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Kultur: Flug in den Tod

Die Vorlage ist wunderbar: Vor einigen Jahren hört ein Mann in Paris aus einer Nachbarwohnung Violinmusik.Er klingelt und erfährt: Es ist eine Aufnahme von Ginette Neveu, einer jungen Geigerin, die 1949 auf dem Weg zu ihrem ersten Gastspiel in der New Yorker Carnegie-Hall bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam.

Die Vorlage ist wunderbar: Vor einigen Jahren hört ein Mann in Paris aus einer Nachbarwohnung Violinmusik.Er klingelt und erfährt: Es ist eine Aufnahme von Ginette Neveu, einer jungen Geigerin, die 1949 auf dem Weg zu ihrem ersten Gastspiel in der New Yorker Carnegie-Hall bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam.Zur gleichen Zeit sollte ein weltberühmter Boxer im New Yorker Madison Square Garden im Revanchekampf gegen Jake La Motta antreten.Marcel Cerdan, 1948 Weltmeister im Kampf gegen Tony Zale, war Edith Piafs Geliebter.Auch er kommt, mit 29 anderen Passagieren, bei dem Flugzeugabsturz ums Leben.

Man stelle sich nun vor: Durch Zufall sitzen Neveu und Cerdan im Flugzeug nebeneinander und kommen ins Gespräch.Ihr Wettstreit zwischen Sport und Kunst ist dabei nur oberflächlicher Vorwand für eine Diskussion, die um viel mehr kreist: um Ehrgeiz, Erfolg, Einsamkeit und die Sehnsucht nach Vollkommenheit.Am Ende des Fluges steht für beide Liebe - und der Tod.

Der Mann, der die Geschichte erzählt bekam, schreibt sie nieder und macht daraus einen Bühnenerfolg."Der Boxer und die Violinistin" von Bernard da Costa lief vor zwei Jahren in Paris mit über 150 Vorstellungen.Eine davon sieht die junge Schauspielerin Bettina Schinko und entdeckt die Rolle der Ginette.Sie überzeugt den Regisseur Christoph Quest, überzeugt auch das Stükke- Theater am Südstern, dem kurzfristig eine Produktion ausgefallen ist.Finanzielle Unterstützung soll das Institut Français gewähren.Doch dessen Leiter winkt ab: Mehr als die Reisekosten für den Autor, der zur Premiere am Donnerstag anwesend war, könne er nicht übernehmen, und außerdem: Sein Onkel war der Pilot der Unglücksmaschine.

Was für ein Stoff, voller Liebe und Schmerz, Schönheit und Tragik - ein Stoff, aus dem Tragödien sind.Oder zumindest ihre späten Nachkommen, die tränenseligen Melodramen Hollywoods.Allein: Nichts von all dem ist zu finden in Bernard da Costas seicht dahinphilosophierendem Stück.Eine Stunde lang Reden über Gott und die Welt, die Seele in der Musik und die Kunst beim Boxen, und doch werden die wichtigsten Fragen ausgespart.Reden über Musik, das gelang noch nie besonders gut, aber hier mißlingt auch das Reden über Liebe, über Gefühle, über einfachste Dinge.Die so spannungsreiche Begegnung zweier Welten wird zum langatmigen Thesenstück.

Wenn es dennoch funkt im statischen Arrangement, dann ist dies den beiden Schauspielern zu verdanken, die so reizvoll konträr besetzt sind.Bettina Schinko als Ginette ist offen, direkt und wenig raffiniert.Werner Dähn dagegen, zum Boxer prädestiniert durch seine Arbeit als Kampfchoreograph am Berliner Ensemble, ist als Marcel Cerdan von unerwartet intellektueller Nachdenklichkeit.Ist die Violinistin unverhohlen ehrgeiziger Erfolgsmensch, so ist er der melancholische Philosoph mit Seele.Und hält die Spannung, die die Sprache nicht schaffen kann, allein durch intensives Zuhören.Sehr verführerisch.

Bis zum 30.August, jeweils Donnerstag bis Sonntag, 21 Uhr.

CHRISTINA TILMANN

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