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Fotos aus der Antarktis: Schnee von vorgestern

Die Ausstellung „Scenerie und Naturobjekt“ in der Berliner Guardini Galerie erinnert an die erste deutsche Antarktis-Expedition von 1898. Gezeigt werden historische Bilder der Forschungsreisenden - und heutige, atemberaubende Schnee-, Eis- und Pinguin-Fotos von Hans-Christian Schink.

Auf dem alten, übergroß abgezogenen Foto, das kurz vor der vorletzten Jahrhundertwende entstand, ist der Horizont ein leicht nach links verrutschter Strich. Der Fotograf stand auf dem Deck eines Schiffes und muss seine Kamera etwas schief gehalten haben. Ein kastenförmiger Eisberg wird in der Bildmitte beinahe verschluckt vom weiß wabernden Dunst des Hintergrunds. Links davon kreist eine Möwe, deren unscharfe Silhouette ein Andreaskreuz bildet. Abenteuerlust und Aufbruchsgeist sprechen aus der Aufnahme, der Stolz, mit vollen Segeln einer Welt entgegenzufahren, wie sie noch kaum ein Mensch gesehen hat. In der Berliner Guardini Galerie wird das historische Bild von zwei monumentalen Werken des Fotografen Hans-Christian Schink gerahmt. Sie stehen in der langen ikonografischen Tradition der Antarktis als Ort von Erhabenheit und Schrecken. Zu sehen sind schneebedeckte schwarze Felsen, davor die vereiste See. Konturen verwischen im diffusen Licht. Die Szenen erinnern an Traumbilder. Der Himmel, der den größten Teil der Aufnahmen einnimmt, besteht vor allem aus Wolken. Es handelt sich um Farbaufnahmen, aber Farben, das sind in der kältesten Region unseres Planeten hauptsächlich Weiß und Grau und alle Abstufungen dazwischen. Eine erstarrte Welt. Ihr Anblick macht frösteln.

Hans-Christian Schink: Antarctica (3), 2010.
Hans-Christian Schink: Antarctica (3), 2010.

© Hans-Christian Schink, Courtesy Galerie Kicken Berlin und Galerie Rothamel Erfurt/Frankfurt

„Scenerie und Naturobjekt“ heißt die von Beatrice Staib kuratierte, überaus sehenswerte Ausstellung, die an die erste deutsche Tiefsee–Expedition erinnert. 1898 war der Leipziger Zoologe Carl Chun mit dem Forschungsschiff „Valdivia“ in die Antarktis aufgebrochen. Er und sein Team legten 32000 Seemeilen zurück, nahmen Vermessungen des Meeresbodens vor, fingen zahlreiche bis dahin unbekannte Tiefseetiere und kehrten mit vielen Fotos zurück, die sich heute im Berliner Naturkundemuseum befinden.
Die Bilder stammen vom Bordfotografen Friedrich Wilhelm Winter, dem Zoologen Carl Apstein und dem Navigationsoffizier Walter Sachse. In der Guardini Galerie hängen neue, sehr große Abzüge, die noch alle Kratzer und Beschädigungen der originalen Glasplattennegative tragen. Einige sind handschriftlich nach rätselhaften Kriterien mit Ziffern versehen: 47, 321, 489.
Mehr als hundert Jahre nach der „Valdivia“ machte sich Hans-Christian Schink 2010 auf den Weg in die Antarktis, um Landschaftsfotos aufzunehmen. Bekannt geworden ist der Berliner Fotograf mit seinen Bildern vom „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“, bei dem er neu gebaute ostdeutsche Autobahnen in einer Mischung aus Sachlichkeit und Romantik ablichtete. Zuletzt dokumentierte er die Spuren des Reaktorunfalls von Fukushima in der japanischen Natur.

Es ist nicht leicht für Schink, mit seinen so überwältigenden wie strengen Fotografien neben den historischen Dokumenten der Tiefseeforscher zu bestehen. Denn in ihnen spürt man ein beinahe naives Staunen. Die Akademiker sind ganz offensichtlich hingerissen von dem, was sie entdecken. Es sind bärtige Männer in dunklen Mänteln, die Pelzkappen und Prinz-Heinrich-Mützen tragen. Wind bauscht ihre Mantelsäume. Sie stehen erwartungsvoll mit hochgeschlagenem Kragen auf Deck, lehnen über der Reling, starren gebannt in eine milchige Ferne, bei der sich nur raten lässt, was sie verbergen mag. Ist Land in Sicht? Zeigt sich endlich, endlich der Weiße Wal? Ein Antarktisfahrer hält fast mannshohe Farne vor ein Tuch, ein anderer beugt sich über Schwämme. Und ein weiterer hat auf Deck eine Hängematte aufgespannt und lässt sich sanft in den Schlaf schaukeln. Bei einem Ausflug aufs Land sieht man Forscher auf Felsen, Robben, Pinguine, Forscher vor Robben, Forscher mit Pinguinen. Die wilhelminischen Honoratioren haben lange Holzstöcke dabei, um sich auf den Steinen sicher fortbewegen zu können, und tragen, sofern zu erkennen, auch während der Exkursion Krawatten.

Hans-Christian Schink: Antarctica (1), 2010.
Hans-Christian Schink: Antarctica (1), 2010.

© Hans-Christian Schink, Courtesy Galerie Kicken Berlin und Galerie Rothamel Erfurt/Frankfurt

Belohnt wurden die Mühen der Reisenden mit herrlichsten Präparaten. Eine Fotoserie präsentiert aus der Tiefsee ans Licht geholte Lebewesen, die bizarr bis furchteinflößend anmuten. Ein Kugelfisch bleckt ein Gebiss mit unregelmäßigen, nadelförmig spitzen Zähnen. Fische, Oktopusse und Seegurken dümpeln in Glasgefäßen.
Hans-Christian Schink hat ein großes, halb verwestes Tiergerippe im Foto festgehalten. War das einmal ein Walfisch? Oder vielleicht ein Mammut? Gab es überhaupt Mammuts in der Antarktis? Ein anderes Foto zeigt eine Pinguinkolonie auf einem grauen Felsen, der dort, wo sich die Tiere bewegen, rötlich schimmert. Es war ihr Kot, der den Stein verfärbt hat. Die Pinguine stehen dicht beieinander, sie haben ihre Schnäbel einander zugewandt, als würden sie reden, und so, wie sie die Schnäbel nach oben, unten, links oder rechts recken, scheint es eine sehr lebhafte Diskussion zu sein.
Am schönsten sind die Bilder, die sich, statt Artefakte der Wissenschaft zu werden, versehentlich in Kunst verwandelten. Eine Aufnahme der Chun-Expedition sollte wohl einen Eisberg dokumentieren. Aber der Eisberg verschwindet in Hintergrundnebeln. Bloß das Meer ist noch zu erkennen, wie es sanft bebt und sich unruhig kräuselt.
Guardini Galerie, Askanischer Platz 4, bis 18. April, Di–Fr 12–18, Sa 14–18 Uhr.

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