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Foto-Ausstellung: "Shoot!" - Schieß dich ab

Eine furiose Fotoschau in der Galerie C/O Berlin besticht nicht nur durch das provokante Thema: Hier dreht sich alles ums Schießen. Dabei werden aber nicht nur gelungene Schnappschüsse gezeigt, sondern vor allem auch ein interessanter Blick auf die Geschichte der Fotografie geworfen.

In der Videokoje wird scharf geschossen. Vier Leinwände im Quadrat, mittendrin der Betrachter, umzingelt von Revolverhelden und -heldinnen diverser Kinofilme, deren Höllenhandwerk vom US-Künstler und Komponisten Christian Marclay zur Schusswechsel-Installation „Crossfire“ zusammenmontiert wurde. „Halten Sie durch!“, ruft Kurator Clément Chéroux, mit Recht, denn irgendwann fügt sich die Ballerei – Eastwood trifft de Niro – zu perkussiven Mustern und einer Art Musik des bewaffneten Überfalls.

„Shoot! Fotografie existentiell“ heißt die furiose Fotoschau mit ein wenig Videokunst im C/O Berlin. Ein hochkalibriger Showdown im Postfuhramt, falls die Institution wirklich, wie befürchtet, Ende März ausziehen muss. Parallel läuft noch die Robert-Mapplethorpe-Retrospektive. Für Clément Chéroux vom Pariser Centre Pompidou, der seine Kunstschützenparade zuerst beim Fotofestival in Arles und dann in Braunschweig zeigte (das dortige Fotomuseum zeichnet mitverantwortlich), passt „Shoot!“ perfekt zu Mapplethorpe. „Spaß und Gewalt“, sagt er, „sind in beiden Fällen verschränkt“.

Während Mapplethorpe nebenan auf einem skandalösen Foto als RAF-Terrorist mit MG posiert und Phalli mit Pistolen gleichsetzt, dreht sich die thematische Gruppenschau um die Analogie von Schusswaffengebrauch und Fotografieren. Die Kamera als Colt, der Sucher als Visier, das Gegenüber als Opfer, der Schnappschuss als Epitaph: Über den fotografischen Akt der symbolischen Auslöschung ist schon viel geschrieben worden. Vilém Flusser erblickte den steinzeitlichen Jäger im Fotografen, für Susan Sontag war Fotografieren „sublimierter Mord“. Kurator Chéroux zäumt das Ross von der frivolen Seite auf. Und stellt zudem in einem Exkurs zu Niki de Saint-Phalle klar, dass Gewalt im Kunstprozess konstruktiv wirkt. Ein Filmdokument zeigt die Bildhauerin beim Beschuss von Gipsreliefs mit integrierten Farbbeuteln, die dann aufplatzen. Zerstörung wird Schöpfungsakt.

Im Fokus der Ausstellung steht der sogenannte Fotoschuss auf Jahrmärkten: Nur, wer mit dem Luftgewehr ins Schwarze trifft, betätigt den Auslöser einer Kamera. Im Bild: der Schütze, der sich quasi selbst als Trophäe mit nach Hause nimmt. Wie man auf kuriose Weise zur Schießbudenfigur wird, kann man an einer eigens installierten Selbstschussanlage ausprobieren. Die Fotobuden, heute im Niedergang, kamen kurz nach dem Ersten Weltkrieg auf, weil die Soldaten keine Bilder aus Kampfeinsätzen mitbrachten. Bald berauschte sich auch die Avantgarde am Fotoschuss: Surrealisten wie André Breton und Man Ray, Fotografen wie Brassaï und Cartier-Bresson ließen sich im Schießstand blicken. Unter vielen Paarbildern der Ausstellung ein zukunftsweisendes: Simone de Beauvoir drückt ab, während Jean Paul Sartre pfeiferauchend zuguckt (Paris, 1929).

Drei Langzeitfotoserien krönen die Schau: Roman Signer schoss sich selbst. Seine Künstlerkollegin Sylvia Ballhause wertete ein privates Polaroidarchiv aus: Man sieht 29 identische Bildkompositionen, doch derselbe Mann am Gewehr wird in der Reihe um ein Vierteljahrhundert älter. Noch spektakulärer wirkt, was der Aneignungskünstler Erik Kessels in rummelbunten Fotorahmen präsentiert: Seit acht Jahrzehnten steuert die Niederländerin Ria van Dijk mindestens einmal im Jahr – außer zwischen 1939 und 1945 – den Schießstand auf der Kirmes an. Auf den Bildern streift die Kugel 56 Mal das Leben der Hobbyschützin. Hereinspaziert in die Zeitmaschine: Moden und Frisuren wechseln, das Fotomaterial springt von Schwarz-Weiß zu Farbe, Ria trifft immer. Clément Chéroux erzählt, wie die Seniorin zum Star der Rencontres d’Arles 2010 aufstieg, weil (der nun wahrlich zu Tode fotografierte) Festivalgast Mick Jagger absagte.

Da auf dem Jahrmarkt nicht direkt in die Linse gezielt werden kann, gibt es eine einzige Reihe mit konsequent frontalen Selbstschüssen. Der Konzeptkünstler Rudolf Steiner fotografiert sich mit einer Camera Obscura, die erst im Augenblick, wenn die Kugel durchschlägt, zur Lochkamera wird. Aber warum ist die Gewehrmündung nie abgebildet? An ihrer Stelle klaffen Einschusslöcher in den Großdias, denn Strahlengang und Geschossbahn fallen ja zusammen. Der Blick trifft wie ein Blitz. „Man schießt sich virtuell selber in den Kopf“, sagt Steiner. Seine Freundin an der Kamera, die mit einer Klappe zeitnah die Belichtung unterbrechen muss, lebt wirklich gefährlich. „Ich bin Schweizer“, beruhigt uns der Künstler. Ein Urahne Wilhelm Tells, des Apfelschützen? Wir atmen auf.

C/O Berlin, bis 3. April. Oranienburger Straße 35/36, Mo - So 11 - 20 Uhr, www.co-berlin.com

Jens Hinrichsen

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