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Fotografie einer toten Taube von Ingar Krauss.

© Ingar Krauss

Fotoausstellung „Wild“ in Berlin: Das Selfie der Eule

Die Berliner Fotoausstellung „Wild“ in der Alfred-Erhardt-Stiftung erörtert das schwierige Verhältnis von Mensch und Tier.

Man könnte heulen. Der Mensch ist so garstig. Einerseits bewundert er das Tier, will es betrachten, verstehen, von ihm lernen und sich in ihm spiegeln, andererseits macht er es kaputt, wo es nur geht. Aufgespießt, tot, ausgetrocknet, zum Stillleben verarbeitet, so sieht man Käfer, Schmetterlinge, Vögel und Fische in der Fotoausstellung „Wild“ in der Alfred-Erhardt-Stiftung. Der Ausstellungstitel bringt ein Dilemma auf den Punkt. Was ist am Tier überhaupt noch wild? In der zeitgenössischen Fotografie wird das Tier jedenfalls kaum noch in freier Wildbahn abgelichtet. Zumindest nicht in den Bildern, die Kurator Matthias Harder ausgewählt hat.

Und doch gibt es gleich an der ersten Wand eine beeindruckende Aufnahme einer sich im Flug befindenden Schneeeule von Martin Klimas. Erhaben hat das Tier seine weißen Schwingen ausgebreitet, man sieht jede einzelne Feder, die Krallen, die Ohren, ihr Blick ist direkt in die Kamera gerichtet. Die übergroßen gelb-schwarzen Augen erinnern stark an Glupschi-Stofftiere und auch sonst ist man als Betrachter kaum in der Lage zu entscheiden, ob der perfekte Vogel echt ist oder nicht. Die Verwirrung entsteht, weil Klimas eine Lichtschranke installiert hat, die die Eule durchflog, kurz nachdem sie in die Luft gestartet war. Das Bild ist ein Selfie! Und doch bleibt der Vogel der Gelackmeierte.

Abwechslungsreicher Blick auf die Mensch-Tier-Beziehung

Harder hat für die Ausstellung Fotografen ausgewählt, die nicht auf Tiere spezialisiert sind, sondern sich für vielfältige soziale und ästhetische Fragen interessieren. So gelingt ihm ein sehr abwechslungsreicher Blick auf die Mensch-Tier-Beziehung. In den 2014 entstandenen Aufnahmen der in Berlin lebenden Fotografin Tina Winkhaus, einer Spezialistin für überästhetisierte Szenografien, werden Wolfsrudel und Nashorn zu Supermodels. Die Wölfe stehen vor einer Meereslandschaft, das Fell glänzt, der Himmel ist von pudrigem Schwarz-Blau, als wäre ein Renaissancemaler am Werk gewesen. Schönheit und Abscheu mischen sich bei dem Truthahn, den Vera Mercer fotografiert hat. Kopf und Hals sind auf einer Glasplatte abgelegt. Der Betrachter kann in aller Ruhe den Faltenwurf der Haut, ihre faszinierende violett-rötliche Färbung studieren. Das scheint der Preis der Anziehung zu sein: Je näher der Mensch dem Tier kommt, umso wahrscheinlicher ist es tot.

Mit der Berlinerin Vera Mercer, Ex-Ehefrau von Daniel Spoerri und bekannt für ihre Schwarz-Weiß-Portraits von Künstlern wie Marcel Duchamp, Robert Filliou und Niki de Saint-Phalle, bringt Harder Künstler ins Spiel, die man in Berlin viel zu selten sieht. Es gibt auch eine Wiederbegegnung mit dem auf dokumentarische Portraits spezialisierten Magnum- Fotografen Stefan Moses, Jahrgang 1928. Seine Bilder gehören zu den wenigen der Ausstellung, die Mensch und Tier gemeinsam zeigen. Und doch hat der Mensch in jedem einzelnen Bild seine grausamen, liebenden, neugierigen Finger im Spiel.

Bis 14. September, Alfred-Erhardt-Stiftung, Auguststr. 75, Di-So 11-16, Do 11-21 Uhr

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