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Kultur: Floh im Rohr

Das Schwere, das Leichte: Beckett-Klassiker in Neuhardenberg und am Deutschen Theater Berlin

Der Weg nach Neuhardenberg, gesäumt von Feldern unwahrscheinlich roter Mohnblumen. Als hätte das Metropolitan Museum hier ein paar Impressionisten verloren. Nachher im Schlosspark das orgiastisch anschwellende Quaken der Froschpopulation in der Kopulation: Man hat ein Beckett-Wochenende vor sich, da blüht die Wortspielerei. Wie sein Landsmann James Joyce bekam der in Frankreich lebende Ire gelegentlich Probleme mit der Zensur, dem öffentlichen Geschmack. Heute kann man sich das nicht mehr vorstellen – wie Becketts Stücke vor einem guten halben Jahrhundert die Welt erschütterten. Und dass es im Osten die lachhafte Alternative Brecht oder Beckett gab ...

In der Neuhardenberger Schinkel-Kirche, wo Josef Bierbichler in der Regie von B. K. Tragelehn „Das letzte Band“ spielt, ist nun aber die ganze An- und Zumutung schon wieder so klassisch, dass man nach Luft schnappt. Selbst der Einfall mit dem Videorekorder (im Original ein Tonbandgerät), den Bierbichler auf die schmale Bretterbühne vorm Altar schleppt, als wär’s ein Kasten Bier, wirkt seltsam staubig. Mit dunkelrot angemalter Säufernase, weißer Perücke und gewaltigem Seehundschnauzer sitzt da ein geschlagener Clown, dem der Zirkus des Lebens längst davongezogen ist. Bierbichlers Krapp betrachtet das Videobild eines auch damals schon nicht mehr jungen Kerls, der er selbst mal war. Alles an ihm, jede Geste, jedes Wort, spricht von Erschöpfung. Erinnerung, unerträgliche Last.

Als säße er in der Hölle, dazu verurteilt, in alle Ewigkeit herumzustolpern und seine Bananen zu mümmeln. Slapstick ohne Energie, das tut weh. Ein Grauen, so schwarz, dass es sich selbst auslöscht unter dem gemalten Sternenhimmel des spartanischen Gotteshauses. Becketts berühmter Satz „Nichts ist komischer als das Unglück“ wird von Bierbichler und Tragelehn mit großem Phlegma widerlegt. Ein preußisch-trockener, witzloser Beckett. Die erotischen Reminiszenzen, gespeichert auf dem „Letzten Band“, stammen wohl auch aus dem Reich der Einbildung, so trist ist diese Landpartie.

Und dann auch: eine bittere amusegueule für das „Endspiel“, das am anderen Abend im Deutschen Theater Berlin eine umjubelte Premiere erlebte. Ulrich Matthes als Hamm und Wolfram Koch als Clov nehmen in Jan Bosses Inszenierung den entgegengesetzten Weg. Während Bierbichler/Tragelehn ihr Stück müde verfinstern, wird hier aufgehellt, mit gut gelaunter Verzweiflung aufgedreht – weggefegt der meterdicke adornitische Fallout, der sich seit den fünfziger Jahren auf Becketts „Endspiel“ getürmt hatte. Keine Rede von atomarer Endzeit, auch Hinweise auf Klimakatastrophen, von denen ein Samuel Beckett noch nichts ahnte, werden höchstens elegant angespielt.

Was passiert hier? Was hat sich verändert? Sehr wenig, verdammt viel. Komplett gestrichen Nagg und Nell, die beiden Alten in den Mülltonnen.Das war einmal ein emblematisches Bild des absurden Theaters, wie das trockene Lebensbäumchen in „Warten auf Godot“. Gestrichen die Leiter, von der aus Clov die tote Außenwelt beobachtet. Stéphane Laimés Bühne: eine steil ansteigende, gähnend leere Spielfläche aus Brettern, die, wenn überhaupt, nur eines bedeuten: Hamm und Clov sind, wie Wladimir und Estragon in „Godot“, Schauspieler oder Ex-Schauspieler, Knallchargen, die etwas zu Ende kapriolen, was einmal einen Sinn hatte oder nicht; aneinandergekettet wie Faust und Mephisto, Hamlet und seines Vaters Geist, Ödipus und sein Geheimnis.

