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Angekommen im Paradies. Pauls Route erweist sich als eine bürokratische Odyssee.

© Farbfilm

Flüchtlingsdoku „Als Paul über das Meer kam“: Absprung ins Ungewisse

Das Dokument einer ungleichen Freundschaft: Jakob Preuss begleitet in seinem Film „Als Paul über das Meer kam“ einen geflüchteten Kameruner durch Europa.

Von Andreas Busche

Es gibt kaum einen Ort, an dem der Allgemeinplatz, dass die globalisierte Welt immer kleiner wird, zutreffender wäre als in der spanischen Exklave Melilla an der marokkanischen Mittelmeerküste. Die Bilder von überladenen Flüchtlingsbooten und verzweifelten Seerettungsaktionen sind in den westlichen Medien auch diesen Sommer allgegenwärtig. Doch in Melilla treffen Afrika und Europa unmittelbar aufeinander. Der ehemalige Kolonialposten ist von einem martialischen Grenzzaun umgeben, der Donald Trump stolz machen würde. In den Camps in den umliegenden Wäldern versammeln sich Männer und Frauen aus Kamerun, Nigeria und dem Senegal in der Hoffnung, auch die letzte, die schwierigste Hürde auf dem Weg nach Europa zu überwinden. Wer exemplarische Bilder von den großen Migrationsbewegungen der vergangenen Jahre, die manche Zeitgenossen abfällig als „Welle“ oder „Flut“ bezeichnen, sucht, wird hier fündig. Das Gefälle von reichem Norden und armem Süden ist in Melilla so konkret und eindrücklich wie an kaum an einem dieser neuen globalen „Transitorte“.

Mit einem exemplarischen Bild beginnt auch Jakob Preuss’ Dokumentarfilm „Als Paul über das Meer kam“. Auf dem gestutzen Grün spielt eine Gruppe Männer eine Partie Golf, während im Hintergrund der umkämpfte Grenzzaun wie ein Menetekel über der Szenerie thront. Oben am Zaun hängen Dutzende von Menschen, die aus der Entfernung an Vögel auf einer Überlandleitung erinnern: bereit zum Absprung ins Ungewisse. Den wenigsten von ihnen wird die Flucht gelingen, die marokkanische Polizei arbeitet eng mit den spanischen Behörden zusammen, um Fluchtversuche zu unterbinden. „Es gibt keine Solidarität mehr unter Afrikanern“, merkt ein Mann aus einem der Camps einmal an. Aber natürlich wissen auch sie, dass der marokkanischen Regierung aus politischen Gründen die Hände gebunden sind.

Paul ist ein Agent eigener Interessen

Preuss suchte im Jahr 2014 die Camps vor Melilla zwecks Recherchen für einen Dokumentarfilm über die EU-Außengrenzen auf. Hier begegnete ihm der Kameruner Paul Nkamani, der wie viele andere seit Jahren auf einen Weg über das Mittelmeer hofft. „Ich weiß nicht, ob ich Paul gefunden habe – oder er mich“, meint Preuss anfangs aus dem Off. Paul ist ein Agent eigener Interessen, sein einnehmendes Charisma weckt die Neugier des Dokumentarfilmers. Er führt Preuss in die Camp-Gemeinschaft ein, erzählt von seinem Werdegang – von der Universität flog er nach einem Studentenstreik, der Vater starb in seinen Armen – und plötzlich ist Paul verschwunden. Monate später begegnet Preuss ihm wieder, in den Fernsehnachrichten. Paul befindet sich unter einer Gruppe von Bootsflüchtigen, denen die Überfahrt geglückt ist. Preuss nimmt erneut Kontakt auf und begleitet ihn bei seiner Ankunft in Europa.

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Das Genre der Flüchtlingsdokumentation war in den letzten Jahren im Kino inflationär vertreten. In „Als Paul über das Meer kam“ steht nicht die Mittelmeer-Route im Mittelpunkt, vielmehr konzentriert sich Preuss auf Pauls Odyssee durch Europa. Ihr Verhältnis bleibt dabei ambivalent. Wo endet die neutrale Rolle des Dokumentarfilmers, wo beginnt die Komplizenschaft – wenn das menschliche Schicksal sich plötzlich mit dem eigenen Leben vermischt? Formal kommt Preuss sichtlich vom Fernsehen, für das er bereits preisgekrönte Dokumentarfilme gedreht hat. Immer wieder arbeitet er mit animierten Sequenzen. Aber die Fragen, die sein Film stellt, sind grundsätzlicher als ästhetische Vorbehalte. Wie kann es sein, dass sich Europa der Verantwortung für die Menschen aus dem Globalen Süden entzieht? Eine Antwort liefert er nicht. „Als Paul über das Meer kam“ ist das Dokument einer ungleichen Freundschaft. Kein Plädoyer.

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