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Selbstportrait Sebastian Kusenberg

© Sebastian Kusenberg

Fotograf Sebastian Kusenberg: Der Zufall fotografiert mit

Sebastian Kusenberg belichtet lange, um Zeitspannen sichtbar zu machen. Zwei Ausstellungen zeigen jetzt seine Selbstporträts und Stadtansichten.

Selbstporträts sind im Trend – als „Selfies“: Schnappschüsse, die sofort in den sozialen Netzwerken hochgeladen werden. Kurze Momente sind für die Community verewigt – und zugleich absolut austauschbar. Es gibt aber auch Selbstporträts, die anders, raffinierter sind. Dazu gehören die Arbeiten von Sebastian Kusenberg. Er fotografiert sich ebenfalls selbst. Allerdings mit einer alten Plattenkamera.

Kusenbergs Porträtserien sind gerade im Bildband „Pictures Inside Me“ erschienen. Schwarz-weiße Fotografien, die verlassene Wälder oder alte Bauernhäuser zeigen, in ihrer Mitte ist häufig eine verschwommene Gestalt zu sehen. Eine Szenerie, gespenstisch und faszinierend zugleich. Mal balanciert das Wesen auf einem Baumstamm, mal schauen nur ein paar Füße leicht verwackelt unter der Bettdecke eines Holzbettes heraus, der Kopf ist meist verhüllt. Eine menschliche Gestalt, die stets in Bewegung zu sein scheint und schwierig zu greifen ist mitten in einer natürlichen, unberührten Szenerie.

Performance ohne Zuschauer

Sebastian Kusenberg wurde 1958 in Hamburg geboren, er lebt und arbeitet seit 1988 in Berlin. Abgeklärt und mit ruhiger Stimme erzählt er beim Treffen in seiner Altbauwohnung in Prenzlauer Berg von seinem Weg in die Fotografie. Die erste Kamera hielt er als Jugendlicher in den Händen, knipste auf Klassenfahrten, stieg nach der Schule in den Fotojournalismus ein. Irgendwann zog es ihn zur Kunstfotografie. Mit den Selbstporträts wollte er nicht mehr dem „einen Bild“ hinterherjagen, sondern thematisch unbeeinflusste Fotografien machen. Er kaufte sich eine alte Plattenkamera, experimentierte mit Technik und Motiv. Seine analoge Linhof-Technika-Laufbodenkamera wiegt einige Kilo. Dass er selber auf den Bildern zu sehen ist, ist einerseits Konzept, andererseits der praktischen Umsetzung geschuldet. „Mich selbst habe ich sowieso immer dabei“, sagt er schlicht.

Seine Technik ist in der Kunstfotografie nicht wirklich neu. Francesca Woodman fertigte bereits 1981 langzeitbelichtete Selbstporträts an, die Kusenbergs Werken ähneln. Das ist ihm klar, interessieren tut es ihn aber wenig, schließlich will er Fotografie nicht neu erfinden. Was ihn fasziniert: sich durch die längere Belichtung dem Thema Zeit anders zu nähern. In der digitalen Welt drückt man heute auf einen Knopf, um den Bruchteil einer Sekunde festzuhalten. Kusenberg hingegen möchte eine Zeitspanne zeigen, Lebensausschnitte statt Momentaufnahmen.

Natürlich könnte er eine Digitalkamera neben der Plattenkamera aufbauen und Probeschüsse machen, aber das lehnt er ab: „Dann fange ich ja wieder mit dem gezielten Suchen an.“ Für ihn ist es immer noch ein magischer Moment, wenn seine Aufnahmen auf den Entwicklungsbögen im Fotolabor langsam Form annehmen. Wie genau er auf den Porträts positioniert ist, wie die Gesamtkomposition abgestimmt ist, das überlässt er dem Zufall. Das sei dann ein wenig, als drücke jemand anders auf den Auslöser. „Es ist wie eine Performance vor der Kamera, nur ohne Zuschauer.“

Aufmerksamer und geduldiger Beobachter

Seine Fotografien sind nicht nur Schwarz-Weiß-Porträts von sich selbst, auch große Stadtpanoramen gehören dazu. Einige davon werden in der Ausstellung „Europe Under Construction – Berlin 1945–2915“ in der Galerie 36 zu sehen sein. Zusätzlich zeigt eine Sonderausstellung Bilder aus „Pictures Inside Me“. Für seine Panoramen lichtet er öffentliche Orte ab, fotografiert jeden Quadratmeter analog und klebt die entwickelten Bilder dann in einer Collage zusammen. Eine Arbeit der kleinen Schritte, die ihm sichtlich Spaß macht. Mit Begeisterung erzählt er von den Details der Panoramen, die von Weitem ein Gesamtkonzept ergeben, auf denen aber bei genauem Hinsehen viele kleine Handlungsorte existieren. Ein Augenblick Stadtleben, der gleichzeitig viele Momente darstellt.

Doch auch bei den Panoramen zeigt sich sein Faible für Porträts. Das typisch Menschliche fasziniert ihn, Kusenberg ist aufmerksamer und geduldiger Beobachter. „Wir haben in uns selbst so viel zu entdecken“, sagt er – da kann er auch auf Abstraktionen verzichten. Seine Bilder findet er oft selber etwas merkwürdig und ziemlich witzig, das sei auch bewusst so gewollt. Wenn er darüber nachdenkt, lächelt er verschmitzt. „Wenn man sich auf etwas einigen kann, dann, dass es im Leben eine Menge Absurditäten gibt.“

Ausstellung „Europe Unter Construction – Berlin 1945–2015“ mit Stadtpanoramen von Sebastian Kusenberg, bis 10. Dezember, Galerie 36, Chausseestraße 36. Dort ist ab 15. Oktober, 19 Uhr (Bildbandvorstellung), bis 22. Oktober auch die Sonderausstellung „Picture Inside Me“ zu sehen. Den gleichen Titel trägt Kusenbergs Fotobuch (Kehrer Verlag, 34,90 Euro).

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