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Kultur: Flüchtige Aura

72 Stunden mit Duchamps „Belle Haleine“ in Berlin

Ob es noch duftet? Das erfährt man in der Neuen Nationalgalerie ebenso wenig wie die ganze Geschichte des Parfums, dessen Flakon vergangenes Jahr zum teuersten der Welt avancierte. Dank Marcel Duchamp, der 1921 ein Fläschchen „Un Air Embaumé“ zum Kunstwerk „Belle Haleine: Eau de Voilette“ umgestaltete. Und dank Yves Saint Laurent, in dessen Nachlass sich überraschend Duchamps einzig im Original erhaltenes Readymade befand. Im Februar 2010 wurde es bei Christie’s in Paris versteigert – für sagenhafte 7,9 Millionen Euro.

Der Käufer blieb anonym und erweitert die klandestine Geschichte von „Belle Haleine“ um das nächste Kapitel. Auch Udo Kittelmann gibt als Hausherr der Neuen Nationalgalerie die Identität des Sammlers nicht preis. Doch er griff zu, als sich die Chance zur Präsentation auftat und zeigt den verfremdeten Flakon nun für flüchtige 72 Stunden in der Halle der Neuen Nationalgalerie.

Hier wird sichtbar, wie wenig Duchamp verändert hat: Der Pionier der Konzeptkunst ersetzte das originale Etikett durch einen anderen Schriftzug und klebte ein fotografisches Porträt darüber. Es zeigt ihn mit Perücke als Rrose Sélavy, Duchamps weibliches alter ego. Eine Travestie, die perfekt zu den Readymades passt, denn auch sie changieren zwischen dem ursprünglichen Alltagsobjekt und seiner auratischen Aufladung.

Letztere wird von Kittelmann noch einmal verstärkt. Die Ausstellung eröffnet am heutigen Donnerstag um Mitternacht: Wer vorher schlafen geht, verpasst jenen heiligen Moment der Musealisierung. Der Flakon verlässt seinen Karton, in dem er die Jahrzehnte überstand – und wandert sogleich unter eine gläserne Haube von denselben Maßen wie Nofretetes transparenter Panzer auf der Museumsinsel. Eine Idee, so hintergründig, dass sie vom Künstler selbst stammen könnte. Sie stellt das Readymade auf eine Stufe mit der Büste der schönen Herrscherin und dem von ihr verkörperten Ideal: Kunst als ästhetische Verklärung. So lautete die Vorgabe über Jahrhunderte. Bis Marcel Duchamp 1913 einen Flaschentrockner und wenig später ein Pissoir auf den Sockel hob, um die Idee über die Ausführung zu stellen.

Duchamp hat eine Tür geöffnet, hinter der man sich bis heute Gedanken über die Entstehung und Rezeption von Kunst machen kann. Ohne ihn wäre die Geschichte eine andere, sind sich die Exegeten sicher. Selbst wenn sie für ihre Annahmen stets Repliken heranziehen mussten, weil nicht einmal der Künstler die Originale aufbewahrte. „Belle Haleine“ ist die Ausnahme und verströmt in der Neuen Nationalgalerie deshalb nun eine besondere Aura. Allein das Wissen wirkt betörend – selbst wenn man nicht am Flakon schnuppern kann. Christiane Meixner

Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, Eröffnung: 27.1., 24 Uhr. Bis 30.1.

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