swank („Boys Don’t Cry“, „Million Dollar Baby“) hätte in ihrem vital-androgynen Zauber die ideale Amelia sein können – aber nahezu bis zur Unkenntlichkeit der historischen Amelia Earhart hinterherfrisiert und -geschminkt, geht sie meist wie eine mit sich selbst fremdelnde Aufziehpuppe durchs Bild. Ewan McGregor als dauergegelter Amelia-Liebhaber kommt über die eher minder betörende Schmiere nicht hinaus. Richtig grotesk aber agiert erst die Geheimwaffe des Kinos gegen allen Fußballwahn: Richard Gere. Der reifste Schmusekater unter Hollywoods Stars gibt als Amelias Gönner, Sponsor, Liebhaber und Ehemann alles – und das ist entschieden zu viel. So ein grausliches Trio hat das Kino schon lange nicht mehr hervorgebracht.

Mit anderen Worten: Wer spielt noch gleich heute Abend: Südafrika gegen Uruguay? Auch nicht schlecht.

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