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Forum: Eins, zwei, drei – hundert Leben

Brüche und Aufbrüche: Das Forum versammelt Geschichten vom Durchhalten in widriger Zeit.

Letztes Jahr lief mit Dominik Grafs Krimiserie „Im Angesicht des Verbrechens“ einer der besten deutschen Filme der Saison im Forum, ein Fernsehmehrteiler, ausgerechnet. Auch dieses Jahr verspricht das Forum mit der Sondervorführung von Dreileben einen Festivalhöhepunkt: ein deutsches Filmexperiment, wieder als TV-Produktion. Dominik Graf, Christian Petzold und Christoph Hochhäusler erzählen in je 90 Minuten aus verschiedenen Perspektiven die Geschichte einer Flucht aus dem Gefängnis – Graf aus der Sicht einer Polizeipsychologin, Petzold aus der eines Zivis, Hochhäusler aus der des Flüchtlings und eines Polizisten (16. 2.). Im Forum, der Heimstatt des Weltkinos, kann man auch dieses Jahr besonders gut sehen, was die Menschen weltweit umtreibt. Kaputte Familien zum Beispiel gibt es überall, oder genauer: verstörte Beziehungen, Paare, zwischen denen sich großes Schweigen ausbreitet, Eltern und Kinder, die einander denkbar fremd sind. Versuchte Nähe, Brüche und Aufbrüche: Darum geht es in den beiden deutschen Spielfilmen Auf der Suche von Jan Krüger (mit Corinna Harfouch) und Swans von Hugo Vieira da Silva, in Household X aus Japan, The Brownian Movement mit Sandra Hüller aus den Niederlanden, E-Love aus Frankreich oder, mit feinem Humor, in En terrains connus aus Kanada. Auch zwei der drei tschechisch-slowakischen Filme (von denen es lange keine mehr gab), Eighty Letters und The House, spüren Risse im familiären Gefüge auf, als Folge von politischem oder wirtschaftlichem Druck. 39 Filme, 6 Sonderprogramme und eine Retrospektive mit 8 Filmen des japanischen Klassikers Shibuya Minoru zeigt das 41. Forum für den unabhängigen Film. Mehr Filme als im Vorjahr, deutlich mehr aus Osteuropa. Viele Beiträge verbinden private und öffentliche Anliegen; seinem Selbstverständnis als Plattform für das politisch engagierte Kino bleibt sich das Forum treu. So erzählt der koreanische Künstler Kelvin K. Park im Dokumentarfilm Cheonggyecheon Medley vom drohenden Abriss eines alten Viertels in Seoul; ähnlich zeigt Tom Fassaerts Film De Engel van Doel, wie die Hafenerweiterung im belgischen Antwerpen einen ganzes Dorf verschwinden lässt und wie sich eine alte Bewohnerin dagegen wehrt. Dokumentarfilme haben im Forum Tradition. In Day Is Done kombiniert der Schweizer Thomas Imbach den Blick aus dem eigenen Atelierfenster mit den jahrelang gespeicherten Nachrichten auf seiner Mailbox: ein Langzeitexperiment über das Verhältnis von Innen und Außen. Volkmar Sattels Unter Kontrolle versammelt Innenansichten von Atomkraftwerken; Forums-Chef Christoph Terhechte nennt es einen „Science-Fiction von gestern“. El Mocito aus Chile porträtiert einen Folterer des Pinochet-Regimes, der zugleich Opfer ist; in Territoire Perdu geht es um die gespenstische Mauer in der von Flucht und Unterdrückung geprägten Grenzregion der West-Sahara. Die Wiederaufführung von Michael Pilz’ fünfstündiger Langzeitbeobachtung Himmel und Erde (1983) über ein Bergdorf in der Steiermark lässt einen die Langsamkeit wiederentdecken. Und in Traumfabrik Kabul stellt Sebastian Heidinger eine ungewöhnliche Frau vor: Saba Sahar kämpft für die Rechte der afghanischen Frauen: als Schauspielerin, Produzentin – und Polizistin! Komödiantisches Vergnügen verspricht der albanische Spielfilm Amnistia. Ein heimliches Liebespaar macht regelmäßig Gefängnisbesuche, für die offiziell genehmigten Schäferstündchen mit den jeweiligen einsitzenden Ehepartnern. Als überraschend eine Amnestie verordnet wird, drohen Komplikationen … Vergebliche Liebesmüh macht sich auch der tschechische Dorfbürgermeister im Dokumentarfilm Matchmaking Mayor, als er dem örtlichen Bevölkerungsschwund mit beherzten Verkupplungsversuchen entgegenzuwirken versucht. Drei Forums-Beiträge spielen mit der Versuchsanordnung Film im Film. In Les Mains Libres, dem Regiedebüt der französischen Schauspielerin Brigitte Sy, arbeitet eine Regisseurin mit Gefängnisinsassen an einem Filmprojekt. Hi-So (wie High Society) aus Thailand beobachtet Schauspieler und andere junge Menschen aus der Filmszene, die sich finden und wieder verlieren. Joe Swanbergs amerikanisches Indie-Doppel Silver Bullets/Art History untersucht den Psychostress auf dem Set.

In der Sektion FORUM EXPANDED probt das Kino die Grenzüberschreitung zur Bildenden Kunst: 42 Künstler/innen aus 16 Ländern zeigen Arbeiten in Ausstellungen, Filmvorführungen, im Deutschlandradio Kultur und auf der Bühne. Im Filmhaus am Potsdamer Platz und in der kanadischen Botschaft sind Videos von Guy Maddin über die Gespenster der Filmgeschichte zu sehen (mehr dazu am Sonnabend auf der Seite „Kunst und Markt“). Wie in den vergangenen Jahren wird eine TAGESSPIEGEL-LESERJURY die Filme des Forums sichten. Das neunköpfige Gremium prüft 31 Welt- und internationale Premieren, bevor es sich für einen Gewinner entscheidet. Der Siegerfilm läuft am Sonntag, 20. Februar, um 19.30 Uhr im Cinemaxx 4. Übrigens: Letztes Jahr hatte die Leserjury den perfekten Oscar-Riecher. Ihr Favorit „Winter’s Bone“ ist aktuell gleich viermal nominiert.

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