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Fotografie: Die Schwarz-Weiß-Seherin

Sie war eine bedeutende Berliner Bildreporterin der vierziger bis sechziger Jahre. Doch sie gab kaum etwas von sich preis. Wer war die Fotografin Hilde Zenker? Eine Spurensuche.

Das Stativ habe sie aufgestellt, die Kamera eingestellt, abgedrückt. „Sachlich, zackig. Von Zärtlichkeit keine Spur.“ Wie beim Militär. Maja Dulce erinnert sich genau daran, wie ihre Tante fotografierte. An die Präzision, mit der sie ihren Bildausschnitt wählte. Die Klarheit ihrer Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Die Dunkelkammer in ihrer Küche. Dulces Tante, eine „absolut intellektuelle, aber eigenwillige Frau“, war eine bedeutende Berliner Bildreporterin der vierziger bis sechziger Jahre: Hilde Zenker. Schon zu Lebzeiten gab die legendäre Fotografin kaum etwas von sich preis, sie galt als distanziert. Heute, genau zehn Jahre nach ihrem Tod, kennt sie kaum noch jemand.

Grund genug, der Kamerakünstlerin eine Ausstellung zu widmen, dachte sich Lothar Poll. Und entlieh der Berlinischen Galerie prompt Zenkers Werke, um sie in seiner Kunststiftung in Berlin-Mitte zu zeigen. Dass Zenker keine Vita hinterlassen hat, stört Poll wenig. Denn das, was sie hinterlassen hat, ist beeindruckend genug: Porträts, eindringlich und überraschend. Da fasst sich die erschöpfte Schriftstellerin Ricarda Huch an die Schläfe, ihre Pupillen schon halb unter den Lidern verschwunden. Da stützt eine ernste Marlene Dietrich ihr Kinn, mit weißem Handschuh und erhabenem Blick. Maria Schell trägt Abendkleid, Klaus Kinski Pelzmütze. Die Publizisten Wolf Jobst Siedler, Hans Scholz und Heinz Ohff hat die Fotoreporterin zu dritt abgelichtet. Sie lachen, rauchen und prosten sich zu.

Feierliche Stimmung hier, Halbschlaf dort. Irgendwie muss es Hilde Zenker gelungen sein, hinter ihrer Kamera unsichtbar zu werden. Es ist, als hätte nie eine Inszenierung stattgefunden. Als hätten die Porträtierten sie vergessen. Oder vertrauten sie der Fotografin blind? War Hilde Zenkers Verschwiegenheit vielleicht ihr Erfolgsgeheimnis für gute Bilder?

Ein bisschen hat sie doch verraten: In Weißenfels im heutigen Sachsen-Anhalt wurde Zenker 1909 geboren. Erst nach russischer Gefangenschaft kam Zenker ins zerstörte Berlin, wo sie mitunter für die vom Tagesspiegel herausgegebene „Illustrierte Berliner Zeitschrift“ arbeitete. Sie lebte exzessiv, reiste nach Frankreich und England, pilgerte mit einer Freundin zum Vatikan, kaufte Kleider in Edelboutiquen. Das Geld dafür besaß sie nie. Diejenigen, die die Fotografin gekannt haben, sprechen viel von ihrem Stolz, ihrer Schlagfertigkeit, ihrer Zwiespältigkeit. Dass sie zwar an der Familie hing, diese aber selten besuchte. Und wenn sie es doch tat, erklärte sie manchmal, kurz nach ihrer Ankunft: „So, ich gehe jetzt.“

Schon im Zweiten Weltkrieg hatte sich Hilde Zenker als Bildreporterin einen Namen gemacht. Sie fotografierte für Nazi-Propagandablätter wie „Signal“, „Silberspiegel“ und „Koralle“: Eine Violinistin etwa, über die berichtet wird: „Auf dem Podium der Berliner Philharmonie steht, weiß und rosa, ein junges Mädchen. Ein sanftes Meer von Musik wellt um sie her.“ Erschienen 1942. An Dritter-Reichs-Idylle nur schwer zu übertreffen aber ist Zenkers Reportage über die Puppenmacherin Käthe Kruse. Besonders diese eine Aufnahme, wie Kruse eine ihrer blonden Schöpfungen vor sich hält: Den Kopf geneigt, ein Lächeln auf den Lippen, strahlt sie ihre Puppe an, als sei sie ihr Kind. Schlug man die „Signal“ zu, stand auf der Vorderseite geschrieben: „Auf einer Hochschule für Panzer“. Und in der Ecke: 1943. Das Jahr, in dem Goebbels den totalen Krieg ausrief.

„In dieser Zeit hat Hilde Zenker einem Verbrechen gedient“, sagt Kunststifter Poll. „Eigentlich war sie links“, sagt ihre Nichte Dulce. Klar ist: Die Fotografin bemühte sich spätestens ab den Fünfzigern um Subjektivität. Da dokumentierte sie Flüchtlingslager. Matratzen, die sich an Matratzen reihten. Wäsche, die darüber trocknete. Zu viele Menschen auf zu kleinem Raum. Und da dokumentierte sie die „Familie von Prinz Louis-Ferdinand“. Jungen in sauberen Hemden, Mädchen in weißen Kleidern. Die Mutter mit der Perlenkette, den gut gelaunten Vater. Das Familienfoto mit Hund.

Hilde Zenker pflegte Kontakte zu Künstlern, wurde zur Institution der Berliner Kunstfotografie bis in die Sechziger hinein. Dass sie mit Hannah Höch, Wilhelm Furtwängler und Romy Schneider bekannt war, erzählte die Fotografin allerdings nie. Warum , weiß Maja Dulce: Man hätte Zenker die prominenten Bekannten ja wegnehmen können. Ihre Tante befand sich stets im Konkurrenzkampf. Mit allen, mit sich. Als das Land Berlin sie 1992 mit dem Ehrenstipendium würdigte, verzichtete die 82-Jährige auf Begleitung. Sie bestand darauf, den Preis alleine überreicht zu bekommen. Der einzige Mensch, der zu Hilde Zenker durchdringen konnte, war ihr Mann. „Otto Buchholz war ihr Mentor“, sagt Dulce. „Hilde nannte ihn ,Büchen‘.“ Der zwanzig Jahre ältere Journalist, Lehrer und Pfarrer habe sie geprägt. Ebenso wie die Scheidung 1947.

Wegen ihrer Verschlossenheit wissen heute wenige, wer Hilde Zenker war. „Wir sind am Forschen“, verspricht Poll. Dass die Fotografin ihre Ausbildung beim Schöneberger Lette-Verein machte, ist noch bekannt. Dass sie am 20. Oktober ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte, auch. Außerdem hat sich die unverhoffte Möglichkeit ergeben, ihr Leben vielleicht doch noch zu entschlüsseln: Maja Dulce hat im Keller ihrer Tante Negativmaterial gefunden. „Einen ganzen Schrank voll.“

Kunststiftung Poll, Gipsstr. 3, bis 31. 1.; mehr Informationen:
www.poll-berlin.de

Annabelle seubert

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