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Zackig. Der Eingang zu Daniel Libeskinds Museumsbau. Foto: Herrmann Pentermann

© Hermann Pentermann

Kultur: Fluchtwege, Lichtblicke

Daniel Libeskind hat für sein Osnabrücker Felix-Nussbaum-Museum einen Anbau geschaffen

Osnabrück hat selten Gelegenheit, avantgardistisch zu wirken. Zwar wurde auf der Rathaustreppe das Ende des Dreißigjährigen Krieges verkündet, doch das ist 363 Jahre her. Dass hier vor 123 Jahren der Anti-Kriegsschriftsteller Erich Maria Remarque zur Welt kam, ist ebenso halb vergessen. Die selbst ernannte „Friedensstadt“ lässt eher wenig von sich hören. Doch 1998 gelang den Stadtvätern ein Coup. Sie eröffneten das Felix-Nussbaum-Haus für das Werk des 1944 in Auschwitz ermordeten Künstlers. Es war das erste Gebäude von Daniel Libeskind, das er nach eigenen Plänen fertigstellte – mitten im südwestlichen Niedersachsen. Erst ein Jahr später wurde sein Jüdisches Museum in Berlin eingeweiht; der Rest ist Architekturgeschichte.

Mit dem Aufsehen erregenden Pionier-Bau etablierte Osnabrück Nussbaum als Maler der Shoah. Indes wurde das Haus Opfer seines Erfolgs: Bei der großen Nussbaum-Retrospektive 2004/5 platzte es aus allen Schweißnähten. Überdies fehlte ihm, womit Museen Publikum binden und Geld verdienen: Veranstaltungsräume, Souvenir-Shop und Café. Libeskind hatte einen dreiteiligen Gebäudekomplex entworfen, um an die drei Phasen in Nussbaums Leben zu erinnern: frühe Anerkennung, Exil und Deportation. Als „Museum ohne Ausgang“, um sein Martyrium physisch erfahrbar zu machen. So mancher Besucher fand nicht einmal den Eingang: Der lag versteckt hinter dem Kunstgeschichtlichen Museum, einem Sandstein-Bau aus dem 19. Jahrhundert.

Also erhielt der Architekt 2008 einen Anschluss-Auftrag. Als zentraler Zugang für beide Museen dient künftig ein Erweiterungsbau, der für drei Millionen Euro in 15 Monaten errichtet wurde. In der Außenwirkung knüpft er an das alte Nussbaum-Haus an: Graubrauner Rauputz lässt die Fassade eher abweisend wirken. Scharfzackige Fenster reißen sie auf und gewähren schlaglichtartige Einblicke.

Diesen „kaleidoskopartigen Prismen“ schreibt Libeskind eine „neue Energie“ im Gegensatz zu „negativ besetzten Schlitzen in der Wand“ am Altbau zu – eine Fenster-Metaphysik für Visionäre. Im Innern ist der Kontrast jedoch offensichtlich. Geweißte Wände, gläserne Geländer und Handläufe aus mattiertem Stahl verleihen Räumen und Treppen eine einladende Atmosphäre, die dem Museum bislang fehlte. Sie hat auf den Altbau abgefärbt: Ohne die bisherigen Einbauten wirkt sein Erdgeschoss nun großzügig und freundlich.

Auch der Brückenschlag zum weit auskragenden „Gang der ungemalten Bilder“ ist gelungen. Eine überdachte Passage führt zu diesem leicht ansteigenden Schacht, der mit unverputztem Beton und spärlicher Beleuchtung auf Nussbaums Biographie einstimmen soll. Der frühere Eingang ist nun mit dem „vertikalen Museum“ verbunden. Diese hohle Stele gleicht den „Voids“ im Jüdischen Museum Berlin, bietet aber Raum für eine Video-Projektion. Keine große Nutzfläche, aber dennoch ein Zugewinn: Bisher wurde der Solitär kaum als Teil des Hauses wahrgenommen.

Im ersten Stock des Neubaus entsteht eine Biblio- und Mediathek, die ihre Tücken besitzt. Vermeintliche Fluchtwege führen in die Irre oder tote Winkel. Das Konglomerat aus nunmehr drei Hauptgebäuden mit verschiedenen Grundrissen birgt die Gefahr, sich zu verlaufen. Abhilfe soll künftig ein „Leitsystem“ durch das Labyrinth schaffen. Eine gewisse, gewollte Grundirritation wird bleiben, doch weniger drückend wie früher. Diese Entlastung soll dann auch das Zusammenwachsen von kunstgeschichtlicher und Nussbaum-Sammlung befördern.

Das führt die Eröffnungsausstellung „Würde und Anmut“ anschaulich vor. Sie verfolgt beide Aspekte durch 500 Jahren Kulturgeschichte: Von der Aufwertung des Individuums in der Renaissance bis zur radikalen Entwertung im Holocaust. Dazu werden Nussbaums Bilder mit dem zweitgrößten Kunstschatz der Stadt, Dürers kompletter Grafik und aktuellen Arbeiten von sieben Künstlern konfrontiert.

Beim Dialog von frühneuzeitlicher mit zeitgenössischer Kunst sollen meist nur Alte Meister ihre Nachfahren nobilitieren. Doch hier ergänzen die Holzschnitte, Gemälde und C-Prints tatsächlich einander. Da nimmt eine von Dürer radierte Göttin die gleiche Pose ein wie eine von Roswitha Hecke fotografierte Prostituierte – wodurch jene würdevoller erscheint. Da montiert Tessa Verder das Gesicht einer jungen Russin vor den tonigen Hintergrund eines Nussbaum-Gemäldes – was ihrem Antlitz anmutige Tragik verleiht.

Würde strahlt ebenso Libeskinds neuester Museumsbau aus. Über seine Anmut lässt sich allerdings streiten. Von der Verwitterung aller Architektur bleibt aber auch seine gebaute Großskulptur nicht verschont. Der vor 13 Jahren entstandene erste Bauteil zeigt bereits Alterungsspuren: Die Holzverkleidung ist ausgeblichen, die Stahlummantelung voller Tropfnasen. Die nächste Rundum-Erneuerung dürfte bald fällig sein.

Felix-Nussbaum-Haus, Lotterstr. 2,

Osnabrück, bis 28.8.

Oliver Heilwagen

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