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Schönheit und Schrecken. Am Strand von Kessennuma in der Präfektur Miyagi, 2012.

© Hans-Christian Schink, Courtesy Galerie Kicken Berlin und Galerie Rothamel Erfurt/Frankfurt

Fotografie: Was die Welle übrig ließ

Zwei Jahre nach dem Tsunami: Der Berliner Fotograf Hans-Christian Schink ist in die am stärksten betroffene japanische Region Tohoku gereist und hat 62 Stillleben von einer postapokalyptischen Landschaft mitgebracht. Jetzt werden sie in einem Bildband veröffentlicht.

Der Schrecken bleibt abstrakt. Man kann ihn nicht sehen. Jedenfalls nicht sofort. Der Blick geht über ein verschneites Feld, über Felsen und eine Mauer aus Beton auf das sanft gekräuselte Meer. Eine Idylle, bloß ein Detail stört: Im Geäst des Baums, der in der Bildmitte aufragt, hat sich ein Tau verfangen. Es muss von einem Schiff stammen, das vom Tsunami fortgerissen worden war. Am 11. März 2011 erreichten gegen 15.15 Uhr Ortszeit drei Flutwellen, ausgelöst von einem pazifischen Erdbeben, die japanische Nordostküste. Etwa 19 000 Menschen starben, und seither kennt die Welt den Namen des Atomkraftwerks, in dem die Kernschmelze zur Katastrophe führte: Fukushima.

Der Berliner Fotograf Hans-Christian Schink war vor einem Jahr in der am stärksten betroffenen Region Tohoku unterwegs. Seine Aufnahmen, die jetzt in einem prachtvollen Bildband erscheinen, zeigen eine postapokalyptische Landschaft, die erstaunlich friedlich wirkt. „Viele Orte befanden sich in einem merkwürdigen Zwischenzustand“, sagt er. „Man konnte kaum feststellen, was Ab- und was Aufbau war.“ Bei vielen Häusern, die Schink fotografierte, ist nur schwer zu erkennen, ob es sich um Ruinen oder halb fertige Neubauten handelt.

Das liegt auch an Schinks dezenter Arbeitsweise. Die 62 Fotografien sind meist aus größerer Distanz und unter milchigtrübem Himmel aufgenommen. Schink ist ein Lakoniker, er bevorzugt ein undramatisches Licht, will die Atmosphäre seiner mit einer analogen Groß- oder Mittelformatkamera entstehenden Bilder nicht durch Schlagschatten, Sonnenstrahlen oder Wolken aufladen. So bekommen die Fotos bei aller Detailgenauigkeit auch etwas Unwirkliches. Schink verabscheut den Begriff Authentizität, er dokumentiert nicht, sondern hält Eindrücke fest. „Im Lauf eines jeden Lebens sammelt sich eine Art Sediment von optischen Eindrücken an, die das eigene Sehen formen“, sagt er. Ein Credo strenger Subjektivität.

Es lohnt sich, die stillen, fast meditativ wirkenden Landschaftspanoramen länger zu betrachten. Oft zeigt sich wie bei einem Suchbild die Pointe nicht sofort. Der Bus, der auf dem Dach eines rohbauartigen Betonhauses steht, parkt dort nicht – der Tsunami hat ihn abgestellt. Am Eingang eines Schreins sind der Sockel eines Pfeilers, ein Wasserbecken und ein paar Steine aufgereiht – letzte Überbleibsel von zerstörten Tempeln. Schachbrettartig angeordnete Straßen umrahmen leere, wie frisch geharkt erscheinende Sandfelder – die Stadt, die hier einmal gestanden hat, wurde hinweggefegt. Und überall, selbst dort wo die Verwüstung besonders augenfällig ist, ragen Strommasten auf, ziehen sich Kabel über Wege und Wiesen. Man könnte glauben, dass sie das Einzige waren, was die Flutwellen überstanden hat. Falsch. Sie waren das Erste, was nach dem Tsunami wiederhergestellt wurde.

Dreieinhalb Monate lang hat Hans- Christian Schink Anfang 2012 als Stipendiat der Villa Kamogawa in Kyoto gelebt, einer Künstlerresidenz des Goethe-Instituts. Von dort brach er immer wieder nach Tohoku auf, wo der Tsunami auf einer 400 Kilometer langen Küstenlinie alle Siedlungen dem Erdboden gleichgemacht hatte. Aber in die Sperrzone, die von den japanischen Behörden in einem Radius von 20 Kilometern um das havarierte Kernkraftwerk Fukushima eingerichtet wurde, wollte er nicht fahren. „Weil ich gar nicht darstellen könnte, was passiert ist,“ sagte er. „Für mich lassen sich aus der Atomkatastrophe keine Bilder ableiten.“ Radioaktivität ist unsichtbar, fotografieren kann man sie nicht.

Beeindruckt war Schink vom Pragmatismus der Aufräum- und Aufbauarbeiten: „In Japan ist die Bestrebung, die Natur zu beherrschen, stärker ausgeprägt als in westlichen Gesellschaften. Gleichzeitig gibt es eine viel größere Akzeptanz, dass die Natur stärker ist und sich vom Menschen nicht besiegen lässt.“ In Deutschland hat die Kernschmelze von Fukushima zum endgültigen Abschied von der Kernenergie geführt. In Japan vollzog der neue Ministerpräsident Shinzo Abe gerade den Ausstieg aus dem von der Vorgängerregierung zögernd betriebenen Atomausstieg und kündigte den Bau neuer Reaktoren an. Dort wird die Erinnerung an Fukushima von der Erinnerung an das Tohoku-Beben und die Todesopfer, die der Tsunami forderte, überlagert. Im Nachwort des Bildbands spricht Rei Masuda, Fotografiekurator des National Museum of Modern Art in Tokio, von einer „Ehrfurcht gebietenden Zerstörung“ und konstatiert: „Die von der Katastrophe verursachten Wunden sind unverändert, tief eingeschnitten in die Landschaft.“

Bekannt geworden ist Hans-Christian Schink, der 1961 in Erfurt geboren wurde, mit der Serie „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“. Seine monumentalen Bilder vom Ausbau des Autobahnnetzes in den neuen Bundesländern zeigten neu errichtete Brücken, Pfeiler und Trassen im jungfräulichen Zustand vor der Einweihung. Ihre Erhabenheit erinnert an die deutsche Romantik. Etwas von diesem Geist steckt auch in den Fotos aus Tohoku. Auf dem Titelbild des Buches, das eine Hommage an Caspar David Friedrichs Gemälde „Das Eismeer“ sein könnte, türmen sich Betonstücke zu einer stacheligen Strandskulptur. Schönheit und Schrecken, symbiotisch vereint.

Hans-Christian Schink: Tohoku. Mit einem Essay von Rei Masuda, Hatje Cantz, Ostfildern 2013. 132 Seiten, 39,80 €.

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