Jan Bosse macht das „Endspiel“ zum – Spiel! Ob das im Sinne des Erfinders ist, spielt keine Rolle, es funktioniert prächtig. In der Beckett-Literatur wird darauf verwiesen, das Marcel Duchamps Schachtheorien in das Stück eingeflossen sind. Beckett selbst, der große Schweiger, ließ sich einmal zu der Äußerung hinreißen, Hamm und Clov könnten Wladimir und Estragon im hohen Alter sein. Doch diese beiden hier, Matthes und Koch, interessieren sich einen Dreck für geriatrische Schicksale. Es sind Entertainer, durch und durch. Als einmal das Wort „Routine“ fällt, sind sie schier aus dem Häuschen. „Die alten Fragen, die alten Antworten, da geht nichts drüber“, jubiliert Hamm. Wann klang ein Beckett auf der Bühne so entspannt!

Matthes’ silbern-glamouröser Las-Vegas-Anzug (Kostüme: Kathrin Plath) verrät das fast schon zu schnell: the show must go on. Matthes, an einen einfachen Stuhl gefesselt, sieht mit seiner coolen Sonnenbrille aus wie eine Mischung aus Lou Reed und Martin Wuttke; eisiges Grinsen, diktatorischer Witz. Seit seinem „Fledermaus“-Auftritt an gleicher Stelle wird ja über Matthes’ komisches Talent gerätselt. Hier gibt er auch wieder den steifen intellektuellen Scharfsprecher – aber mit schneidender Ironie. Seine sprichwörtliche Ensthaftigkeit, hier ist sie Maske. Dieser Hamm kommandiert seinen Kollegen Clov aufs Übelste herum und weiß genau, dass der nur pariert, weil ihm danach ist. Klare Rollenverteilung – der Tyrann und der Zuträger. Und wie in jeder guten Komödie bestimmt das arme Schwein, das flitzen muss, die Regeln des Spiels.

Es ist, mit einem gut aufgelegten und präzise Vorlagen gebenden Ulrich Matthes, der Abend des Wolfram Koch. Er trägt Kittelschürze und Schlappen, hüpft wie ein Gummiball, zerreißt sich wie ein Truffaldino, kostet den subversiven Gehorsam aus bis zum Letzten. Koch führt ein Theatertier vor, das seine Ticks und Tricks mit unbändiger Freude kultiviert; als sauge er im ewigen Duett mit Hamm seinem Partner die Lebenskräfte aus. Allein die Szene, in der er mit Mehlstaubgewittern einem Floh in seiner Glitzerunterhose (Partnerlook!) zu Leibe rückt, lohnt dies „Endspiel“. Läufer Clov setzt König Hamm ein ums andere Mal matt.

Ein gefährlicher Moment. Hamm konstatiert im Angesicht seiner durchaus lustvollen Niederlage: „Wir sind es, die einander nicht mehr brauchen.“ Was meint er? Brauchen wir am Ende gar kein Theater mehr, keine Zuschauer, keine Schauspieler, keinen Text? Nach den Bedeutungsgebirgen kommen im Theater jetzt die Unterhaltungsebenen. Bei Beckett liegen sie auf- und nebeneinander. Das macht ihn so leicht, so schwer und – kaum zu glauben! – so versöhnlich.

„Das letzte Band“ in Neuhardenberg, noch einmal am 8. und 9. Juni., Tel. 033476-600750. – „Endspiel“ am DT Berlin, wieder am 7., 13. und 22. Juni.

Rüdiger Schaper

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