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Fotografie: Kandierte Kamera

So aufgeräumt und heiter, so verführerisch und agfacolorbunt unwirklich hat West-Berlin schon lange nicht mehr gestrahlt. Eine Ausstellung im Ephraim-Palais präsentiert Fotos von Herbert Maschke. Einst dienten sie als Vorlagen für Postkarten.

Seit einiger Zeit weht ein Hauch von Westalgie durch die Stadt. Es mehren sich die Bücher, in denen noch einmal eine untergegangene kleine Welt beschworen wird, das alte West-Berlin, in dem die Weltgeschichte vierzig Jahre lang den Atem angehalten hatte. Man bestaunt das seltsame Phänomen einer Halbstadt, in der noch die Ruinen des verlorenen Krieges standen und doch schon demonstrativ ein neuer Luxus erblühte. Hier verlief die Demarkationslinie im Wettkampf der Systeme, alles Melancholische wurde überschminkt. Vom „Paradies zwischen den Fronten“ sprach der Schriftsteller Rudolf Lorenzen.

Doch so aufgeräumt und heiter, so verführerisch und agfacolor-bunt unwirklich wie auf den Bildern von Herbert Maschke, die jetzt wieder aufgetaucht sind, hat West-Berlin schon lange nicht mehr gestrahlt. Die Ausstellung im Ephraim-Palais, die das Berliner Stadtmuseum dem Fotografen widmet, schwelgt in Hochglanz und versetzt ihre Besucher in den Zustand eines ästhetischen Zuckerschocks.

Maschkes kandiert wirkende Fotos sind im Wortsinn Postkartenansichten. Der Architektensohn, 1915 in der Provinz Posen geboren, begann seine Karriere als Bildberichterstatter bei der „Ostdeutschen Sportzeitung“ in Breslau, wurde 1942 aus gesundheitlichen Gründen aus der Wehrmacht entlassen und arbeitete als Standfotograf beim Filmstudio Tobis. 1952 zog er mit seiner Familie nach West-Berlin. Weil er dort als freier Fotograf nicht Fuß fassen konnte, gründete er 1957 einen Ansichtskartenverlag, den er zwei Jahrzehnte lang erfolgreich betrieb. Maschke starb 2005 mit 90 Jahren. Ein Teil seines Fotoarchivs in Charlottenburg wurde bei zwei Wassereinbrüchen zerstört. Was dem Unheil entging, haben die beiden Kinder von Maschke aufgearbeitet. Es ist ein stadthistorischer Schatz.

Die Bilder aus der Wirtschaftswundermetropole West-Berlin „dokumentieren die Moden, die Lächerlichkeiten und Irrtümer, aber auch das Erstaunliche, Bedenkenswerte und Bleibende einer Epoche“, schreibt der Historiker Götz Aly im Begleitbuch zur Ausstellung. Maschke hat auch die Trümmerfelder der zerbombten Stadt aufgenommen, aber seine Fotos verzichten auf das Pathos der Trauer und Anklage. Die Ruinen sind Kulissen, aus denen sich eine neue, andere und schönere Stadt erheben wird. Maschke feiert die Hochhäuser des neu erbauten Hansaviertels, den Ernst-Reuter-Platz mit seinen nächtlich illuminierten Wasserspielen und, in einer prachtvollen Luftaufnahme, das ornamental geschwungene Autobahnkreuz am Funkturm.

Eine Botschaft, so Aly, geht von diesen Fotos aus: „Wie schön ist es doch, einen Krieg zu verlieren!“ Konzentriert war der optimistische Zeitgeist auf dem Kurfürstendamm anzutreffen, der als Prachtboulevard wieder an das Erbe der zwanziger Jahre anzuknüpfen versuchte. Allerdings fehlte der bei Maschke stets wie frisch gefegt erscheinenden Prachtstraße alles Verruchte. Nachtflugpiloten nannten den Ku’damm die „Milchstraße Berlins“. Maschke zeigt Neubauten wie das Bikini-Haus, den Zoo-Palast und die Hotels Kempinski und Hilton, die wie frisch aus der Pelle geschlüpft wirken. Am Ende, die siebziger Jahre brechen an, sitzen Langhaarige auf dem Pflaster, auf einer Bank schläft ein Obdachloser. Sie sehen aus wie Schauspieler, die es in den falschen Film verschlagen hat.

Ephraim-Palais, bis 17. Februar, Di, Do–So 10–18, Mi 12–20 Uhr. Das Buch „Wirtschaftwunder West-Berlin. Fotografien von Herbert Maschke“, Nicolai Verlag, 128 S., kostet 16,95 €.

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